16,9 MB - RegJo
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X InteRView BAUen SpeZIAL Regjo SüdniedeRSAChsen<br />
Regjo SüdniedeRSAChsen BAUen SpeZIAL InteRView XI<br />
Dipl.-Ing. Michael Lange<br />
Der Architekt studierte an der FH<br />
Hannover in Nienburg/Weser und<br />
kam 1979 nach Northeim, 1985<br />
machte er sich dort selbständig.<br />
Zusammen mit Dirk Puche gründete<br />
er 1991 das heutige Büro der<br />
planungsgruppe lange puche (pglp).<br />
Michael Lange wohnt in Northeim<br />
drei Minuten vom Büro entfernt in<br />
einem Jugendstilhaus.<br />
Dipl.-Ing. Dirk Puche<br />
Der Stadtplaner und Architekt<br />
studiert an der Universität Siegen<br />
und war von 1987 an zuerst bei der<br />
Stadt Einbeck tätig, bis er sich<br />
mit Michael Lange selbständig<br />
machte. Die pglp hat inzwischen<br />
989 Projekte betreut. Dirk Puche<br />
wohnt auf dem Dorf in einem alten<br />
Fachwerkhaus (Resthof).<br />
Puche: Es sei denn, man ist in einer Gegend mit einer stabilen Werthaltigkeit,<br />
also in den zentralen Orten, Göttingen, Northeim, Einbeck<br />
und auch in kleinen Orten wie Bovenden, Rosdorf, Dransfeld,<br />
die stadtnah liegen, wird es immer einen Markt geben. Aber das Problem<br />
sind natürlich die kleineren Orte.<br />
Angesichts dieser „dramatischen“ Leertandssituation – was für<br />
Handlungsmöglichkeiten bleiben denn Städten und Gemeinden?<br />
Puche: Eine der wichtigsten Aufgaben für Kommunen ist die des<br />
Managements; also Leerstands-, Flächen- und Gebäudemanagement<br />
zu machen, damit man weiß, was auf einen zukommt. Anschließend<br />
kann man sich Strategien überlegen, wie man damit umgeht. Aber es<br />
gibt keine Patentlösung, weil so etwas immer im Kontext des jeweiligen<br />
Ortes gesehen werden muss. Nur: Man muss es angehen. Und<br />
das sehe ich hier vielerorts noch nicht. Die Kommunen haben zwar<br />
aufgehört, Baugebiete zu entwickeln, aber sie haben noch nicht den<br />
Schritt vollzogen, eine steuernde Funktion einzunehmen.<br />
Haben Sie ein positives Beispiel?<br />
Puche: Die Entwicklung steht noch ganz am Anfang. Im Weserraum<br />
hat das Landwirtschaftsministerium ein Modellprojekt gestartet:<br />
„Umbau statt Zuwachs“. Wir haben darin mehrere Projekte begleitet<br />
und zunächst versucht, Spielregeln mit den Kommunen aufzustellen,<br />
wie man Flächennutzungsplanung, insbesondere Siedlungsentwicklung,<br />
und Infrastruktursteuerung im interkommunalen Kontext<br />
angehen kann. Das sind erste Ansätze.<br />
Wie lassen sich denn moderne Ansprüche an das Wohnen und<br />
die Energiebilanz mit dem Sanieren und der Wiederbelebung von<br />
Ortskernen in Einklang bringen?<br />
Lange: Wir haben hier ein Beispiel in Northeim, ein Fachwerkhaus.<br />
Das Gebäude ist von ursprünglich drei Geschossen auf sechs ausgebaut<br />
worden. Insgesamt haben wir etwa 660 m 2 Wohnnutzfläche<br />
geschaffen und das Gebäude ist hochwärmegedämmt, das geht schon<br />
in Richtung Passivhaus. Man muss aber mit viel Fingerspitzengefühl<br />
an die einzelnen Details herangehen. Wenn man etwa das Fachwerk<br />
sichtbar erhalten will, bleibt nur die Innendämmung übrig. Die ist<br />
viele Jahre lang als problematisch hingestellt worden. Doch inzwischen<br />
hat man festgestellt, dass dem gar nicht so ist. Man muss nur<br />
jeden Fall einzeln genau betrachten.<br />
Puche: Technisch ist es kein Problem, in einem Altbau den gleichen<br />
Standard wie in einem Neubau zu realisieren oder es sogar noch besser<br />
zu machen. Doch in der Breite ist nicht bekannt, dass das überhaupt<br />
geht. Der Markt wird weitgehend dominiert von der Dämmstoffindustrie,<br />
die mit ihren Vorhangfassaden über die Lande tingelt<br />
und alle Leute fangen an, ihre Gebäude einzupacken. Was sie sich<br />
damit letztendlich antun, auch bauphysikalisch, ist überhaupt nicht<br />
ergründet. Es gibt also vor allem einen riesigen Bedarf an Beratung.<br />
Wo haben Bau- und Sanierungswillige gegenwärtig sinnvolle<br />
Möglichkeiten, sich zu informieren?<br />
Puche: Diese Diskussion um Energieberatung gibt es ja schon länger<br />
und die Energieagentur Göttingen ist dafür eine sehr wichtige Einrichtung.<br />
Aber sie kann nur der Anfang sein. Wir brauchen umfassende<br />
Beratungsinstitutionen für die Sanierung alter Bausubstanz,<br />
die sich nicht nur mit energetischer Beratung befassen, sondern auch<br />
mit Baustoffen. Das gibt es kaum, auch wenn wir dabei sind, so etwas<br />
aufzubauen. Aus dem ersten der bisher zwei Fachwerktage in Südniedersachsen<br />
ist die Nörten-Hardenberger Erklärung mit zehn Thesen<br />
zum Umgang mit Fachwerk hervorgegangen. Eine davon behandelt<br />
den Beratungsbedarf und dass wir Institutionen aufbauen müssen,<br />
um diese Beratung auch sinnvoll durchzuführen.<br />
Lange: Gegenwärtig ist das Problem oft, dass die Leute mit ihren<br />
Fragen zum Bauunternehmer gehen, wo teilweise das Verständnis<br />
für die komplexen Zusammenhänge fehlt. Mangels Wissen verlassen<br />
sie sich auf die Vorschläge und nach vier Jahren ist der aus der<br />
Gewährleistung raus und dann kommen die Schäden. Eine anfängliche<br />
Beratung durch Leute, die etwas von thermischer Bauphysik und<br />
Baustoffkunde verstehen, ist daher extrem wichtig. Es reicht nicht,<br />
dass der Energieberater im 100-Euro-Check sagt, Sie müssen 20 cm<br />
dämmen und dann ist alles gut. Eine weitergehende Untersuchung<br />
mit Betrachtung der Gesamtzusammenhänge in einem Gebäude<br />
gehört auch dazu. Wenn wir ein Beratungssystem mit verschiedenen<br />
Fachleuten hätten, dann wäre das alles selbstverständlich. So<br />
eine Beratung kostet zwar ein paar tausend Euro, aber mittlerweile<br />
gibt es auch Förderprogramme, die eine solche Beratung schon zu<br />
50 Prozent finanzieren. Und das ist eigentlich der sinnvolle Weg, den<br />
man gehen müsste, denn dann weiß der Hausbesitzer genau, was er<br />
machen kann.<br />
Wie viel Energieeinsparpotenzial würde eine konsequente Förderung<br />
von entsprechenden Sanierungs- und Dämmmaßnahmen<br />
denn bieten?<br />
Lange: Wenn man etwa die Heizkosten in einem optimal sanierten<br />
und einem nicht sanierten Einfamilienhaus vergleicht, dann liegen<br />
die Heizkosten unsaniert etwa viermal höher. Es ist auch durchaus<br />
ohne Probleme möglich, die gesamte Energiebilanz um den Faktor<br />
zehn zu verbessern.<br />
Puche: Man kann auch nicht behaupten, das Thema würde politisch<br />
stiefmütterlich behandelt. Es kommt gerade jetzt eine unglaubliche<br />
Dynamik rein, bedingt durch den Beschluss des Atomausstiegs. Es<br />
werden laufend neue Programme aufgelegt, die es für den einzelnen<br />
inzwischen sogar schwer machen, einen Überblick zu behalten.<br />
Aktuell wurden zum Beispiel die Mittel für den städtebaulichen<br />
Klimaschutz von 900 Mio. auf 1,3 Mrd. Euro aufgestockt. Das<br />
sind Größenordnungen, die müssen erstmal abgerufen werden. Ich<br />
befürchte daher eher, dass wir es auf kommunaler Ebene gar nicht<br />
schaffen, so schnell zu reagieren und die ganzen Fördertöpfe zu leeren.<br />
Aber die Möglichkeiten bestehen. Auch die Förderansätze verändern<br />
sich, wie das Programm des städtebaulichen Klimaschutzes<br />
zeigt. Statt nur vom einzelnen Gebäude geht man jetzt vom Quartier<br />
aus: Nimmt man in einer Altstadt einen Block mit vielleicht 50<br />
Gebäuden, wird für dieses Quartier nun eine gemeinschaftliche energetische<br />
Lösung entwickelt. Das kann etwa ein Blockheizkraftwerk<br />
als Nahwärmeversorgungssystem in der Mitte sein. Letztlich geht es<br />
darum, durch eine großräumigere Betrachtung eine hohe Energieeffizienz<br />
hinzubekommen. Kommunen können sich inzwischen die<br />
Erstellung entsprechender Konzepte fördern lassen. Es gibt also ganz<br />
innovative Förderansätze, die zeigen, dass die Politik eigentlich weiter<br />
ist als die ausführenden Personen.<br />
Was denken Sie, wie wird die Baulandschaft in Südniedersachsen<br />
mittelfristig, in 20, 30 Jahren, aussehen?<br />
Lange: Die Baukultur wird genauso bunt bleiben wie sie heute schon<br />
ist. Wir werden also nicht irgendwann alle in Glaskästen wohnen.<br />
Aber die Haustechnik wird sich natürlich immer weiter verfeinern.<br />
Puche: Vom städtebaulichen Ansatz her werden die zentralen<br />
Orte mit einer gewissen Infrastruktur an Bedeutung zunehmen.<br />
Die Bedarfe ändern sich ja auch durch die Überalterung. Momentan<br />
ist der Trend eher, ins Heim zu gehen. Ich denke aber, wir<br />
müssen Systeme entwickeln, die selbstbestimmtes Leben im Alter<br />
ermöglichen. Das muss sich an den zentralen Orten entwickeln, wo<br />
ich die nötige Infrastruktur habe. Es wird also eine Wanderungsbewegung<br />
hin zu den zentralen Orten geben. Im worst case Szenario<br />
führt das bis zum Wüstfallen kleinerer Orte. Und wir müssen irgendwann,<br />
wenn die Versorgungssicherheit zum Beispiel mit Trinkwasser<br />
nicht mehr gewährleistet ist, über Programme nachdenken, wie<br />
man über einen Sozialplan die verbliebenen Menschen<br />
in eine andere Situation bringen und umsiedeln kann. Vielleicht<br />
werden wir das Wüstfallen nicht mehr miterleben, aber wenn<br />
sich die Bevölkerungsentwicklung nicht umkehrt, dann wird<br />
das so kommen müssen.