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Ausgabe 4/2013 - ZMK-Aktuell

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ZahnheilkundeCorpus Hippocraticum unter dem Titel „Über Luft, Wasserund Orte“ überliefert ist. In Gelehrtenkreisen streitet mansich bis heute darüber, ob der Text wirklich von Hippokratesselbst stammt. Aber diese Diskussion ist weitgehendakademisch, weil die darin entwickelten Ideen sehr präzisedie Anschauungen des großen Mediziners wiedergeben.Schon im Zusammenhang mit seiner Säftelehre hatte derArzt aus Kos darauf hingewiesen, dass das Auftreten vonKrankheiten auch jahreszeitlich bedingt ist. So stellte er dieBehauptung auf, dass alle Krankheiten, die im Winter einsetzen,im Sommer wieder verschwinden. Frühlingskrankheitenhingegen dauern bis zum Herbst, Herbstkrankheitenwiederum enden im Frühling. Antike Kranke, die an Hippokratesglaubten, verfügten damit über ein Höchstmaß anPlanungssicherheit. Problematisch konnte es nur werden,wenn sich der Körper nicht an diese Prognose hielt.„Dann“, so belehrte Hippokrates seine Mitmenschen miterhobenem Zeigefinger, „wird die Krankheit – man merkesich das genau – ein ganzes Jahr lang dauern.“Der Einfluss des Klimas | In der Klima-Schrift hat sichHippokrates speziell die physische und psychische Verfassungder Bewohner Asiens vorgenommen. Bei ihnen, someinte der also auch meteorologisch vorgebildete Mediziner,sei das Klima immer gleichförmig, es gebe keinen signifikantenWechsel zwischen den Jahreszeiten. Daher seiendie Asiaten unkriegerischer und sanfter und insgesamtschlaffer und lebloser als die Europäer. Hätte Hippokratesallerdings geahnt, was er mit dieser Feststellung anrichtenwürde, hätte er vermutlich darauf verzichtet, sie der Öffentlichkeitvorzustellen. Denn nun bemächtigten sich diewestlichen Politiker dieser Theorie und verwendeten sie alsPropagandamaterial in der politischen und militärischenAuseinandersetzung mit den Staaten des Orients. Die Griechentaten das in ihrem Dauerstreit mit den Persern ebensowie später die Römer bei ihren Konflikten mit Ägypten undden iranischen Parthern.Gewissermaßen in Stein gemeißelt und mit einigen Zusätzenversehen hat die hippokratische Klima- und Milieutheorie im4. Jahrhundert v. Chr. der große Universalgelehrte Aristoteles,der es als Kenner der Wetterkunde eigentlich etwasbesser hätte wissen müssen. „Die Völker der kalten Regionenund in Europa“, sagt Aristoteles in der Politik, „sind tapfer,aber weniger intelligent und kunstfertig. Die Völker Asienshingegen sind intelligent und künstlerisch begabt, aberkraftlos, und daher leben sie als Untertanen und Sklaven.“Und dann kommt die Pointe, der sich ein Hippokrateswahrscheinlich nicht angeschlossen hätte: Am besten sinddie Griechen dran, sie leben geographisch und klimatischin der Mitte und haben daher das Glück, an beiden CharakterenAnteil zu haben – selbstverständlich nur an denjeweils positiven Eigenschaften: „Das griechische Volk“, sodas Resümee, „ist energisch und intelligent.“ Das wolltennun die Römer nicht hinnehmen und so haben sie späterdie Hippokrates-Aristoteles-Theorie gerne übernommen,nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich selbst als dasso begünstigte Volk der Mitte bezeichneten und ihrerseitsdie Griechen in die Nähe der schlappen und wenig intelligentenAsiaten rückten.Der hippokratische Eid | Wenn heute von Hippokratesdie Rede ist, denkt man nicht mehr so sehr daran, dass erder – wenn auch unfreiwillige – Urheber eines lange wirksamenVorurteils des Westens gegenüber dem Osten gewesenist. Vielmehr pflegt man mit Hippokrates den nach ihmbenannten Eid zu verbinden. Der „Eid des Hippokrates“schrieb in acht Punkten die ethische Verantwortung desArztes fest. Der Arzt, so Punkt 1, soll seinen Lehrer ehren.Punkt 2: Alles, was der Arzt tut, soll zum Nutzen der Patientengeschehen.Punkt 3: Der Arzt darf keine Sterbehilfe leisten und beiFrauen darf er keine Abtreibungen vornehmen.Punkt 4: Rein und fromm wird der Arzt sein Leben führenund seine Kunst bewahren.Punkt 5: Der Arzt nimmt keine chirurgischen Eingriffe vor.Punkt 6: Der Arzt verzichtet darauf, in den Häusern, in dieer gerufen wird, sexuellen Missbrauch an Frauen und Männern,an Freien und Sklaven, vorzunehmen.Punkt 7: Der Arzt hat sich an das Schweigegebot zu halten.Und schließlich Punkt 8: Erfüllt der Arzt diesen Eid, soll erfür immer angesehen sein; bricht er ihn, soll das Gegenteilgeschehen.Die weitere Geschichte des Eides ist zugleich die Geschichteder Bedeutung des Hippokrates für die nachfolgendenMediziner-Generationen bis in die Gegenwart hinein. Malgab es Zeiten, in denen der Eid des Hippokrates komplettals verbindlich angesehen wurde. In Montpellier beispielsweisemusste im 19. Jahrhundert jeder Absolvent der medizinischenFakultät bei der akademischen Abschlussfeierden Eid aufsagen, und das vor einer von der französischenRegierung gestifteten Büste des Hippokrates. Dann wiederstrich man einige Passagen und ersetzte sie durch andere.Der preußische Ärzteeid von 1810 etwa wandelte den Eiddes Hippokrates in eine Ergebenheitsadresse für die preußischeRegierung um. Nach dem Zweiten Weltkrieg, imJahre 1948, wurde der Eid des Arztes aus Kos durch dasGenfer Gelöbnis ersetzt, das insbesondere die Paragraphenzum Schwangerschaftsabbruch und zum Verbot chirurgischerEingriffe modifizierte. Doch bis heute hat der hoheethische Gehalt der Formeln des Hippokrates diese nichtaus der Diskussion verschwinden lassen. Manche, wie dasVerbot der Sterbehilfe, bekommen immer wieder einegroße Aktualität. Und noch 1996 hat in Großbritannien dieangesehene British Medical Association eine Neuauflagedes hippokratischen Eides vorgelegt, sozusagen als eine fürdas 21. Jahrhundert geeignete Gebrauchsanweisung desgrößten Mediziners der Antike.Literaturliste unter www.zmk-aktuell.de/literaturlistenKorrespondenzadresse:Prof. Dr. Holger SonnabendUniversität Stuttgart, Historisches InstitutKeplerstraße 17, 70174 Stuttgart<strong>ZMK</strong> | Jg. 29 | <strong>Ausgabe</strong> 4 ________________ April <strong>2013</strong>209

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