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Gebhardts Konstruktion bzw. Folge<br />
nationalsozialistischer Herrschaft. Es<br />
sind die Nationalsozialisten, die die<br />
Konzentrations- und Vernichtungslager<br />
bauen, Ju<strong>de</strong>n, Homosexuelle, ethnische<br />
Min<strong>de</strong>rheiten wie Sinti und Roma,<br />
Regimegegner und an<strong>de</strong>re internieren<br />
und ermor<strong>de</strong>n. Und es ist <strong>de</strong>r<br />
Nationalsozialist Gebhardt, <strong>de</strong>r Kremer<br />
vor die Entscheidung stellt: Du<br />
und <strong>de</strong>ine Glaubensbrü<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Ju<strong>de</strong>n,<br />
die du so „eloquent“ verteidigst.<br />
Das Perfi<strong>de</strong> an dieser Alternative liegt<br />
in <strong>de</strong>r Separation <strong>de</strong>r Opfer: So wie die<br />
Brotrationen unterschiedlich bemessen<br />
sind – die Priester im Pfarrerblock bekommen<br />
mehr als die an<strong>de</strong>ren Internierten<br />
– und gleichsam zwischen Opfern<br />
erster und zweiter Klasse unterschie<strong>de</strong>n<br />
wird, geht es nun hier um eine<br />
letzte Scheidung – in jene, die überleben<br />
dürfen, damit die an<strong>de</strong>ren ungehin<strong>de</strong>rt<br />
ermor<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können.<br />
Damit steht im Zentrum <strong>de</strong>s Films<br />
die Frage, ob und wie in einer inhumanen<br />
Welt humanes Han<strong>de</strong>ln überhaupt<br />
möglich ist. Wo und wie kann das<br />
Menschliche überleben, wenn es nur<br />
noch ums Überleben <strong>de</strong>r Menschen<br />
geht?<br />
2.3 Schuld<br />
In <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Henri Kremer verknüpft<br />
Schlöndorff die genannte Ebene<br />
dieses ethischen Konflikts mit einem<br />
weiteren, <strong>de</strong>r in die Zeit <strong>de</strong>r Lagerhaft<br />
führt: Kremer hat während eines Arbeitseinsatzes<br />
ein Wasserrohr ent<strong>de</strong>ckt,<br />
aus <strong>de</strong>m – wenn auch nur wenig - Wasser<br />
rinnt. Den quälen<strong>de</strong>n Durst zu stillen,<br />
leckt er an <strong>de</strong>m Rohr und versucht,<br />
<strong>de</strong>n Hahn zu öffnen. Er steht vor <strong>de</strong>r<br />
Entscheidung, diese Ent<strong>de</strong>ckung mit<br />
<strong>de</strong>n Mitgefangenen zu teilen: „Ich<br />
quälte mich mit <strong>de</strong>r Frage, ob ich es mit<br />
meinem Mithäftlingen teilen sollte.<br />
O<strong>de</strong>r nur mit Nansen. Er war von uns<br />
allen <strong>de</strong>r Schwächste...“. Er tut es nicht,<br />
und als Nansen bei einem verzweifelten<br />
Fluchtversuch ums Leben kommt,<br />
empfin<strong>de</strong>t Kremer Schuldgefühle: „Vater<br />
vergib mir!“ „Ich habe überlebt.<br />
Nansen nicht. Und ich weiß nicht und<br />
wer<strong>de</strong> es nie erfahren, ob das Wasser,<br />
dass ich nicht mit ihm geteilt habe, ihm<br />
Kraft gegeben hätte, dies alles zu überstehen.<br />
Seit<strong>de</strong>m sehe ich je<strong>de</strong> Nacht<br />
sein Gesicht. Je<strong>de</strong>n Schritt, <strong>de</strong>n ich gehe,<br />
gehe ich auf seiner Asche.“ Er fühlt<br />
sich schuldig am Tod Nansens, weniger<br />
vielleicht, weil das wenige Wasser<br />
diesen körperlich hätte aufrichten können.<br />
Es hätte aber vielleicht eine Ermutigung,<br />
eine Hoffnung be<strong>de</strong>utet und<br />
Nansen seelisch stärken können. Kremers<br />
Gewissen empfin<strong>de</strong>t sein Verschweigen<br />
als verweigerte Hilfeleistung,<br />
als puren Egoismus im Angesicht<br />
seiner Qualen, <strong>de</strong>r aber um die Qual<br />
seiner Mitbrü<strong>de</strong>r weiß: Er, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>r Eucharistie das Brot<br />
teilt, <strong>de</strong>r durch an<strong>de</strong>re das Teilen als<br />
Geste <strong>de</strong>r Mitmenschlichkeit erfahren<br />
hat, gera<strong>de</strong> er versagt moralisch dann,<br />
wenn es „ernst“ wird. Und als Nansen<br />
stirbt, nimmt er die Schuld auf sich,<br />
selbst wenn die Frage eines ursächlichen<br />
Zusammenhangs offen bleibt.<br />
Be<strong>de</strong>utsam in diesem Zusammenhang<br />
scheint mir die Reaktion seiner<br />
Schwester, die <strong>de</strong>n Brief an seine Mutter<br />
liest, in <strong>de</strong>m Kremer sich seine Gefühle<br />
von <strong>de</strong>r Seele schreibt, seine Tat<br />
„beichtet“: „Warum hast du nichts gesagt?<br />
Du bist nicht schuld am Tod <strong>de</strong>ines<br />
Kamera<strong>de</strong>n. Dass du das glaubst...<br />
Dass sie erreicht haben, dass du so<br />
fühlst ... Lass sie das nicht mit dir machen!“<br />
Der moralischen Perspektive<br />
ihres lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>rs stellt sie eine<br />
an<strong>de</strong>re entgegen, die auf das „System“<br />
und damit auf die Ursachen <strong>de</strong>s Konflikts<br />
verweist: Es ist die grausame Logik<br />
<strong>de</strong>r nationalsozialistischen Lager,<br />
die ihre Insassen in solche Grenzsituationen<br />
führt. Hunger und Durst sind<br />
Folge <strong>de</strong>r Rationierung und Mittel <strong>de</strong>r<br />
Folter, <strong>de</strong>r Kampf ums Überleben eine<br />
Folge <strong>de</strong>r Bedrohung <strong>de</strong>s Lebens. Und<br />
es ist gera<strong>de</strong> ein Teil <strong>de</strong>r Unmenschlichkeit<br />
dieses Systems, dass das Opfer<br />
sich als Täter empfin<strong>de</strong>n kann.<br />
In <strong>de</strong>r narrativen Verknüpfung bei<strong>de</strong>r<br />
Linien (Kremers Entscheidung vor<br />
Gebhardt und seine Entscheidung im<br />
Lager) wer<strong>de</strong>n auch die Parallelen<br />
<strong>de</strong>utlich: Hier wie dort sind es die herr-<br />
schen<strong>de</strong>n Nationalsozialisten, die die<br />
Bedingungen diktieren, hier wie dort<br />
gibt es Muster <strong>de</strong>r „Entschuldigung“ –<br />
auch Gebhardt weiß seine Verantwortlichkeit<br />
für Kremers Situation zumin<strong>de</strong>st<br />
partiell abzuschieben (ein „Versehen“,<br />
eine „Bedingung <strong>de</strong>s RSH“).<br />
Aus dieser Verknüpfung bei<strong>de</strong>r Erzählstränge<br />
zieht Schlöndorffs Film<br />
aber auch dramatisches Potential. Ihr<br />
Schnittpunkt ist zugleich <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>punkt<br />
<strong>de</strong>s Films: Kremer selbst „entschuldigt“<br />
Gebhardt, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r ihm<br />
unterstellt, nichts von <strong>de</strong>n Grausamkeiten<br />
<strong>de</strong>r Partei zu wissen, die dieser so<br />
glühend verteidigt („Ich <strong>de</strong>nke, Sie haben<br />
keine Ahnung. Keine Ahnung, was<br />
mit <strong>de</strong>n Gefangenen passiert, die auf<br />
Ihre Anordnung hin <strong>de</strong>portiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Sie glauben, Sie wüssten, was ein KZ<br />
ist, nur weil Sie mit <strong>de</strong>m Kommandanten<br />
telefoniert haben.“). Erst das Gespräch<br />
mit Mersch öffnet ihm die Augen:<br />
Gebhardt war im Osten, er hat die<br />
Lager gesehen. Er hat „nichts getan,<br />
nur gesehen“. Damit wird aus einem<br />
Unwissen<strong>de</strong>n, einem Verführten ein<br />
Wissen<strong>de</strong>r, ein Täter. All das diskreditiert<br />
schlagartig alle Versuche Gebhardts,<br />
Kremer auf seine Seite zu ziehen,<br />
und ermöglicht seine Auflehnung.<br />
Dieses Motiv seines Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s signalisiert<br />
er auch Gebhardt, wenn er seine<br />
abschließen<strong>de</strong> Verweigerung mit<br />
<strong>de</strong>r Frage verbin<strong>de</strong>t: „Was kann ein Täter<br />
von seinem Opfer wollen? Nach <strong>de</strong>r<br />
Tat. Was haben Sie in diesen Lagern im<br />
Osten gesehen?“ .<br />
2.4 Macht und Verführung –<br />
Versuchung und Verrat<br />
Neun Tage, am En<strong>de</strong> steht ein Entschluss,<br />
<strong>de</strong>r über Tod und Leben entschei<strong>de</strong>t.<br />
Neun Tage ... und fünf Gespräche<br />
mit einem Herren über Leben<br />
und Tod. Sind das „Gespräche“? Sind<br />
es Dispute o<strong>de</strong>r Predigten? O<strong>de</strong>r aber<br />
Duelle, sogar Kämpfe – im Letzen ein<br />
Kampf ums Überleben? Es fällt nicht<br />
so leicht, die Dialogszenen mit Gebhardt<br />
zu charakterisieren, die einen<br />
großen Teil <strong>de</strong>s Films einnehmen. Gebhardts<br />
Ziel je<strong>de</strong>nfalls wird schnell klar:<br />
<strong>INFO</strong> 34 · 1/2005<br />
UNTERRICHTSPRAXIS<br />
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Religion & Populär-Kultur