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Tag. Zwei Wen<strong>de</strong>punkte bringt dieses<br />

letzte Gespräch vor Kremers Entscheidung.<br />

Zum einen spitzt sich <strong>de</strong>r innere<br />

Konflikt für Kremer zu. Gebhardt ist<br />

wütend darüber, dass Kremer <strong>de</strong>n Bischof<br />

immer noch nicht hat überzeugen<br />

können. Er gibt dieses Ziel auf. Kremer<br />

selber soll nun die Erklärung unterschreiben.<br />

Damit gibt es keinerlei Möglichkeiten<br />

für eine Ausflucht mehr, eine<br />

Audienz ist nicht mehr nötig und<br />

Kremer muss sich jetzt ganz allein entschei<strong>de</strong>n.<br />

Gebhardt for<strong>de</strong>rt diese Entscheidung<br />

heraus: „Sie o<strong>de</strong>r ich! ... Machen<br />

Sie endlich <strong>de</strong>n Mund auf!“. Zum<br />

an<strong>de</strong>ren lässt Gebhardt in gewisser<br />

Weise die Maske <strong>de</strong>s Verführers fallen.<br />

Während er bislang sich selber und <strong>de</strong>n<br />

Nationalsozialismus noch als Bun<strong>de</strong>sgenossen,<br />

ja Brü<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Christentums<br />

darzustellen versuchte, wird nun seine<br />

Einstellung offenbar. Für ihn ist <strong>de</strong>r Bischof<br />

„ein kranker Mann“, „ein Saukerl<br />

in seiner Kutte“, von <strong>de</strong>m er hofft, dass<br />

er bald „abkratzt“: Der wahre Glaube<br />

ist <strong>de</strong>r Nationalsozialismus, <strong>de</strong>r wahre<br />

Erlöser heisst Adolf Hitler, <strong>de</strong>r Führer<br />

ist es, <strong>de</strong>r „uns von Gott gesandt wur<strong>de</strong>“.<br />

Diese Sakralisierung <strong>de</strong>s Nationalsozialismus<br />

spiegelt sich auch in <strong>de</strong>r<br />

Lebensgeschichte Gebhardts, wie er sie<br />

nun vor Kremer ausbreitet: Gebhardt<br />

wollte Priester wer<strong>de</strong>n, nach <strong>de</strong>r Diakonatsweihe<br />

und kurz vor <strong>de</strong>r Priesterweihe<br />

habe er aber „<strong>de</strong>n schwarzen<br />

Rock <strong>de</strong>s Theologen gegen die schwarze<br />

Uniform ausgetauscht“ – sein „ganz<br />

persönlicher Aufstand gegen Gott“, zu<br />

<strong>de</strong>m er aber „innerlich längst wie<strong>de</strong>r<br />

zurückgekehrt“ sei. Und sein Motiv?<br />

Es ist die Möglichkeit, in dieser Bewegung<br />

„die Welt zu verän<strong>de</strong>rn ... mit am<br />

Rad <strong>de</strong>r Geschichte drehen“ zu können<br />

und damit wie Judas ein „I<strong>de</strong>alist“ und<br />

„Tatmensch“ zugleich zu sein. Auch<br />

dies ist eine Strategie <strong>de</strong>r Verführung:<br />

die Verführung nicht nur, ein „I<strong>de</strong>alist“<br />

zu sein, son<strong>de</strong>rn nach seinen I<strong>de</strong>alen<br />

die Welt zu formen und zu verän<strong>de</strong>rn.<br />

Doch es folgt noch eine letzte, und es<br />

ist die vielleicht erschreckenste: „Ach,<br />

hören Sie doch auf! Wissen Sie, Abbé,<br />

ich dachte, dass gera<strong>de</strong> Sie <strong>de</strong>n wahren<br />

Geist <strong>de</strong>s Judas begriffen haben! Wer<br />

„DER NEUNTE TAG“ © Cinetext<br />

weiß, wenn Sie dieses Wasser nicht getrunken<br />

hätten, dann wären Sie vielleicht<br />

<strong>de</strong>rjenige gewesen, <strong>de</strong>r vor Verzweiflung<br />

in <strong>de</strong>n Zaun gegangen wäre.<br />

Aber Sie haben eine Entscheidung getroffen.<br />

Sie haben Ihren Bru<strong>de</strong>r verraten,<br />

um zu überleben. Geben Sie diesem<br />

Leben endlich einen Sinn!“ Welches<br />

Angebot macht Gebhardt hier? Es<br />

ist – in an<strong>de</strong>ren Worten – vielleicht das<br />

Folgen<strong>de</strong>: „Du wolltest überleben. Deshalb<br />

hast du das Wasser nicht geteilt,<br />

und <strong>de</strong>shalb ist Nansen gestorben. Du<br />

lei<strong>de</strong>st unter <strong>de</strong>iner Tat. Aber unsere<br />

I<strong>de</strong>ologie gibt <strong>de</strong>iner Tat recht: Wir<br />

glauben, dass nur <strong>de</strong>r Starke überlebt<br />

und dass die Schwachen sterben müssen.<br />

Sie haben <strong>de</strong>n Tod verdient. Die<br />

Starken sind die Herrenmenschen, die<br />

Schwachen gehören ausgerottet. Wenn<br />

du dich uns anschließt, brauchst du<br />

dich nicht schuldig zu fühlen, son<strong>de</strong>rn<br />

kannst stolz auf <strong>de</strong>ine Tat sein!“ Es ist<br />

nicht an<strong>de</strong>res als eine Sakralisierung<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>s Nationalsozialismus:<br />

Sie kann das, was <strong>de</strong>r christliche Glaube<br />

von sich behauptet – <strong>de</strong>m Leben einen<br />

Sinn geben. Und welchem Leben?<br />

Ein Leben, das vom Gefühl <strong>de</strong>r Schuld<br />

geprägt ist, einen an<strong>de</strong>ren Menschen<br />

getötet zu haben, das kann die gleiche<br />

Tat nun stolz bekennen – Die Rechtfertigung<br />

<strong>de</strong>s Völkermor<strong>de</strong>s liegt hier<br />

nicht weit entfernt!<br />

Mit <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Untersturmführers<br />

Gebhardt gelingt Schlöndorff m.E. eine<br />

präzise Inkarnation <strong>de</strong>s Nationalsozialismus,<br />

ebenso wie die Mechanismen<br />

<strong>de</strong>r Verführung <strong>de</strong>r Film-Figur viel von<br />

<strong>de</strong>n sozialpsychologischen Mechanismen<br />

in sich tragen, die diesem Adolf<br />

Hitler <strong>de</strong>n Weg bahnten, <strong>de</strong>r Millionen<br />

in die Katastrophe führte. Der Typus <strong>de</strong>s<br />

kunstsinnigen, gebil<strong>de</strong>ten (Gebhardt hat<br />

Kremers Doktorarbeit gelesen) und lieben<strong>de</strong>n<br />

Familienvaters, <strong>de</strong>r am an<strong>de</strong>ren<br />

Tag <strong>de</strong>n Schießbefehl erteilt, ist keine<br />

Kunst- und Filmfigur, son<strong>de</strong>rn eine erschrecken<strong>de</strong><br />

Gestalt <strong>de</strong>r Geschichte.<br />

Doch wie reagiert Kremer auf die<br />

Versuchungen? Er argumentiert und<br />

setzt <strong>de</strong>n „wohlwollen<strong>de</strong>n“ Deutungen<br />

Gebhardts seine Erfahrung und damit<br />

die grausame Realität gegenüber. In <strong>de</strong>n<br />

„theologischen Disputen“ beharrt er<br />

auf seiner (kirchlichen und theologisch<br />

begrün<strong>de</strong>ten) Sicht und lehnt Gebhardts<br />

„Um<strong>de</strong>utungen“ ab. O<strong>de</strong>r aber:<br />

er schweigt. Erst im letzten dieser Gespräche,<br />

dann wenn es für ihn ernst<br />

wird, fällt es ihm offenbar schwer. Ein<br />

Ausbruch und ein Zusammenbruch sind<br />

die Folge. Am En<strong>de</strong> dieses Gespräches<br />

ergreift er aber die Initiative und stellt<br />

eine Frage: „Wenn ich tue, was Sie verlangen,<br />

was geschieht dann mit meinen<br />

<strong>INFO</strong> 34 · 1/2005<br />

UNTERRICHTSPRAXIS<br />

35<br />

Religion & Populär-Kultur

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