109Habe ich im Zusammenhang mit <strong>der</strong> ersten Du<strong>der</strong>städter Phase die Persönlichkeit desKünstlers vorzustellen versucht, so beschränke ich mich im Folgenden auf persönlichErlebtes, von dem niemand an<strong>der</strong>s mehr erzählen kann.Das Kennenlernen: Mitte September des vorletzten Kriegsjahres waren Van <strong>der</strong> <strong>Linden</strong>swie<strong>der</strong> in Du<strong>der</strong>stadt. Ein paar Tage später trafen sich unsere Wege. Erinnert sich jemand <strong>der</strong>Anwesenden an Kantor Jung in <strong>der</strong> Neutorstraße, <strong>der</strong> in St. Cyriakus die Orgel spielte? Er warunser Musiklehrer und fragte unser Grüppchen externer Schülerinnen des Gymnasiums aufeinem mittäglichen Heimweg von <strong>der</strong> Schule, was wir einmal werden wollten. Als die Reihean mich kam, bekannte ich, „gerne etwas mit Malen, aber ich weiß ja nicht, ob ich dazu genugkann“. „Erika lauf“, rief er, „da vorne geht einer, <strong>der</strong> was davon versteht!“Unvergesslich das Bild: Etwa zwanzig Schritt voraus, auf <strong>der</strong> gleichen Straßenseite, eine fürDu<strong>der</strong>stadt exotische Gestalt. Dreht den Kopf nach links hoch, nach rechts hoch, betrachtetwohl die Fachwerkarchitektur. Jedesmal hebt und senkt sich ein weißer Bart mit. WeißesHaar weht auch unter dem breitkrempigen Hut hervor. Den kugeligen Leib umhüllt einerotbraune Le<strong>der</strong>jacke, ein ebensolcher Gürtel läuft wie ein Äquator um ihre Mitte. KurzeBeine stecken in Wickelgamaschen und Jagdstiefeln. Nicht um alles in <strong>der</strong> Welt hätte ich denMut gehabt, den Herrn anzusprechen.Hatte Kantor Jung nicht etwas von „Bahnhofstraße 4 “ gesagt? Irgendwann stehe ich mit einerMappe voll Bleistiftzeichnungen unterm Arm vor dem Klingelschild „Professor <strong>Lode</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong><strong>Linden</strong>“. Es dröhnt gewaltig. Zu spät zum Weglaufen. Und dann liegen meine Bil<strong>der</strong> auf demTisch. Ich bin jemand, <strong>der</strong> aus dem Dickicht kommt und ziemlich deutlich den richtigen Wegsieht Doch <strong>der</strong> Professor lacht nur, lacht und streicht sich den Bart, während ich erkläre, dieseZeichnung sei hier, jener Baum dort entstanden. Ob ich für seine Frau einkaufen würde, siekönne schlecht laufen. Selbstverständlich, ich sauste! und versäumte nicht, einen kleinenSchlenker in mein Zimmerchen beim Tierarzt Dr. Wurth zu machen, auch in <strong>der</strong>Bahnhofstraße, und obenauf ein Ei aus dem Esspaketchen von Zuhause zu legen. Dieses Eiwar <strong>der</strong> Grundstein <strong>der</strong> Freundschaft mit Madame Van <strong>der</strong> <strong>Linden</strong> und meiner späterenLaufbahn im Cagibi (Kämmerchen).Als ich wie<strong>der</strong> klingele, um die Mappe abzuholen, funkeln des Professors dunkle Augenzornig, Haupthaar und Bart glänzen dunkelblau. Wo bin ich hingeraten! Die Lösung: Madamewar schon einmal für die Tochter ihres Mannes gehalten worden und hatte ihn zum Färbenüberredet. Nun war er gerade heimgekommen, böse auf das missratene Ergebnis, böse auf dieFriseurin, auf seine Frau und alle Welt. Und ausgelacht habe er mich auch nicht, habe sich nurgefreut bei <strong>der</strong> Entdeckung, dass auch ich es mit den Bäumen habe. „Kindje“, sagte er, „diekenne ich doch, da habe ich schon vor zwanzig Jahren gemalt!“Mir öffnete sich ein Himmelreich. Jede Woche durfte ich zum Malen kommen. Innerhalb <strong>der</strong>menschlichen Beziehungen ist die zwischen Lehrer und Schüler – egal ob Junge o<strong>der</strong>Mädchen – eine ganz beson<strong>der</strong>s beglückende, wenn beide vom gleichen Ideal beseelt sind, <strong>der</strong>Lehrer streng und gütig ist und versteht, die verborgenen Fähigkeiten des jungen Menschenans Licht zu heben und dieser <strong>der</strong> Weisheit des Älteren vertraut. Solcher Art war meinLernen.Zunächst hatte ich meine Palette aus Sperrholz selbst anzufertigen, eine Laubsäge hatten wirdamals alle. Das Daumenloch musste schräge Kanten haben. Dann galt es abwechselnd zuschmirgeln und Leinöl einzumassieren, sechs Wochen lang, bis die Fläche seidig wie einBabypo und ihre Oberfläche geschlossen war.
110Nun zwei Kostproben seiner Pädagogik: Zwiebeln in einer Tonschale sollte ich malen.Manche glänzten goldgelb, an<strong>der</strong>e hatten hier und da noch stumpf-graubraune knittrigeSchalenfetzen. Es ging um den Gegensatz zwischen Belebtem und Unbelebtem. Nun wird einÖlbild nicht in einer Sitzung fertig. Nach einer Woche hatten die Feldfrüchte zu keimenbegonnen. Die grünen Triebe gefielen mir und waren gelungen. Bei <strong>der</strong> nächsten Sitzungwaren sie gewachsen. Sollte ich die einzige gute Stelle im Bild kaputt machen? Ich pinselteringsherum und sparte sie aus. Die grünen Schlangen wuchsen weiter. Ahnte <strong>der</strong> Professornicht, wie ratlos ich war, warum half er mir nicht? Nach einigen Wochen sagte er schließlich:„Kindje, du musst erst lernen, das zu malen, was du siehst, Picasso spielen kannst du später.Und du siehst doch, dass die Zwiebeln in <strong>der</strong> Schüssel an<strong>der</strong>s aussehen als die, die du gemalthast“. Ich stückelte die Triebe mehrfach an, es sah erbärmlich aus. Der Professor legte garkeinen Wert darauf, dass ich schöne Bil<strong>der</strong> bei ihm malte, lernen sollte ich und zwar so vielan einem Bild wie in einem Semester Kunstakademie, denn er sei sehr krank und ich hätte ihnnicht mehr lange. Und ich glaube, diese Lektion begriffen zu haben: Genau beobachten, üben,üben, demütig werden.Ein weiteres Beispiel seiner Methode von Kunstpädagogik: Ich hatte für eine zugezogeneneureiche Familie <strong>der</strong>en Zweijährigen in Rötel zu porträtieren. Es war eine schwere Geburt,denn kleine Jungen sitzen nicht still. Beim Ausliefern <strong>der</strong> Zeichnung sollte ich hun<strong>der</strong>t Markfor<strong>der</strong>n. „Herr Professor, das kann ich nicht! Ich kann doch nicht für etwas, woran ich so vielgelernt habe, auch noch Geld verlangen!“ – Die Antwort: „Kindje“, Maler und Malers Kin<strong>der</strong>haben auch Hunger“. Und als ich mit hun<strong>der</strong>t Mark in <strong>der</strong> Tasche zurück kam: „Wenn duMalerin geworden bist und hörst eines Tages, ach, das Fräulein X, das ist doch die mit denhübschen Kin<strong>der</strong>köpfchen o<strong>der</strong> mit den schönen Blumenbil<strong>der</strong>n, tu das sofort in die untersteSchublade und zwinge dich, etwas Neues anzufangen! Dann werden sie sagen: Sie konntedoch so schön malen, kann sie das nicht mehr? Lass sie reden. Das wird sonst Routine, dannMasche und du lernst nicht genug dazu.“ Ich hab„s beherzigt und versuche, diese Maxime anmeine Schüler weiterzugeben.Ich solle öfter kommen, schneller lernen. Ich druckste herum. „Was ist los?“ Meine FreundinWaltraud, die aus dem ausgebombten Hannover aufs Land evakuiert worden war, sei danntraurig. „Bring sie mit!“ war die Antwort. Waltraud saß dann oft mit einem Buch still in einerEcke. Sie wurde ebenfalls unter die Fittiche und ins große Herz <strong>der</strong> beiden aufgenommen.Später wurden wir pauschal als „de kin<strong>der</strong>en“ herumgereicht.Das Himmelreich war mir vorübergehend verschlossen. Der Krieg war in den Osterferien1945 zu Ende. Am 4. Juli nistete sich eine Kompanie Russen auf unserem Forsthausgehöftein. Sie blieb lange. Als die Schule weiterging, die Ursulinen wie<strong>der</strong> unterrichten durften, lagmein Elternhaus in <strong>der</strong> sowjetisch besetzten Zone. Verkleidet als Kartoffelleserin gelang mirim Spätherbst 1945 die Flucht. Ich fand ein Zimmerchen bei Familie Gleitz Auf <strong>der</strong> Klappe.Das Malen ging nicht nur weiter, <strong>der</strong> Amtsschimmel sorgte sogar dafür, dass mein Lebennoch enger mit <strong>der</strong> Kunst und dem verehrten Professor verbunden wurde. Man schrieb mir,ich hätte mich am Soundsovielten im Lager Wipperfürth einzufinden, denn ich sei nochmin<strong>der</strong>jährig und dürfe daher nicht allein wohnen. Der Professor parlierte kurz mit seinerFrau in mehreren Sprachen, runzelte die Stirn: „Jetzt gehst du auf deine Klappe, packst deineSiebensachen, und jetzt wohnst du bei uns!“ Von da an durfte ich „Onkel Ludwig“ und„Tante Johanna“ sagen. Das selbstlose Handeln <strong>der</strong> beiden großherzigen Menschen wurde mirzum Segen.
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