111Van <strong>der</strong> <strong>Linden</strong>s bewohnten zwei Räume, hatten we<strong>der</strong> Bad noch Küche o<strong>der</strong> Atelier und nureinen Tisch, alles war eng und improvisiert. Allabendlich trugen wir unter Absingen einerflämischen Parodie auf Lohengrins Hochzeitsmarsch die Chaiselongue aus dem Schlafzimmervor das Cagibi, das war mein Bett. Abends fand sich eine Runde Kunstinteressierter ein. Icherinnere mich an Amtsgerichtsrat Jünemann, manchmal war Dankwart dabei, ein ganzgescheiter Junge mit großer Brille; an Dr. Caselmann und Dr. Schönhärl, an Familie Dr.Röhrig und Dr. Gleitze. Später kamen UNRA-Offiziere samt ihren deutschen Freundinnenhinzu. Mein Ohr gewöhnte sich an Flämisch und Französisch, ich war verantwortlich für dieKaffeekanne und das DIN A4 große Kuchenblech im Cagibi, so nannten wir die abgetrennteMini-Küchenecke des Zimmers für alles.Eines Abends war ich todmüde, am an<strong>der</strong>en Morgen drohte eine Mathearbeit. Man beschloss,ich dürfe unter den Überwurf von Tante Jokes Bett kriechen. Stockgerade lag ich, um nichtszu verknittern. An<strong>der</strong>ntags erfuhr ich, dass man sich über ein Schnarchen von irgendwoheramüsiert habe.Immer mehr herrliche Gemälde entstanden, lehnten gefährdet an <strong>der</strong> Wand. Da adelte <strong>der</strong>Meister eine große Holzkiste zum Bil<strong>der</strong>schrank, indem er sie senkrecht stellte, Türenanbrachte und schwarz-rot-goldene Affen darauf malte. Wir liebten diesen Schrank! WennInteressierte kamen, war <strong>der</strong> Affenschrank mein Ressort. Ich hatte für Beleuchtung zu sorgen,Bild um Bild auf die Staffelei zu stellen und nach angemessener Zeit wie<strong>der</strong> herunter zuheben. Das war anstrengend und lehrreich. Im Schatten stehend beobachtete ich die Reaktion.Manches Mal wusste ich sie im Voraus. Wer „Ach wie schön!“ schwärmte, fand Verachtung.War jemand am Kauf interessiert, litt ich und war eifersüchtig.Wann, ist mir nicht erinnerlich, wir zogen um in die Worbiser Straße direkt am Wall, in dieVilla Bernhard. Ich hatte ein eigenes Zimmerchen, das Cagibi hatte ausgedient. ImWintergarten warteten des Meisters Staffelei, Palette und Spachtel. Dort entstand dasAltersporträt. Die Gesprächsrunden florierten weiter, ebenso Tante JohannasDeutschkenntnisse. Eines Tages wurde draußen Musik laut. Sie sah im Wintergarten hinaus:„Es ist nichts, die Feuerwehr hat nur Exerzitien“.Nach dem Abitur Ostern 1947 bezog ich die Uni Göttingen. An Wochenenden wurde gemalt,ich holte mir die Kin<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Straße herein und porträtierte sie reihenweise und OnkelLudwig erzählte mir von „Rubens & Co“. Wenn es die Schmerzen erlaubten, gingen wir einStück über den Wall. Er stützte sich dabei auf meinen Arm und einen Gehstock. „Kindje,kuck doch de Krapplack in de lycht ... und da de Zinnober...!“ Ich sah nur blauen Himmel,schwieg aber ehrfurchtsvoll – heute sehe ich Krapplack o<strong>der</strong> Zinnober im Blau und versuche,auch meine Schüler das Sehen zu lehren.1950 „vertreken“ Van <strong>der</strong> <strong>Linden</strong>s in die Heimat. Zehn Schaffensjahre sind dem Künstlernoch vergönnt. Ich war Studentin in Regensburg und nur noch strähnenweise in Antwerpen.Mindestens dreimal wöchentlich wurden Briefe gewechselt. Ich habe sie in den letzenWochen nochmals gelesen und das Heimweh von damals, die Not, die Hilflosigkeit, dasSichdurchbeißen, den Jubel, wenn etwas voranging, nochmals durchlebt.Das Häuschen in <strong>der</strong> Lange Leemstraat war beschädigt, bestohlen, die Heizung kaputt. EinigeBriefstellen aus den ersten Monaten lassen ahnen, wie schwierig es für die beiden war: Habeangepinselt. Das Atelier ist fertig, <strong>der</strong> einzige Ort, an dem ich meine Schmerzen vergesse.Habe Backsteine geschleppt, den Kamin wie<strong>der</strong> aufgemauert. Liege auf dem Sofa im Atelier,
112habe Blutungen, <strong>der</strong> Arzt hat mir völlige Ruhe verordnet, ich schufte über meine Kräfte. Eskommt langsam wie<strong>der</strong> Atmosphäre, wer nicht weiß, wie„s vorher war, findet„s schön.O<strong>der</strong>: Musste eine Schelde abgeben, sollte in die Ausstellung, aber sonst kann ich keineRahmen bezahlen. Habe mein GOLGATHA fertig, das erste Bild in Flan<strong>der</strong>n! Es ist zu klein,so ein Thema sollte zwei auf drei Meter haben, aber wenn die Leute es angucken und ein paarsagen, da habe auch ich zu beigetragen, dann ist meine Aufgabe erfüllt.Er schafft es noch, mit eigenen Händen und denen eines Gärtnergehilfen im Dorf Ranst beiAntwerpen ein Bauernhäuschen zu bauen, die Cluyse ter <strong>Linden</strong> wird ein Kleinod. Bei jedemBesuch – meine älteren drei Kin<strong>der</strong> haben sie noch kennengelernt – war wie<strong>der</strong> etwaskomplettiert o<strong>der</strong> angebaut, erst eine Pergola, dann die zweite. Das Erdbeerbeet war zuhacken, die Pflaumen waren herunterzuholen. Selten hatten Waltraud und ich beide, OnkelLudwig und Tante Johanna, vorher so strahlend gesehen!Ein Schlusswort zum Maler und den Bil<strong>der</strong>n: Wir gingen aus von <strong>der</strong> Frage, wer <strong>Lode</strong> <strong>van</strong><strong>der</strong> <strong>Linden</strong> sei. Er hat sich selbst auch befragt, denn nichts an<strong>der</strong>es sind Selbstbildnisse. Zweibefinden sich in <strong>der</strong> Ausstellung, und mit ihnen können wir den Bogen schlagen vom Beginn<strong>der</strong> ersten Du<strong>der</strong>städter Periode bis zum Ende <strong>der</strong> zweiten.Jenes „Zelfportret“ von 1921 zeigt den 33jährigen nach den schlimmen Jahren <strong>der</strong>Gefangenschaft. Er betritt den Bildraum von rechts kommend, ein wenig zaghaft scheint„s, soals habe er noch kein rechtes Zutrauen wie<strong>der</strong> zum Leben. Dem Antlitz sieht man dieKrankheit an, aber aus dem schmalen Hochformat sprechen auch Stolz und Selbstachtung. Erist wie<strong>der</strong> jemand, „een rasecht Sinjoor“ (ein Herr).Das gespachtelte Altersporträt ist eins <strong>der</strong> letzten Du<strong>der</strong>städter Bil<strong>der</strong> 5 . Der Künstler blickternst und in sich ruhend zu uns her wie von einer entfernten Warte aus. Intrigen undBeleidigungen erreichen ihn nicht mehr. Zwei Fragen bewegen ihn: „Habe ich gut gemalt?“und „Bin ich mir treu geblieben?“ „Bene pinxisti - du hast gut gemalt“, bestätigen ihmFreunde und Kritiker.Die zweite Frage beantwortet das Gemälde „Leidenstuch“ 6 . Dieses stille Bild ist aus <strong>der</strong>gleichen Werkphase – Ende <strong>der</strong> Du<strong>der</strong>städter und Beginn <strong>der</strong> ihm in Antwerpen nochbleibenden Zeit –, in <strong>der</strong> figürliche und religiös-symbolische Gemälde entstehen. „Multa Tuli– ich habe viel getragen“, hat <strong>der</strong> Künstler es im Untertitel genannt. Es trägt ebenfalls seineZüge, lässt die physischen Schmerzen ahnen und die Wunden, die Enttäuschung und Verrat in<strong>der</strong> Seele angerichtet haben. Beides hat er ohne Rachegefühle angenommen. Ja, du bist dirund deinen Idealen treu geblieben. Wenn Oscar Wilde sagt, ein guter Künstler lebe nur inseinen Werken, als Persönlichkeit sei er daher völlig uninteressant, wi<strong>der</strong>sprechen wir. BeiVan <strong>der</strong> <strong>Linden</strong> sind Kunst und Leben nicht zu trennen.Er war offen, aber religiös gebunden. Es genügte ihm nicht, die Welt zu zeigen, „wie sie ist“ –wie es heute vielfach geschieht, voll Dreck, halb zerstört, und Ökonomie wird gegenKreativität ausgespielt. <strong>Lode</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Linden</strong> ist mit uralten Kräften und Gesetzmäßigkeitenvertraut und erinnert uns daran, wie die Welt sein könnte. Wurde er in Du<strong>der</strong>stadt <strong>der</strong> Maler<strong>der</strong> Rhumequelle, in <strong>der</strong> Heimat <strong>der</strong> Maler <strong>der</strong> Schelde, nennt man ihn nun „de schil<strong>der</strong> <strong>van</strong>de hoop“, den Maler <strong>der</strong> Hoffnung.5 In <strong>der</strong> Ausstellung aus <strong>der</strong> Sammlung Waltraud Mosiek. Frau Mosiek hat es <strong>der</strong> Stadt Du<strong>der</strong>stadt vermacht.6 Befindet sich in einer Gildekapelle <strong>der</strong> Kirche „Unsere Liebe Frau zur Zuflucht“ am Antwerpener Schuhmarkt
- Seite 1 und 2:
Dr. Matthias GleitzeLode van der Li
- Seite 3 und 4:
Paul and daughters Roycene and Marl
- Seite 5 und 6:
4Einladungen und Plakat zur Ausstel
- Seite 7 und 8:
6Im Hinblick auf den 50. Todestag L
- Seite 9 und 10:
8Grußwort von Hans-Peter Menge, Re
- Seite 11 und 12:
10Biografische Daten Lode van der L
- Seite 13 und 14:
12- Golgatha (Weltenbrand)- Selbstp
- Seite 15 und 16:
14Ruhestätte suchen wir nicht in d
- Seite 17 und 18:
16(ein Regensburger Maler und Archi
- Seite 19 und 20:
18verantwortlich für ihre Taten.
- Seite 21 und 22:
20In der Zeit von 1917 bis 1927 sow
- Seite 23 und 24:
22Maria van der Linden, Schwester L
- Seite 25 und 26:
24Lode van der Linden (31 Jahre) an
- Seite 27 und 28:
26Lode van der Linden (42 Jahre), 1
- Seite 29 und 30:
28Joanna van der Linden (37 Jahre),
- Seite 31 und 32:
30Lode van der Linden (59 Jahre) in
- Seite 33 und 34:
32Lode van der Linden beim Bau des
- Seite 35 und 36:
34Lode van der Linden in Ranst, 195
- Seite 37 und 38:
36Im Hauptbahnhof Antwerpen, 1951Vo
- Seite 39 und 40:
38Lode van der Linden und Waltraud
- Seite 41 und 42:
40Von links: Joanna und Lode van de
- Seite 43 und 44:
42Im Atelier in der Langen Leemstra
- Seite 45 und 46:
44Lode van der Linden (67 Jahre) un
- Seite 47 und 48:
46Im Atelier in der Langen Leemstra
- Seite 49 und 50:
48Joanna van der Linden (53 Jahre),
- Seite 51 und 52:
50Joanna van der Linden (82 Jahre),
- Seite 53 und 54:
52Insignie (Zipfel) der Ehrenphilis
- Seite 55 und 56:
54Veröffentlichung im Göttinger T
- Seite 57 und 58:
56Veröffentlichung in „De Standa
- Seite 59 und 60:
58dreht die Uhr wohl eine ganze Zei
- Seite 61 und 62: 60Zum Anlass seines 65sten Geburtst
- Seite 63 und 64: 62Der Vater fasste den Entschluss,
- Seite 65 und 66: 64zu belassen. Lode van der Linden
- Seite 67 und 68: 66Antwerpen, 19-2-57Sehr geehrter H
- Seite 69 und 70: 68er so viele Jahre in der Nähe de
- Seite 71 und 72: 70Veröffentlichung im Göttinger T
- Seite 73 und 74: 72Frau Lode VAN DER LINDEN, geboren
- Seite 75 und 76: 74Er hat die Natur geliebt: in ihre
- Seite 77 und 78: 76Dass das Andenken an Lode van der
- Seite 79 und 80: 78Große Retrospektive zu Lode van
- Seite 82: 81Das Leidenstuch, Ölgemälde von
- Seite 85 und 86: 84Zu allererst nimmt man nichts als
- Seite 87 und 88: 86Veröffentlichung in der Südhann
- Seite 89 und 90: 88Tod von Joanna van der Linden
- Seite 91 und 92: 90In dankbarer Erinnerung anFrauJoa
- Seite 93 und 94: 92Ein Kenner und Verehrer des Maler
- Seite 95: 94Einladung zur offiziellen Eröffn
- Seite 98 und 99: 97Veröffentlichung im Eichsfelder
- Seite 100 und 101: 99Beine gebracht hat. Es ist unser
- Seite 102 und 103: 101Sie haben noch bis gestern Abend
- Seite 104 und 105: 103mit Dr. Bertram einen Plan, den
- Seite 106 und 107: 105während seines zweiten Aufentha
- Seite 108 und 109: 107der Gefangenschaft Joseph van de
- Seite 110 und 111: 109Habe ich im Zusammenhang mit der
- Seite 114 und 115: 113Er war ein würdiger Botschafter
- Seite 116 und 117: 115Von links: Joachim Schmelter (So
- Seite 118 und 119: 117Die FestkoronaGrußwort des Staa
- Seite 120 und 121: 119Beim Essen der Ehrengäste im Ra
- Seite 122 und 123: 121Blickfang: Vorwiegend sind Lands
- Seite 124 und 125: 123zu tragen. Seine Einführung in
- Seite 126 und 127: 125Ausklang der Ausstellung von Wer
- Seite 128 und 129: 127Werke von Lode van der Linden (A
- Seite 130 und 131: 129Bleistiftzeichnung „Am Sandwas
- Seite 132 und 133: 131Aus der Broschüre 30 Jahre Jäg
- Seite 134 und 135: 133
- Seite 136 und 137: 135Von Lode van der Linden gestalte
- Seite 138 und 139: 137Ölgemälde auf Metall „Hahlet
- Seite 140 und 141: 139Bleistiftskizze „Landhaus in R
- Seite 142 und 143: 141Lesezeichen, 25.12.1949 (Private
- Seite 144 und 145: 143Kreidezeichnung „Baum am Duder
- Seite 146 und 147: 145Skizzen aus dem Zoo Antwerpen, 1
- Seite 148 und 149: 147Ölgemälde „Flusslandschaft i
- Seite 150 und 151: 149Ölgemälde „Flämische Winter
- Seite 152 und 153: 151Ölgemälde „Rhumequelle“ (P
- Seite 154 und 155: 153Ölgemälde „Flämische Landsc
- Seite 156 und 157: 155Ölgemälde „Das äußere West
- Seite 158 und 159: 157Ölgemälde „Flämische Landsc
- Seite 160 und 161: 159Ölgemälde „Flämische Winter
- Seite 162 und 163:
161Ölgemälde „Blutbuche bei Rot
- Seite 164 und 165:
163Ölgemälde „Stelle der Erlegu
- Seite 166 und 167:
165Ölgemälde auf Kupfer „Duders
- Seite 168 und 169:
167Ölgemälde „Birkenallee“, 1
- Seite 170 und 171:
169Ölgemälde „Landschaft in Fla
- Seite 172 und 173:
171Ölgemälde „Winterlandschaft
- Seite 174 und 175:
173Ölgemälde „Winterwald“, 19
- Seite 176 und 177:
175Ölgemälde „Rhumequelle“, 1
- Seite 178 und 179:
177Ölgemälde „Pappeln“ (Priva
- Seite 180 und 181:
179Ölgemälde „Birkenmoor“ (Pr
- Seite 182 und 183:
181Ölgemälde „Wintermondnacht
- Seite 184 und 185:
183Ölgemälde auf Leinwand „Wohn
- Seite 186 und 187:
185Ölgemälde auf Malpappe „Wint
- Seite 188 und 189:
187Ölgemälde „Birkenhain“ (Pr
- Seite 190 und 191:
189Ölgemälde auf Pappe „Waldweg
- Seite 192 und 193:
191Ölgemälde auf Pappe „Birkenm
- Seite 194 und 195:
193Aquarell auf Papier „Waldweg
- Seite 196 und 197:
195Ölgemälde auf Kupfer „Knorri
- Seite 198 und 199:
197Ölgemälde auf Holz „Duderst
- Seite 200 und 201:
199Ölgemälde „Lode van der Lind
- Seite 202 und 203:
201Ölgemälde „Rhumequelle“, 1
- Seite 204:
203Ölgemälde Erika Schmelters M.