Umweltbelastungen und Gesundheit 9. Juni 1999 - Toxnet Infoportal ...
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WER SAGT, DIE UMWELT HABE IHN KRANK GEMACHT, DER IST VERÜCKT<br />
beruflichen Umwelt. Vgl. dazu auch die Studie von Prof. Maschewski, »Sind Maler, Drucker, Ingenieure<br />
überempfindlich?« Berlin <strong>1999</strong>, die unseren Aktenanalysen weitgehend entspricht. Der Autor hat im<br />
Zeitraum vom März 1997 bis Oktober 1998 die Daten von 613 MCS-PatientInnen ausgewertet <strong>und</strong><br />
kommt u.a. zu dem Schluß: 1) »Berufe mit deutlich erhöhtem MCS-Risiko sind v.a. bestimmte männlich<br />
dominierte technische, Handwerks- <strong>und</strong> Fertigungs-Berufe, wie Drucker, Maler/Lackierer, Raumausstatter,<br />
Chemieberufe, Metallverbinder (v.a. Schweißer) <strong>und</strong> Ingenieure«, <strong>und</strong> 2) »MCS-Betroffene<br />
zeigen keine auffälligen psychosozialen Belastungen, dagegen hohe Arbeitsumwelt-Belastungen,<br />
besonders hinsichtlich chemischer Luftbelastung <strong>und</strong> sonstigem Schadstoff-Kontakt«.<br />
Nimmt man die Diagnosen unter die Lupe, zeigt sich denn auch sehr rasch: Sie erfüllen keines der Kriterien,<br />
die die Psychiatrie <strong>und</strong> ihre Schwesterdisziplin, die Psychologie, mit dem Ziel entwickelt<br />
haben, zutreffend diagnostizieren zu können. Wir stoßen auf Selbstreferentialität: Die PatientInnen<br />
sind psychisch erkrankt, weil sie Wahnideen erliegen, oder: Sie verfolgen Wahnideen, weil sie psychisch<br />
krank sind.<br />
In PatientInnenkreisen kursiert das böse Wort von den Schizophrenenfabriken. Dort gehen UmweltpatientInnen<br />
mit laufendem Frühverrentungsantrag rein <strong>und</strong> kommen als Schizophrene wieder raus –<br />
sofern sie kein Sterbenswörtchen über mögliche Ursachen verlieren. Die Bestätigung der Frühverrentung<br />
ist dann nur noch Formsache. Wir haben Hinweise, dass durch einzelne B<strong>und</strong>esländer vielfach<br />
beschäftigte Gutachter reisen, die PatientInnen zuvor in kargen Hotelzimmern die dafür nötigen<br />
Anweisungen geben.<br />
Ein Kühltechniker aber, der während seiner Arbeit – der Beweislage nach hochwahrscheinlich – Opfer<br />
des illegalen Einsatzes von Hydrazin <strong>und</strong> anderer hochgefährlicher Kühlwasserzusatzstoffe wurde, wird<br />
per gutachterlichem Federstrich zum Schizophrenen – gleichsam mit »Sternchen«. Die Logik hier: Wer<br />
einem renommierten Universitätsinstitut unterstellt, verbotene Substanzen benutzt zu haben <strong>und</strong> den<br />
Staatsanwalt zwecks Ermittlungen einschaltet, der leidet unter Persönlichkeitsspaltung.<br />
Eine solche Schizophrenie mit Sternchen bedingt keine rentenberechtigende Erwerbsunfähigkeit – sei<br />
der Versicherte auch noch so multimorbid. Psychiatrisch-psychopathologische Diagnosen scheinen<br />
hier die Rolle eines unterdrückenden Steuerungsinstrumentes zu spielen.<br />
UmweltpatientInnen wird demonstriert, sie sind ausgeliefert. Bevor sie eine beliebige Praxis oder ein<br />
Krankenhaus betreten, ist die K<strong>und</strong>e über ihren Wahn schon da. Bevor sie auch nur eine Frage stellen<br />
können, präsentiert der Doktor die Antwort – <strong>und</strong> verabreicht schmerzhafte »Nadelstiche«, verbal <strong>und</strong><br />
zu angeblich diagnostischen Zwecken.<br />
Im Bannstrahl der Rhetorik<br />
Psychiatrische Diagnosen mit Sternchen: Der Titel einer Ärzte-Großveranstaltung im Herzzentrum<br />
Münchens im März <strong>1999</strong> lautete »MCS: Fiktion oder Wirklichkeit?« Die wohl meisten Vorträge ließen<br />
keinen Zweifel daran, dass UmweltpatientInnen ihrer Fiktion erliegen <strong>und</strong> neuen Modekrankheiten auf<br />
den Leim kriechen- wie in der Medizingeschichte schon so viele vor ihnen.<br />
Dass Schadstoffe <strong>und</strong> andere humanmedizinisch bedenkliche Belastungen in Umwelt- bzw. in Arbeitsumweltmedien<br />
bei der Entstehung »der Fiktion« der PatientInnen eine zentrale Rolle spielen,<br />
wurde von fast allen Rednern verworfen. Begründung: Man habe nichts gef<strong>und</strong>en. Man hatte nur sehr<br />
wenige untersucht, glaubte aber offenbar pars pro toto schließen zu können.<br />
Man empfahl den versammelten Ärzten, mit solchen PatientInnen nicht zu diskutieren, sie vielmehr<br />
verhaltenstherapeutisch zu kurieren. Sie sollten veränderte Reaktionsschemata mit dem Ziel einüben,<br />
nicht etwa Belastungssituationen meiden zu lernen, sondern die Angst davor zu überwinden. Wer<br />
nicht flüchtet <strong>und</strong> fleißig lernt, das notwendige Übel auszuhalten, kriegt Lob für den Erfolg – wie<br />
Zucker der Affe.<br />
Der Begriff der »Fiktion« entstammt nicht der eigentlich psychiatrischen Fachterminologie wie etwa<br />
der der Halluzination. Der Begriff der Fiktion nähert sich in seinem Bedeutungsgehalt dem Begriff der