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doppel:punkt 2013:02 Fachzeitschrift für Bibliotheken in der ...

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schwer<strong>punkt</strong> : auf reisen se<strong>in</strong>s1verän<strong>der</strong>ung ist etwas ganz normalesim gespräch mit ilija trojanowDas Reisen, e<strong>in</strong> Leben mit und <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kulturenund die Verfasstheit <strong>der</strong> gegenwärtigen Gesellschaftwaren u. a. Themen e<strong>in</strong>es Gesprächs, das<strong>der</strong> <strong>doppel</strong>:<strong>punkt</strong>mit dem <strong>in</strong> Wien lebenden Schrift-steller Ilija Trojanow Ende Mai geführt hat. Ortsverän<strong>der</strong>ungen,die Konfrontation mit neuen kulturellenKontexten und ihr Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong>greifen ziehen sich sowohldurch die Biografie als auch das literarischeSchaffen des Autors, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Flucht aus dem kommunistischenBulgarien <strong>in</strong> Kenia, Deutschland, Indien,Südafrika und Österreich se<strong>in</strong>en Lebens mittel<strong>punkt</strong> gehabthat. 2006 wurde se<strong>in</strong> Roman Der Weltensammlermit dem Preis <strong>der</strong> Leipziger Buchmesse gewürdigt.|dopu| Ilija Trojanow, das Motiv des Reisens stellt e<strong>in</strong>es<strong>der</strong> prägenden Elemente Ihres schriftstellerischenWerks dar. Sehen Sie sich selbst als Reiseschriftsteller?|I.T.| Ne<strong>in</strong>, denn im deutschsprachigen Literaturraumhat sich ke<strong>in</strong>e Tradition für diese Art <strong>der</strong> schriftstellerischenTätigkeit ausgebildet; sie erschöpft sich zumeist<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er oberflächlichen Herangehensweise nach demMotto Ich kam, sah und beschrieb. In <strong>der</strong> englischsprachigenLiteratur h<strong>in</strong>gegen begreift Travel Writ<strong>in</strong>g dieReise sehr wohl als e<strong>in</strong>e existenzielle Reise. Davonabgesehen s<strong>in</strong>d Motive des Reisens, <strong>der</strong> Pilgerschaft,<strong>der</strong> Vertreibung zentrale literarische Themen - viele<strong>der</strong> großen Schriftsteller waren auch große Reisendeund haben ihre Erfahrungen und E<strong>in</strong>drücke <strong>in</strong> Formvon Tagebüchern, Reisenotizen u. Ä. festgehalten.Das mo<strong>der</strong>ne Reisen sehe ich eher als massen<strong>in</strong>dustrielleErmöglichung von simulierten und konsumierbarenErfahrungen, vergleichbar mit musealen Besuchen.Ja, es ist zwar e<strong>in</strong> Ortswechsel, e<strong>in</strong>e klimatischeVerän<strong>der</strong>ung gegeben, aber man begibt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ennach globalem Geschmack kuratierten Raum,<strong>der</strong> für alle e<strong>in</strong>igermaßen gleich ist. Das, was Reisenwirklich ausmacht - das Unerwartete, die Gefährdungdes Mitgeführten (also <strong>der</strong> eigenen Positionen, Wert-und Vorurteile, Perspektiven), das Sich-Aussetzen und<strong>der</strong> offene Ausgang <strong>der</strong> Reise - auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong>Verän<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Reisende selbst unterliegt - istfast zur Gänze abhanden gekommen. Die Reise<strong>in</strong>dustrietritt mit dem Heilsversprechen <strong>der</strong> Sicherheit an,und Sicherheit ist def<strong>in</strong>itiv <strong>der</strong> Todfe<strong>in</strong>d des Reisens.Was mich betrifft, sehe ich <strong>in</strong> diesem Zusammenhange<strong>in</strong>e <strong>doppel</strong>te Prägung: Da war die erzwungeneMigration im Alter von sechs Jahren, aus dem kommunistischenOstblock <strong>in</strong> den Westen, d. h. <strong>in</strong>s italienischeAuffanglager und danach nach Deutschland.In Folge hat me<strong>in</strong> Vater e<strong>in</strong>e Anstellung <strong>in</strong> Kenia gefunden,und wir wechselten von e<strong>in</strong>em Kont<strong>in</strong>ent auf denan<strong>der</strong>en. Verän<strong>der</strong>ung als etwas ganz Normales anzusehen,wurzelt also <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit. Dazu kamnatürlich die Lust am frei gewählten Reisen, die sich <strong>in</strong>me<strong>in</strong>en Jugendjahren ausbildete.|dopu| Wie ist es dazu gekommen, dass sich dieseReiselust, diese Bereitschaft, sich auf Unbekanntes e<strong>in</strong>zulassen,so stark manifestierte?|I.T.| Weiße leben <strong>in</strong> Afrika <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art privilegiertemGhetto, was weniger mit <strong>der</strong> Hautfarbe zu tun hat alsmit <strong>der</strong> sozialen Stellung. Da ich <strong>in</strong> Kenia fünf Jahre <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em konservativen englischen Internat verbrachthabe, das von se<strong>in</strong>er Philosophie her Privilegien alsverpönt ansah und dessen Schülerschaft sich jeweilszu e<strong>in</strong>em Drittel aus Afrikanern, In<strong>der</strong>n und Europäernzusammensetzte, erfuhr diese Ghettoisierung <strong>in</strong> me<strong>in</strong>emFall e<strong>in</strong>e gewisse Korrektur - ich hatte e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellesUmfeld. Nichtsdestoweniger wollte ich mitdem privilegierten Status des Europäers brechen und<strong>doppel</strong>:<strong>punkt</strong> <strong>2013</strong>:2

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