13.07.2015 Aufrufe

doppel:punkt 2013:02 Fachzeitschrift für Bibliotheken in der ...

doppel:punkt 2013:02 Fachzeitschrift für Bibliotheken in der ...

doppel:punkt 2013:02 Fachzeitschrift für Bibliotheken in der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

s2schwer<strong>punkt</strong> : auf reisen se<strong>in</strong><strong>doppel</strong>:<strong>punkt</strong> <strong>2013</strong>:2habe mit Freunden die übliche jugendliche Rebellionausgelebt, z. B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art, wie wir reisten: In e<strong>in</strong> Matatu(Sammeltaxi; Anm. d. Red.) e<strong>in</strong>zusteigen, war für Europäerundenkbar - wir benutzten sie. Wir reisten mitdem Rucksack quer durchs Land, per Anhalter, <strong>in</strong> übervollenBussen und Zügen - eben wie die E<strong>in</strong>heimischen.So sah ich mich mit e<strong>in</strong>er mir völlig neuen undunbekannten Welt konfrontiert, was me<strong>in</strong> gesamtesDenken verän<strong>der</strong>t hat. Als 16-, 17-Jähriger wurde mirplötzlich klar, dass ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land gelebt hatte,ohne <strong>in</strong> diesem wirklich zu leben. Ich wollte endlichdie Vielfalt <strong>der</strong> Lebensformen Afrikas kennen lernen.Me<strong>in</strong> allererstes Buch, das noch <strong>in</strong> Kenia entstandenwar, sollte auch an den überkommenen europäischenVorstellungen von Afrika rütteln: Was hat man vor 20Jahren schon mit Afrika verbunden? Wildreservate, dieSerengeti <strong>der</strong> Grzimeks, Flüchtl<strong>in</strong>gsströme und Naturvölker,etwa die stolzen Krieger <strong>der</strong> Massai. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>esNebenmotiv verkörpert das erotisierte und erotisierendeAfrika - <strong>der</strong> virile afrikanische Mann und die exotischeafrikanische Schönheit, was bis heute nachwirkt:Werfen Sie e<strong>in</strong>en Blick auf die letzte Buchmessen-Beilage<strong>der</strong> Zeit: Die Schriftsteller<strong>in</strong> Taiye Selasi f<strong>in</strong>det sicham Cover als afrikanische Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> <strong>in</strong>szeniert - e<strong>in</strong>e<strong>der</strong> Duftmarken des Exotismus ist zweifellos die Erotik.|dopu| Haben Sie sich <strong>der</strong> Vielfalt Afrikas <strong>in</strong> Ihrer Jugendauch literarisch genähert?|I.T.| Ich war ungefähr zehn, als ich zu e<strong>in</strong>em lesendenStaubsauger wurde - ich habe Bücher über Afrikaverschlungen. Diese Literatur beleuchtete Afrika meistvom europäischen Blickw<strong>in</strong>kel aus. Später, als ich selbst<strong>in</strong> Buchhandlungen g<strong>in</strong>g - zur für Afrika so immenswichtigen mündlichen Erzähltradition hatte ich damalsnoch ke<strong>in</strong>en Zugang-, habe ich afrikanische Literatenwie etwa Meja Mwangi kennen gelernt. Geme<strong>in</strong>sammit me<strong>in</strong>en afrikanischen Mitschülern konnte ich erreichen,dass die Literatur des Kont<strong>in</strong>ents auch alsSchullektüre akzeptiert wurde.Die Betrachtung Afrikas aus diesen unterschiedlichenPerspektiven hat mich - wie übrigens auch dasReisen - gelehrt, dass <strong>der</strong> Blick auf die sche<strong>in</strong>bar gleicheRealität <strong>in</strong>dividuell völlig unterschiedlich ausfällt.Viele AutorInnen reisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Land und beschreibenMenschen, Strukturen, Traditionen ohne zu bedenken,dass sie bloße Momentaufnahmen vermitteln,die nach e<strong>in</strong>em längeren Aufenthalt gänzlich an<strong>der</strong>sausfallen würden, geschweige denn aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong>E<strong>in</strong>heimischen. Man muss also die verschiedenen Perspektivenmitdenken, zu Wort kommen lassen.Dieser polyphone Ansatz hat mit Achtung vor demFremden und den Menschen, aber auch vor dem eigenenHandwerk zu tun. Vor vorschnellen Urteilen undunzulässigen Verallgeme<strong>in</strong>erungen waren <strong>in</strong> Bezug aufIndien nicht e<strong>in</strong>mal Schriftsteller wie Pier Paolo Pasol<strong>in</strong>iund Günter Grass gefeit. Hierbei mag auch dieSchattenseite <strong>der</strong> europäischen Aufklärung das Ihredazu beitragen: Respekt und Toleranz, Menschen- undBürgerrechte haben <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Grenzen <strong>der</strong> ZivilisationGültigkeit, im Dschungel, den es zu zähmenund zu strukturieren gilt, jedoch nicht.|dopu| Ihre Biografie ist durch e<strong>in</strong>e Vielzahl geogra-fisch-kultureller Bezugs<strong>punkt</strong>e charakterisiert. Wie ste-hen Sie dem Heimatbegriff gegenüber, <strong>der</strong> aktuell undzum wie<strong>der</strong>holten Male e<strong>in</strong>e nationalistische Instrumentalisierungerfährt?|I.T.| Wie <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Migrantenfamilie wurde auch beiuns das Bild <strong>der</strong> verlassenen Heimat idealisiert - manlebt so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em merkwürdigen ahistorischen Raum.Unser Bulgarien-Bild speiste sich daher aus den nostalgischenK<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen me<strong>in</strong>er Eltern und demWunsch, bestimmte Traditionen, Brauchtum, das kulturellUngefährliche zu pflegen. Als ich das erste Malnach Bulgarien zurückgekehrt b<strong>in</strong>, war ich sehr emotionalisiert.Das Bild, das ich <strong>in</strong> mir trug, hat sich jedoch<strong>in</strong>nerhalb weniger Wochen verflüchtigt.Nationalismus sehe ich als e<strong>in</strong>e machtpolitisch motivierteInstrumentalisierung des ungebildeten E<strong>in</strong>zelnenzur Durchsetzung elitärer Interessen, als e<strong>in</strong>e hysterischePathologie. Offensichtlich ist die höchste Vollendungdes Nationalismus Gruppenhysterie, e<strong>in</strong> merkwürdigerKult, den man, wenn er <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en kulturellenKontexten praktiziert wird, lachhaft f<strong>in</strong>det.|dopu| Wie könnte e<strong>in</strong>e Immunisierungsstrategie gegendiese Vere<strong>in</strong>nahmung breiter Massen aussehen?|I.T.| Ich habe immer gesagt, wenn ich 30 Tage bestimmenkönnte, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kronen Zeitung steht, wür-es mir gel<strong>in</strong>gen, die von ihr <strong>in</strong> all <strong>der</strong> Zeit geschaffenenRessentiments zu neutralisieren. Es läuft letztendlichauf die Frage h<strong>in</strong>aus, wer die Massenmedien kontrolliertund wie <strong>in</strong> den Schulen unterrichtet wird. GeradeBildung ist e<strong>in</strong> zentraler Anknüpfungs<strong>punkt</strong>.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!