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doppel:punkt 2013:02 Fachzeitschrift für Bibliotheken in der ...

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schwer<strong>punkt</strong> : auf reisen se<strong>in</strong>s7Ganz ähnlich s<strong>in</strong>d Märchen aufgebaut: wie e<strong>in</strong>eReise durch <strong>in</strong>nere Landschaften <strong>der</strong> Seele. Diesesschillernde Wechselspiel von <strong>in</strong>nen und außen begleitetmich auf me<strong>in</strong>en Märchenwan<strong>der</strong>ungen:Ich steige mit 50 Hotelgästen auf den Gipfel <strong>der</strong>Gerlitzen <strong>in</strong> Kärnten, Seehöhe über 1900 Meter, es ist5 Uhr am Morgen, wir erleben die Morgenkühle, denNebel, die langsamen Farbän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Atmosphäre,das erste Rot auf e<strong>in</strong>er Wolke, das unglaublichlangsame Heraufsteigen des roten Sonnenballs. Niemandspricht, die S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d weit geöffnet, äußereRuhe und Achtsamkeit lassen uns dieses Naturschauspiel<strong>in</strong>tensiv wahrnehmen. In dieses Naturerleben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>spreche ich e<strong>in</strong> Märchen von <strong>der</strong> Reise zur Sonne.Die Welten fließen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>: <strong>in</strong>nere Bil<strong>der</strong>, äußereWahrnehmungen, <strong>in</strong>neres Licht, das regelmäßig verschw<strong>in</strong>det(erlebbar als Hoffnung o<strong>der</strong> Zuversicht)und immer wie<strong>der</strong> von neuem aufgeht, äußere Sonne,Stern am Himmel, <strong>der</strong> nach langer kühler Nacht wie<strong>der</strong>zu strahlen beg<strong>in</strong>nt.Wir wan<strong>der</strong>n an e<strong>in</strong>em Schöcklbach entlang, esrauscht und r<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong> mächtiger Felsblock liegt mittenim Wasser, drängt den Bach zur Seite. Im Märchenist die Rede von Verste<strong>in</strong>erung, vom Bach, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>zu fließen beg<strong>in</strong>nt. Auch <strong>in</strong> jedem/ je<strong>der</strong> von uns gibtes verste<strong>in</strong>erte Bereiche, die darauf warten, wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>sFließen zu kommen.Wir sitzen auf e<strong>in</strong>er blühenden Almwiese, Bergsommerauf <strong>der</strong> Bergeralm, Blumen <strong>in</strong> allen Farben. DasMärchen erzählt von den Elfen, die zur Mittagszeit <strong>in</strong>bunten, wehenden Klei<strong>der</strong>n über die Almwiese tanzen.E<strong>in</strong> wenig die Augen zukneifen, bl<strong>in</strong>zeln, <strong>in</strong> die vomW<strong>in</strong>d bewegten Blüten, das Sonnenlicht flirrt und flim-mert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luft, außen und <strong>in</strong>nen gehen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>über. Blüht es nicht auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Herzen und willtanzen?E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Lurgrotte, hun<strong>der</strong>te Meter Felsenüber uns, feucht und kühl die Wände, je<strong>der</strong> Schritthallt, ohne die elektrische Beleuchtung wäre es hiervöllig dunkel. Im Märchen schieben sich die Felsenause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>e Öffnung tut sich auf, die Held<strong>in</strong> tritte<strong>in</strong>, tastet sich wie bl<strong>in</strong>d die Felswand entlang, auf e<strong>in</strong>malsieht sie e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>kendes Licht, e<strong>in</strong> riesiger schwarzerHirsch steht vor ihr, se<strong>in</strong> mächtiges Geweih ragtbis zur Decke <strong>der</strong> Höhle, wenn er die Augen öffnet,strahlt e<strong>in</strong> kaltes blaues Licht heraus, schließt er dieAugen, breitet sich Dunkelheit aus.Wan<strong>der</strong>n mit Märchen ist e<strong>in</strong>e zweifache Reise. Ichgehe durch äußere Landschaften, nehme aufmerksamwahr, habe Zeit für Betrachtung. In den Erzählungenöffnen sich Tore zu <strong>in</strong>neren Welten, ich merke, wieich <strong>in</strong> die Höhle me<strong>in</strong>es eigenen Herzens h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>steige,während ich mich die kühlen Wände <strong>der</strong> Lurgrotteentlangtaste.Der amerikanische Dichter Robert Bly weist aufdieses verflochtene Wechselspiel von <strong>in</strong>nen und außenh<strong>in</strong>: Wenn wir geboren werden, kommen immer ‚zwei‘auf die Welt. Der Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten Welt hat e<strong>in</strong>enZwill<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> mythischen Welt, auf <strong>der</strong> Innenseitedes Lebens. Dieser ‚mythische Zwill<strong>in</strong>g‘ lebt se<strong>in</strong> eigenesLeben. Ignorieren wir ihn und vernachlässigen wir ihn,<strong>in</strong>dem wir nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> äußeren Welt leben, so macht er sich<strong>in</strong> allerlei Störungen bemerkbar, bis h<strong>in</strong> zu Krankheitenund Unfällen. An<strong>der</strong>erseits können wir auf <strong>der</strong> mythischenEbene Kämpfe und gefährliche Abenteuer bestehen, dieuns im realen Leben dann erspart bleiben (gekürzt nachRobert Bly, Die k<strong>in</strong>dliche Gesellschaft).Abschließen möchte ich me<strong>in</strong>e Betrachtungen mite<strong>in</strong>em kurzen Ausschnitt aus dem spannenden Buchvon Christopher Vogler: Die Odysee des Drehbuchschreibers.Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischenErfolgsk<strong>in</strong>os. Dar<strong>in</strong> beschreibt <strong>der</strong> Autor dieStrukturen <strong>der</strong> Reise, e wie sie Märchen, Mythen undFilme prägen:Die Heldengeschichte ist im Kern immer die Geschichtee<strong>in</strong>er Reise <strong>in</strong>s Abenteuer. Der Held verlässt se<strong>in</strong>e gewohnte,alltägliche Umgebung, wagt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gänzlichunbekannte Welt und stellt sich <strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ungen.In vielen Fällen handelt es sich hier um e<strong>in</strong>e wirklicheReise zu e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Örtlichkeit - <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Labyr<strong>in</strong>th,e<strong>in</strong>en Wald, e<strong>in</strong>e Höhle, e<strong>in</strong>e fremde Stadt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> fremdesLand. E<strong>in</strong> neuer Ort wird dann zum Schauplatz desKonfliktes mit den antagonistischen, herausfor<strong>der</strong>ndenKräften. Doch genauso oft gibt es Geschichten, <strong>in</strong> denen<strong>der</strong> Held e<strong>in</strong>e Reise nach <strong>in</strong>nen antritt, e<strong>in</strong>e Reise des Herzens,<strong>der</strong> Seele, des Geistes. Im Verlauf je<strong>der</strong> guten Geschichtewird <strong>der</strong> Held wachsen und sich wandeln, erwird den Weg von e<strong>in</strong>er Art des Se<strong>in</strong>s zur an<strong>der</strong>en antreten,von Verzweiflung zu Hoffnung, von Schwäche zuStärke, von Torheit zu Weisheit, von Liebe zu Hass undumgekehrt. Die Abenteuer solcher Reisen des Gefühls nehmendas Publikum gefangen und machen e<strong>in</strong>e Geschichte,lesens-, hörens- und sehenswert.|fre<strong>der</strong>ik mellak|<strong>doppel</strong>:<strong>punkt</strong> <strong>2013</strong>:2

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