SEEGRENZEN IDie vielbefahrenen Seestraßen rund um die InselTaiwan bilden eine strategische Verbindung zwischendem Pazifischen und Indischen Ozean.Wichtigster Indikator ihrer Bedeutung ist derUmstand, dass rund die Hälfte des globalenSchiffsverkehrs durch sie verläuft – eine Bedeutungübrigens, die die zunehmende Piraterie inder Region nur betont. Besonders ressourcenreichsind die zwischen Vietnam, Malaysia undden Philippinen gelegenen Spratly-Inseln undweiter nördlich die Paracel-Inseln im SüdchinesischenMeer. Diese Inselgruppen haben keineSiedlungsgeschichte, weswegen historische Ansprücheschwer geltend zu machen sind. Chinaaber ignoriert dieses Argument und verweist aufseine 2.000-jährige Seefahrtstradition in diesenund anderen Gewässern.Zuletzt hat die Regierung der Volksrepublik ineinem 2012 herausgegebenem Weißpapier ihreAnsprüche erneuert: Die Beweisführung darinbeginnt im Jahr 1579 zu Zeiten der Ming-CHINA BEGINNT SEINE BEWEISFÜHRUNGIM JAHR 1579 ZU ZEITEN DER MING-DYNASTIE.Dynastie. Historische Karten sollen beweisen,dass die Diaoyu-Inseln zu China gehören würden,weil es sie zuerst entdeckt habe. Zweierlei machtdiese Beweisführung fragwürdig: Erstens ist»Entdeckung« nicht gleichbedeutend mit»Inbesitznahme«, zudem ein damals nur in Europaverbreitetes Konzept von Territorialgewinnmittels eines symbolischen Aktes. Zweitens istder völkerrechtliche Status alter Karten grundsätzlichfragwürdig, da diese keine politische Realitätdarstellen, sondern Ausdruck einer selektivenWeltsicht oder gar Wunschdenken des Kartographensind.Dennoch: Im Südchinesischen Meer zeigenchinesische Karten heute die so genannte »Neun-Striche-Linie«, die um die von der Volksrepublikbeanspruchten Inseln verläuft und sowohl Spratly-wie Paracel-Inseln umfasst. Die Karte wurdeerstmals 1947 veröffentlicht, und Peking hat sie2009 das erste Mal offiziell verwendet, als es seineGebietsansprüche gegenüber vietnamesischenund malaysischen Ansprüchen geltend machenwollte. Im Schulunterricht und von den Medienin der Volksrepublik verwendet, prägt diese Darstellungdie Perspektive der Chinesen bis heute.Nun ist die Frage, wo Grenzen verlaufen, eineSache, die Durchsetzung und Kontrolle ihres Verlaufseine ganz andere. Chinas Landesgrenzen etwasind bis auf wenige Ausnahmen akzeptiert; derTerritorialstreit mit Indien etwa ruht seit Jahrzehnten.Der letzte Grenzkonflikt der Volksrepublik– mit Vietnam – liegt über dreißig Jahre zurück.Chinas Staatsgebiet auf dem Festland ist auch daherprinzipiell defensiv gesichert: In der Regel sindan den Landesgrenzen hinter den Grenzposten nur>>SchnellbootersatzLAUSCHANGRIFFSABWEHRAm 5. März 2009 lag die USNS »Impeccable«, einAufklärungsschiff der amerikanischen Marine, vorder chinesischen Küste – allerdings noch weit außerhalbder Hoheitsgewässer der Volksrepublik –,als sich eine Fregatte der Volksbefreiungsarmee-Marine ihr näherte und sie aufforderte, die Gewässerzu verlassen. Erst nach weiteren deutlichenDrohgebärden seitens der Chinesen entschlossensich die Amerikaner nach einigen Tagen, ihrenmutmaßlichen Auftrag, U-Boot-Bewegungen zubeobachten, zu unterbrechen und sich abdrängenzu lassen. Am 12. März schließlich stellte die USNavy den Zerstörer USS »Chung-Hoon« ab, um die»Impeccable« bei weiteren Operationen im SüdchinesischenMeer zu eskortieren.Die »Impeccable« hatte 75 Seemeilen vor derKüste Hainans geankert und sich damit innerhalbder vom internationalem Seerecht garantiertenAusschließlichen Wirtschaftszone aufgehalten, diesich 200 Seemeilen von der Küste ins Meer erstreckt.Washington beharrt darauf, dass die Ausschlusszonetrotz Zuordnung zu einem Staat freivon Schiffen aller Nationen befahren werden darf.Peking bewertete die Geschehnisse als unerwünschteEinmischung in den Konflikt im SüdchinesischenMeer und betonte, die USA sollten sichnicht »Steine auf die eigenen Füße werfen«.Das sino-amerikanische Verhältnis litt unterdiesem Vorfall beträchtlich. Die Spannungenkonnten erst gelöst werden, nachdem Chinas AußenministerYang Jiechi persönlich bei US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus zu Gesprächengeladen wurde.ADLAS 3/2013 ISSN 1869-1684 26
SEEGRENZEN IStraße vonMalakkaKONFLIKTZONE WEST-PAZIFIK IIThailandGolf vonThailandV R C h i n aHainanVietnamM a l a y s i aParacel-InselnSüdchinesischesMeerSpratly-InselnTaiwanSüdkoreaSenkaku-InselnJapanisches MeerSaseboOstchinesischesMeerIshigaki (zu Japan)P h i l i p p i n e nJapanOkinawa (zu Japan)Kurilen (zu Russland)MisawaPhilippinenseeYokosukaIwo Jima (zu Japan)Chinas »Neun-Striche-Linie«US-MarinestützpunkteP A Z I F I S C H E R O Z E A NGuam (zu USA)1.000 Seemeilen (entspricht 1.852 Kilometer)Karte: mmowenige leichte Armeeeinheiten stationiert, währendder Großteil der Volksbefreiungsarmee, wieetwa alle Panzerdivisionen, sich Hunderte Kilometerentfernt im Landesinnern befindet.Bei der maritimen Grenzziehung beziehungsweiseGrenzsicherung ist die Lage eine andere:Das Verhalten der Volksrepublik auf See erscheintentschieden offensiv. Von einer»Rückeroberung verlorener Gebiete« auf demFestland spricht auf offizieller Seite in Pekingniemand, die Meeresgebiete dagegen betrachtenPolitiker als »noch nicht aufgegeben«: Im offiziellenSprachgebrauch berührt die Frage nachdem Verlauf der Seegrenzen Chinas »Kerninteressen«.Dieser Begriff hebt gerade den Konfliktim Ostchinesischen Meer auf eine Ebenemit den kompromisslosen Ansprüchen derVolksrepublik auf Taiwan. Hua Chunying, Sprecherindes Außenministeriums, kommentierteim April dieses Jahres, »der Konflikt um dieDiaoyu-Inseln betrifft Chinas territoriale Integrität«.Eine harte Linie, die auch auf das SüdchinesischeMeer zutrifft.Verwirrend scheint die Vielzahl der Beteiligtenauf chinesischer Seite. Die mangelhafte Zusammenarbeitder verschiedenen Stellen erschwertdas Konfliktmanagement und erhöht das Risikoeiner unbeabsichtigten Eskalation in den umstrittenenGewässern. Zunächst ist es die politischeElite, die die eigenen Souveränitätsansprüche mitden territorialen Ansprüchen verknüpft und artikuliert– sie schätzt den Rohstoffreichtum geradein der Südchinasee besonders hoch ein, und derwachsende Bedarf der expandierenden Wirtschaftder Volksrepublik will gedeckt sein.>>ADLAS 3/2013 ISSN 1869-1684 27