WGT-Arbeitsheft 2013 FrankreichTrennung von Kirche <strong>und</strong> Staat<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e Konsequenzen bis heute.1905 wurde das Gesetz über die Trennung von Staat <strong>und</strong> Kirche verabschiedet. Esentstanden sofort große Ängste von <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> katholischen Kirche. Es <strong>war</strong> aber dieFolgerung einer kulturellen <strong>und</strong> sozial-politischen Geschichte, auf die ich in diesem kurzenBericht nicht eingehen kann.Der erste Artikel lautet:„Die Republik garantiert die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Ausübung <strong>der</strong> Kulte,außer mit den unten angeführten Einschränkungen gemäß <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung.“Der zweite Artikel„Die Republik anerkennt keinen Kult, belohnt <strong>und</strong> subventioniert keinen…Jedoch können Staat, Departements <strong>und</strong> Gemeinden für Dienste aufkommen, damitSeelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie Gymnasien, Mittelschulen, Schulen,Krankenhäuser <strong>und</strong> Gefängnisse gewährleistet werden können.“Es wird im Artikel 39 bestimmt, dass Religionsunterricht für die Schülerinnen <strong>und</strong> Schülervon sechs bis dreizehn (damals Pflichtschule) nur außerhalb <strong>der</strong> Unterrichtsst<strong>und</strong>engegeben werden kann. Dafür wurde <strong>der</strong> Donnerstag als freier Schultag erklärt, damit dieKin<strong>der</strong> Religionsunterricht o<strong>der</strong> „Katechismus“ in <strong>der</strong> jeweiligen Religionsgemeindeempfangen können.In meiner Kindheit kannte ich diese Regelung. Jetzt ist nur <strong>der</strong> Tag geän<strong>der</strong>t, auf Mittwoch,da <strong>der</strong> Samstag inzwischen generell auch frei gegeben wurde.Wichtig ist vielleicht noch, ab Artikel 12, die Regelung für die Gebäude: Kirchengebäudeverschiedener Konfessionen <strong>und</strong> Synagogen wie Bischofpaläste, Pfarrhöfe,Priesterseminare usw. bleiben im Besitz des Staates, aber werden unentgeltlich denKultgemeinden zur Verfügung gestellt. Damit wurden sie auch von den öffentlichenBehörden in Stand gehalten.<strong>Ich</strong> möchte nicht in allen Einzelheiten das Gesetz anführen. Es ist nur gut diese dreiGr<strong>und</strong>elemente zu kennen. Im Laufe <strong>der</strong> Zeit wurden auch zahlreiche Novellierungen, bis inden neunziger Jahren hinein hinzugefügt.Festzustellen ist, dass Frankreich das einzige europäische Land bleibt, in dem die „Laizität“in <strong>der</strong> Verfassung verankert ist <strong>und</strong> als demokratischerWert zu verstehen ist. Die Trennung von Kirche <strong>und</strong>Staat ist nur ein Aspekt. .Dieses Gesetz <strong>war</strong> nie wirklich gegen Religion son<strong>der</strong>ngegen die Macht <strong>der</strong> Katholischen Kirche gerichtet, diemit politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Machtstrukturenarbeitete. Deswegen hat sich im Volk ein starker„Antiklerikalismus“ entwickelt.Diese Trennung wird heutzutage kaum ernsthaft in Fragegestellt. Der einzige Punkt, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> zuStreitgespräche führt, ist die Frage <strong>der</strong> konfessionellenSchulen. Erst 1984 wurde diese Frage gr<strong>und</strong>sätzlichgeregelt, indem jede Privatschule in einem Vertrag mitdem Staat steht, <strong>der</strong> sie auch finanziell unterstützt.„Die Idee <strong>der</strong> „Laizität“ ist, wie schon gesagt, kein Dogma, son<strong>der</strong>n Laizität ist ein Wert. Siegarantiert die Gleichheit aller Religionsangehörigen vor dem Gesetz <strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e Freiheit. Sieschafft einen freien Raum des Dialogs. Sie ist eine Schule <strong>der</strong> Toleranz <strong>und</strong> ermöglichtweitgehend auch die Integration des Islams, auch wenn die Frage des Islams komplex bleibt,da manche Richtungen einen theokratischen Staat anstreben.-16-
WGT-Arbeitsheft 2013 FrankreichIn Frankreich lebt durch die Kolonialgeschichte in Nordafrika – Marokko, Tunesien <strong>und</strong>Algerien - schon lange eine große islamische Religionsgemeinschaft. Derzeit leben 4Millionen Menschen islamischer Kultur in Frankreich. Die Hälfte davon sind französischeStaatsbürgerinnen <strong>und</strong> Staatsbürger. Damit ist <strong>der</strong> Islam die zweite Religion des Landes. <strong>Ich</strong>wohnte lange Zeit ganz in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Moschee, die ein erstes Kulturzentrum des Islamsmitten in Paris darstellte, bevor ein großes “Institut <strong>der</strong> arabischen Welt“ gebaut wurde. Für<strong>mich</strong> <strong>war</strong> es selbstverständlich im Kaffeehaus dieser Moschee den besten grünen Tee vonParis zu trinken. Am Freitag strömten die Menschen zu den Gebeten. Mit Fre<strong>und</strong>en, aufBesuch in Paris gingen wir immer in die w<strong>und</strong>erschöne Moschee, wo die Besucherwillkommen <strong>war</strong>en. Allerdings haben die Radikalisierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> F<strong>und</strong>amentalismus in denletzten zwanzig Jahren einiges geän<strong>der</strong>t. Trotzdem haben viele Gemeinschaften noch keineMoschee, auch wenn <strong>der</strong> damalige Innenminister J. Pierre Chevènement, vor fast zwanzigJahren dieses Übel beheben wollte.Im Juni 2012 wurde in <strong>der</strong> Nähe von Paris das größte Buddhistische Zentrum von Europaeröffnet. Aber es gibt schon lange in großen Städten solche Zentren.Interessant ist, dass die Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften <strong>und</strong> Staat inEuropa immer ähnlicher werden, auch wenn die gesetzlichen Verbindungen sehrunterschiedlich bleiben. Gemeinsam sind: die Freiheit für jede Staatsbürgerin, sich dieReligion auszusuchen (o<strong>der</strong> gar keine), die Gewissensfreiheit zu respektieren <strong>und</strong> somit dieGlaubensfreiheit, das Verbot, Menschen aus Glaubensgründen zu diskriminieren, dieFreiheit <strong>der</strong> Wissenschaft den Religionen gegenüber, u. a.Pierre Joxe, ebenfalls ehemaliger Innenminister, erklärte 1990: “Religionsgemeinschaftennicht anerkennen heißt nicht, sie zu ignorieren o<strong>der</strong> abzulehnen, son<strong>der</strong>n es geht darum, dieBereiche zwischen religiösen <strong>und</strong> öffentlichen Institutionen genau abzugrenzen. Dabei sollauch nicht die Religion in die Privatsphäre geschickt werden, denn auch religiöse Autoritätensollen <strong>ihr</strong>e Stimme über die Probleme <strong>der</strong> Zeit erheben.“ Vertreter <strong>der</strong> Religionen sindübrigens auch Mitglied des Nationalen Komitee für Ethik.Wenn auch <strong>der</strong> Papst Pius XI gegen das Gesetz <strong>der</strong> Trennung zwischen Staat <strong>und</strong> Kirchevehement Stellung nahm, wurden schon 1924 die diplomatischen Beziehungen zwischenFrankreich <strong>und</strong> dem Vatikan wie<strong>der</strong> hergestellt. Papst Johannes-Paul II schreibt 2005 an diefranzösischen Bischöfe, das Prinzip <strong>der</strong> Laizität wohl verstanden, gehöre auch zurSoziallehre <strong>der</strong> Kirche. Er stellte auch mit Freude fest, wie <strong>der</strong> Dialog <strong>und</strong> die Mitarbeitzwischen den Verantwortlichen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kirche sehr gut funktionieren.Diese Zusammenarbeit wurde 2002 sogar institutionalisiert. Die Laizität sei keineswegs <strong>der</strong>Ort des Streites, son<strong>der</strong>n im Gegenteil <strong>der</strong> Raum für einen fruchtbaren Dialog, im Geist <strong>der</strong>Werte: Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Geschwisterlichkeit; erklärte Johannes Paul II.Die Kirche hat sicher an Autonomie <strong>und</strong> Unabhängigkeit gewonnen <strong>und</strong> denkt gar nichtdaran, das Gesetz von 1905 rückgängig zu machen. Meiner Meinung nach hat sie auchdadurch gewonnen, arm zu sein. Arm an Geld <strong>und</strong> arm an Anerkennung. So konnten sichvielleicht Bewegungen entwickeln wie die Arbeiterpriester <strong>und</strong> die „JOC“- KatholischeArbeiterjugend, u. a… In meiner Kindheit fuhr <strong>der</strong> Erzbischof von Paris auf seinem Motorrad<strong>und</strong> in seiner „Ente“, ohne Chauffeur. Die Nähe zum Volk scheint mir größer, selbstverständlicherzu sein als zum Beispiel in Österreich o<strong>der</strong> Deutschland.In meinem Gymnasium durfte kein Priester einen Raum haben. Das <strong>war</strong> die Entscheidungdes Direktors. Dafür bekam <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Pfarre beauftragte Seelsorger ein großes Haus mitGarten, gegenüber <strong>der</strong> Schule. Und da er die St<strong>und</strong>en frei von jedem Programm <strong>und</strong> je<strong>der</strong>Schülerbeurteilung attraktiv gestaltete, kam bald die Hälfte <strong>der</strong> Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler zuihm, egal ob katholisch, evangelisch o<strong>der</strong> konfessionslos.Bei all den positiven Konsequenzen dieser Trennung ist jedoch ein Aspekt sehrproblematisch geworden. Allmählich haben die Menschen jeden Zugang zur christlichenKultur des Westens verloren. Damit wurden nicht nur die Religion, son<strong>der</strong>n auch die Kunst<strong>und</strong> die Literatur, die ganze eigene Kultur fern <strong>und</strong> unverständlich. Dies ging so weit, dass1996 die religiöse Kultur in die Programme <strong>der</strong> Mittelschulen <strong>und</strong> Gymnasien eingeführtwurden: es ging darum, einerseits die vorrangig christlich geprägte Kultur Europas wie<strong>der</strong> zu-17-