WGT-Arbeitsheft 2013 Frankreichvergegenwärtigen, aber auch die Verschiedenheit <strong>der</strong> religiösen Kulturen innerhalb desjetzigen Frankreich bewusst zu machen. 2002 wurde ein Bericht über „Den Unterricht desReligiösen in <strong>der</strong> Schule“ vom Philosoph Regis Debray, im Auftrag des Bildungsministers,verfasst. Im gleichen Jahr wurde ein Institut <strong>der</strong> Religionswissenschaft ins Leben gerufen(IESR).Ab 1995 schon konnten Lehrerinnen aller Schulen Seminare über die fünf großen Religionenbesuchen: Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus <strong>und</strong> Hinduismus.Diese Maßnahmen sind gute Ansätze, denn ich sehe auch das Aufblühen allerleif<strong>und</strong>amentalistischer <strong>und</strong> irrationeller Bewegungen <strong>und</strong> Gemeinschaften, beson<strong>der</strong>sinnerhalb <strong>der</strong> katholischen Kirche, als mögliche Konsequenz eines mangelhaften seriösenReligionsunterrichts. Frankreich bleibt auch in religiösen Fragen ein Land <strong>der</strong> Extreme, vonden damaligen Arbeiterpriestern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nähe zur Befreiungstheologie über gutbürgerlicheGemeinden bis zu den Lefebvre Anhänger (Piusbrü<strong>der</strong>), alles ist anzutreffen.Selbstverständlich bin ich vom Wert <strong>der</strong> „Laizität“, von dieser klaren Trennung zwischenStaat <strong>und</strong> Kirche sehr geprägt.<strong>Ich</strong> denke immer noch, dass dadurch <strong>der</strong> Respekt vor je<strong>der</strong> Religion sowie die individuelleFreiheit, auch sich zu keiner Religion zu bekennen, stärker zum Ausdruck kommen. Nachmeinem Erleben sind die Kirchen dadurch freier, wenn auch sicher meistens ärmer. Darinsehe ich allerdings einen Vorteil, wie oben schon erwähnt.<strong>Ich</strong> würde nie diese in <strong>der</strong> Verfassung festgelegte Laizität <strong>der</strong> Gesellschaft in Frage stellen<strong>und</strong> sehe darin die Richtung in die sich de facto die europäischen Staaten bewegen, zumWohl aller Betroffenen.Mag. a Colette BrunDipl. Lebens- <strong>und</strong> SozialberaterinFoto: wikipedia.orgFlug o<strong>der</strong> Flucht <strong>der</strong> Störche„Der Flug <strong>der</strong> Störche zeigt die globalenDimensionen des Miteinan<strong>der</strong>lebens auf dieserErde.“Teclaire Ngo Tam verglich beim Gustav Adolf Festin Mörbisch/Burgenland im Juni 2008 den jährlichenFlug <strong>der</strong> Störche zwischen Europa <strong>und</strong> Afrika mitdem Leben vieler AfrikanerInnen zwischen beidenKontinenten.<strong>Ich</strong> bedanke <strong>mich</strong> für diese Gelegenheit, einige tiefe Überlegungen durchzuführen. <strong>Ich</strong> hatteschon vom Flug <strong>der</strong> Störche gehört, nie hatte ich eine Parallele zur Migration von Menschengemacht. Auch bei mir in Kamerun fliegen die Westzieher vorbei. Dieser Durchflug wirdkaum bemerkt, jedenfalls wird dem nicht so Beobachtung geschenkt wie hier. Schade!Was wohl auffällt, ist <strong>der</strong> Abschied von Leuten, von jungen Leuten, die wie dieStörche sich auf die Suche nach einer besseren Temperatur für sie machen. Meistens auchnach Europa. Nicht immer haben sie das Glück, zurückzukehren. Nicht immer haben sie dasGlück, wie die Störche – barrierefrei – durchzuziehen. Nicht immer haben sie das Glück, wiedie Störche gefeiert zu werden, wenn sie ankommen o<strong>der</strong> zwischenlanden.„Abschied nehmen, das bedeutet immer auch ein wenig sterben“, sagte EdmondHaraucourt. Für viele MigrantInnen aus Afrika haben diese Worte eine erschreckendewortwörtliche Bedeutung. Nach Angaben <strong>der</strong> Internationalen Organisation für Migrationstarben 2006 zwischen 2000 <strong>und</strong> 3000 Menschen, das sind ca. 10% <strong>der</strong> Flüchtlinge, auf-18-
WGT-Arbeitsheft 2013 Frankreich<strong>ihr</strong>er Überseereise. Viele Einwan<strong>der</strong>Innen, <strong>der</strong>en Nationalität festgestellt werden konnte,wurden wie<strong>der</strong> in <strong>ihr</strong>e Heimatlän<strong>der</strong> zurückgeführt. Doch die meisten machten sich wie<strong>der</strong>auf den Weg nach Europa. Warum?Eine wachsende Zahl AfrikanerInnen flieht vor kriegerischer Gewalt <strong>und</strong>wirtschaftlicher Not. Die EU verbarrikadiert <strong>ihr</strong>e Außengrenzen. Die Fluchtrouten werdendadurch gefährlicher. Tausende finden den Tod – ähnlich wie bei den Störchen, wo dieFlugroute durch Kollisionen, Stromschläge, Jäger, Dürrezeiten <strong>und</strong> Vergiftungen gefährlichwird.Wie die Flüchtlinge, so die Störche: beide müssen Abschied nehmen, um Hoffnungauf Überleben zu haben. Die Abreise wird zum Ziel <strong>der</strong> Handlung. Das Motto lautet:„Hauptsache Europa, Hauptsache weg“. Weg von <strong>der</strong> geografischen, kulturellen <strong>und</strong>familiären Heimat. Wir als ChristInnen können uns vorstellen, was für eine Belastung das ist.Man muss fliehen, nicht nur aus Konfliktgebieten, son<strong>der</strong>n auch aus einer perspektivlosenLage. In letzterem Fall gilt man nach offizieller Lesart nicht einmal als Flüchtling, höchstensals „Wirtschaftsflüchtling“. Wir wissen, was die europäischen Län<strong>der</strong> über diese denken.Jawohl, auch viele StudentInnen sind auf dem Flug <strong>und</strong> lassen sich„Wirtschaftsflüchtlinge“ nennen. Das ist auch bei mir <strong>der</strong> Fall! Wobei sich dieseFlüchtlingskategorien sehr leicht vermischen <strong>und</strong> kumulieren lassen.Mir sagte meine Mutter vor meiner Abreise: „Kind, denk nicht an <strong>mich</strong>, son<strong>der</strong>n andeine Zukunft. Sollte ich in deiner Abwesenheit sterben, Gott begleitet dich, pfleg´ die Liebezu deinen Geschwistern, finde den Weg zur Christengemeinde in deiner Nähe. Die wirddeine Familie sein.“Sie hatte Recht. <strong>Ich</strong> habe eine Heimat in <strong>der</strong> Evangelischen Kirche in Österreichgef<strong>und</strong>en. Die Liebe zu meiner Mutter hat <strong>mich</strong> dazu geführt, dass ich wie die Störchewan<strong>der</strong>e. Mir ist es fast überlebenswichtig, dass ich jedes Jahr zu <strong>ihr</strong> zurückkehre. Undimmer, wenn ich wie<strong>der</strong> in Österreich bin, fühle ich <strong>mich</strong> in meiner evangelischen Gemeindewillkommen. Das sind Momente, wo ich <strong>mich</strong> angekommen fühle. Aber auch nur Momente.Denn weg von meiner Gemeinde, muss ich <strong>mich</strong> durch den Migranten-Gesetzes-Dschungel schlagen, bin sofort als Migrantin erkennbar, folgen die bekannten Fragen „woherkommst du, <strong>war</strong>um, wann kehrst du zurück, <strong>war</strong>um Österreich? <strong>Ich</strong> habe wenige Momente,wo ich ausblenden kann, von woan<strong>der</strong>s zu sein. Da fühle ich <strong>mich</strong> angekommen. Und immerwie<strong>der</strong>: einmal nicht, einmal doch. Mein Trost ist es, dass ich als Christin weiß, dass ich aufdieser Erde nicht durchgehend das Gefühl haben muss, angekommen zu sein.Doch ich weiß, dass ich eine privilegierte Migrantin bin. Dies hält <strong>mich</strong>, Gott sei Dank,nicht davon ab, an die vielen an<strong>der</strong>en AfrikanerInnen in Europa zu denken, die keineMomente des Angekommenseins erleben dürfen, die heimatlos geworden sind.Störche zeigen die globale Dimension des Miteinan<strong>der</strong>lebens auf dieser Erde <strong>und</strong> dieBedrohungen, die damit verb<strong>und</strong>en sind, die Verbreitung von Seuchen zum Beispiel, aberauch die viele Freude, die damit verb<strong>und</strong>en sein kann, wenn wir es zulassen. <strong>Ich</strong> wünschemir, dass eines Tages so eine Feierlichkeit wie heute für MigrantInnen organisiert wird, damitsie sich willkommen fühlen. Willkommen-zu-sein ist die Voraussetzung für das Ankommen,geht mit ihm. Hand in Hand.Wenn wir es für Störche schaffen, <strong>war</strong>um nicht fürMenschen? Das ist meine erste Prüfungsfrage an Sie,bis zum nächsten Frühling, wenn die Störche wie<strong>der</strong>kommen.Störche zeigen, wie gesagt, die globaleDimension des Miteinan<strong>der</strong>lebens auf dieser Erde.Meine zweite <strong>und</strong> letzte Prüfungsfrage: „Wann soll von<strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Störche die Rede sein? Wenn sie inEuropa o<strong>der</strong> wenn sie in Afrika ankommen? Wer dasweiß, bitte nicht verraten bis zum nächsten Frühling.-19-Mag. a Teclaire NgoTamBildungsreferentin <strong>der</strong> Südwind AgenturFotos: wikipedia.org