WGT-Arbeitsheft 2013 FrankreichFremdsein im eigenen Land/Heimat Österreich als erste o<strong>der</strong> zweite Heimat?„Was ist meine Heimat?“ Im Kontext einer globalisierten Welt wird es zunehmend schwerer,diese Frage eindeutig zu beantworten. Eine beson<strong>der</strong>e Färbung erhält die Mehrdeutigkeitdes Wortes „Heimat“ für Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>. Aber auch sie beantworten fürsich diese Frage, ganz unterschiedlich. Manche wollen sich möglichst rasch in einer neuenHeimat assimilieren, an<strong>der</strong>e bleiben <strong>ihr</strong> Leben lang mit dem Herkunftsland <strong>ihr</strong>er Familienemotional verb<strong>und</strong>en; für wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e bleiben diese beiden emotionalen Strebungen für <strong>ihr</strong>Leben bestimmend.Darüber hinaus leben MigrantInnen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen <strong>und</strong> mitvöllig verschiedenen Migrationserfahrungen in <strong>ihr</strong>er Lebensgeschichte. Zweifellos macht eseinen wesentlichen Unterschied, ob ich selber als Erwachsene/r aus meiner ersten Heimatnach Österreich migriert bin, ob ich als Kleinkind mit meinen Eltern aus meinem Geburtslandwegziehen musste o<strong>der</strong> ob ich als Kind von Einwan<strong>der</strong>ern hier in Österreich geboren bin. Fürdie erwachsen werdenden Jugendlichen <strong>der</strong> sog. „zweiten Generation“ von Einwan<strong>der</strong>ern, istjenes Land, das für <strong>ihr</strong>e Eltern „Fremde“ <strong>war</strong> <strong>und</strong> vielleicht noch ist, in ganzselbstverständlicher Weise „Heimat“. Sie sind hier geboren <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> aufgewachsen <strong>und</strong>kennen die „Heimat“ <strong>ihr</strong>er Eltern gar nicht o<strong>der</strong> höchstens von Erzählungen <strong>und</strong>Urlaubsaufenthalten.Diese existentiellen Erfahrungsunterschiede sind Stoff für Generationskonflikte, z.B. für denbanalen Interessenkonflikt in Bezug auf Urlaubsziele: Viele Kin<strong>der</strong> von MigrantInnenverstehen nicht, <strong>war</strong>um die Familie in jedem Sommerurlaub dasselbe Dorf in Ostanatolienansteuern muss. Für die Kin<strong>der</strong> von Asylsuchenden <strong>und</strong> Flüchtlingen stellt sich dieseDiskrepanz nochmals schärfer dar: Sie haben das Trauma <strong>der</strong> Flucht an<strong>der</strong>s als <strong>ihr</strong>e Elterno<strong>der</strong> gar nicht erlebt. Hasnija Husic flüchtete 1992 mit <strong>ihr</strong>en Eltern vor dem Krieg in Bosniennach Österreich. Sie formuliert im Gespräch diesen Generationsunterschied prägnant:„Wenn man bedenkt, dass ich erst 19 Jahre bin, habe ich dennoch ein Viertel meines Lebensin Bosnien verbracht <strong>und</strong> drei Viertel in Salzburg. Salzburg ist meine Heimatstadt (…) Fürmeine Eltern hingegen ist Salzburg ein Zwischenstopp in <strong>ihr</strong>em Leben.“ (Mautner/Prandstätter:Mein Österreich, S. 54)Ein weiterer Konflikt, <strong>der</strong> von „außen“, von <strong>der</strong> Gesellschaft an sie herangetragen wird,erschwert das Leben für Jugendliche <strong>der</strong> zweiten Generation zusätzlich <strong>und</strong> erzeugt oftmassive Irritationen für sie. Denn von <strong>der</strong> österreichischen Gesellschaft werden sie in <strong>der</strong>Regel aufgr<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>es Namens <strong>und</strong> evtl. auch aufgr<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>es Aussehens o<strong>der</strong> <strong>ihr</strong>erSprachkenntnisse als „MigrantInnen“ identifiziert, obwohl sie sich selber alsÖsterreicherInnen fühlen. Diese irritierende Erfahrung machen viele bereits im Kin<strong>der</strong>garteno<strong>der</strong> spätestens in <strong>der</strong> Volksschule. Beson<strong>der</strong>s frustrierend wird diese Erfahrung, die geradediese jungen ÖsterreicherInnen als schwere Diskriminierung erleben, dann, wenn sie nachdem Hauptschulabschluss eine Lehrstelle suchen. Sie müssen feststellen, dass sie sichdabei wesentlich schwerer tun als <strong>ihr</strong>e KlassenkameradInnen, die offenbar die „besseren“ÖsterreicherInnen sind, <strong>und</strong> verstehen nicht <strong>war</strong>um.Für die schwierige Lebenssituation von Jugendlichen <strong>der</strong> „zweiten Generation“ gibt es jedochauch eine Reihe von unterstützenden Projekten <strong>und</strong> För<strong>der</strong>programmen, die auf <strong>ihr</strong>espezifische Situation abgestimmt sind. Als ein Beispiel nenne ich das „Rucksackprojekt“ inden Kin<strong>der</strong>gärten <strong>der</strong> Stadt Salzburg: Es ist ein Programm, das bei <strong>der</strong> Begleitung <strong>der</strong> Elternansetzt. Die Eltern <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> werden als ExpertInnen für den Erstspracherwerb <strong>ihr</strong>er Kin<strong>der</strong>-20-
WGT-Arbeitsheft 2013 Frankreichangesprochen. Durch Anleitung <strong>und</strong> mit Hilfe von Materialien werden sie unterstützt. Sietreffen sich einmal in <strong>der</strong> Woche <strong>und</strong> bekommen Informationen über die Aktivitäten, die zuHause mit den Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong>en Muttersprache durchgeführt werden sollen. In <strong>der</strong>Kin<strong>der</strong>betreuungseinrichtung werden die aktuellen Themen des „Rucksackprojektes“zeitgleich auf Deutsch angeboten. So haben die Kin<strong>der</strong> die Möglichkeit, die Themen inbeiden Sprachen zu erfassen, was sich positiv auf den Erwerb bei<strong>der</strong> Sprachen auswirkt.Der Erfolg des „Rucksackprojektes“ zeigt, dass Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche <strong>der</strong> „zweitenGeneration“ ein großes positives Potential entfalten, sobald die Gesellschaft bereit ist, ihnendie nötigen Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung zu stellen. Denn die Frage, die einjunger Österreicher <strong>der</strong> zweiten Generation in einem Gespräch gestellt hat, braucht eineAntwort:„Wann muss ich bei Euch nicht mehr <strong>der</strong> ‚Migrant‘ sein? Wann kann ich endlich das sein,was ich bin: Österreicher?“Dr. Josef MautnerGeschäftsführer Kirche&Arbeitswelt, KA Salzburg Integration in kleinen Schritten<strong>Ich</strong> bin als eine Fremde auf die Welt gekommen <strong>und</strong> fühle <strong>mich</strong> immer noch <strong>fremd</strong> hier inÖsterreich. Wir sind die dritte Generation <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er <strong>und</strong> haben uns schon in vielerHinsicht weiterentwickelt. Wir beherrschen die Deutsche Sprache, kennen alle zwei Kulturen<strong>und</strong> sind in <strong>der</strong> Lage diese zu vergleichen. Wir bekommen eine bessere Ausbildung. Dochlei<strong>der</strong> sitzen wir immer noch in <strong>der</strong> Opferrolle fest.In meiner Kindheit existierte für <strong>mich</strong> nur die türkische Kultur. <strong>Ich</strong> fühlte <strong>mich</strong> wie in eineran<strong>der</strong>en Welt, wenn ich in die Schule ging. <strong>Ich</strong> <strong>war</strong> verschlossen <strong>und</strong> empfand an<strong>der</strong>eMitschülerInnen als an<strong>der</strong>s. Daheim fühlte ich <strong>mich</strong> sicher.In den folgenden Jahren musste ich <strong>mich</strong> immer wie<strong>der</strong> mit diesen Problemen konfrontieren.Die Verspottungen musste ich mir anhören <strong>und</strong> später auch verletzende <strong>und</strong>diskriminierende Aussagen, sogar von einigen Professoren während meiner GymnasiumZeit.Mein Bru<strong>der</strong> wurde von seinen Mitschülern mit E-Mails mit rassistischem Inhalt terrorisiert.Nach zwei Jahren wechselte er aus diesem Gr<strong>und</strong> die Schule.In <strong>der</strong> Universität, die ich gerade besuche, kann ich beobachten, wie sich Gruppierungenbilden. Die Studenten <strong>und</strong> Studentinnen mit nicht-österreichischem Hintergr<strong>und</strong> findenzueinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> trennen sich von Einheimischen ab.Doch trotz allem sehe ich es als ein Vorteil mit zwei verschiedenen Kulturen, Religionen <strong>und</strong>Sprachen aufzuwachsen. Natürlich ist es nicht immer einfach den Mittelpunkt zu finden.Meine Lösung damit umzugehen <strong>war</strong> es, ein eigenes Ethik-System aufzubauen <strong>und</strong> allesErlebte <strong>und</strong> Gelernte durchzufiltern. Damit kann ich das Positive aus beiden Kulturen in meinLeben integrieren.Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich die fehlerhafte Integrationspolitik in Österreichverbessert <strong>und</strong> die Medien, die einen großen Einfluss auf das Verhalten <strong>der</strong> Menschenhaben, sich mehr für die Integration einsetzen.Dilek ZenginMedizinstudentin in Tirol-21-