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Dossier<br />
Ich erzähle<br />
Simone, 47, seit sechs<br />
Jahren alleinerziehend<br />
«Ich habe immer etwas Hemmungen,<br />
wenn ich meine Situation in Relation zu<br />
anderen alleinerziehenden Müttern<br />
setze. Ich habe nämlich keinerlei<br />
Geldsorgen, das macht nicht alles, aber<br />
sehr vieles leichter. Ich selber stamme<br />
aus vermögenden Verhältnissen und<br />
mein Ex-Mann bezahlt jeden Monat<br />
mehr Unterhaltsbeiträge an uns, als<br />
manche in einem Monat verdienen. Ich<br />
habe diplomatische Beziehungen<br />
studiert und arbeitete oft im Ausland,<br />
seit ich Mutter bin aber in der Schweiz,<br />
in führender Position bei einer skandinavischen<br />
Firma. Zusammen mit dem<br />
Geld, das ich verdiene, leben wir<br />
überdurchschnittlich gut.<br />
Aber eben, was heisst das schon? Ich<br />
habe dafür andere Sorgen. Obwohl mein<br />
Sohn und ich viel reisen und ein<br />
komfortables Leben führen, frage ich<br />
mich, wie er das Aufwachsen ohne<br />
seinen Vater in dreissig Jahren einmal<br />
beschreiben wird. Hat er vielleicht<br />
eigene Kinder? Lebt er mit einer Frau<br />
zusammen oder ist er auch getrennt?<br />
Ich verkehre oft mit Müttern, die ähnlich<br />
leben wie ich. Die meisten sind ganz<br />
selbstverständlich berufstätig. Damit<br />
habe ich nie gehadert – im Gegenteil.<br />
Ich könnte mir das Leben als Hausfrau<br />
Jede sechste Einelternfamilie<br />
in der Schweiz<br />
ist von Armut betroffen.<br />
nicht vorstellen. Ich habe ein Au-pair zu<br />
Hause, seit mein Sohn klein ist. Auch<br />
wenn das für andere Eltern vielleicht<br />
kühl tönt, aber: besser ein engagiertes,<br />
liebevolles Kindermädchen als eine<br />
frustrierte Mutter. Ich hatte da immer<br />
Glück, mein Sohn kam mit all den<br />
Frauen, die bei uns arbeiteten, gut aus.<br />
Der Vater und ich haben uns scheiden<br />
lassen, kaum war der Bub ein Jahr alt.<br />
Mein Mann hat mir damals klar gesagt,<br />
dass er mich immer finanziell unterstützen<br />
werde, er aber die Welt sehen wolle<br />
und kein guter Vater sein würde. Das<br />
klang damals hart, aber ich weiss jetzt,<br />
was er gemeint hat. Und nun ist es so:<br />
Ich bin alleinerziehende Mutter, der<br />
Vater sieht das Kind zweimal im Jahr.<br />
Mein Sohn nimmt ihn mehr als Götti<br />
oder Bekannten seiner Mutter wahr<br />
denn als seinen Vater. Der Vorteil<br />
meiner Lebenssituation ist, dass ich<br />
selber entscheiden kann. Alles. Das ist<br />
für mich sehr entlastend. Als ich mich<br />
aber vor einem Jahr bei der Einschulung<br />
meines Sohnes in die internationale<br />
Schule mit Tagesstruktur den anderen<br />
Eltern vorstellen musste, war mir schon<br />
etwas mulmig. Bis ich realisiert habe,<br />
dass neben mir auch noch andere<br />
Mütter alleine da waren.»<br />
>>> Arbeit für die Betreuung<br />
ihrer Kinder. Dabei werden «Essen<br />
geben, Waschen und ins Bett bringen»<br />
mit 6 Stunden pro Woche beziffert,<br />
«Waschen und Bügeln» mit<br />
rund 2 Stunden und «Spielen und<br />
Hausaufgaben» mit rund 9,3 Stunden<br />
pro Woche. Aufgaben, die auch<br />
in einem Paarhaushalt erledigt werden<br />
müssen, doch hier können sich<br />
die Partner die Arbeit untereinander<br />
aufteilen.<br />
Nur: Gleichberechtigt geht die<br />
Aufgabenteilung auch in den meisten<br />
«Papi-Mami-Kind-Familien»<br />
nicht zu und her. Laut dem Bundesamt<br />
für Statistik arbeiten über die<br />
Hälfte der Frauen Teilzeit, bei den<br />
Männern steigt der Anteil hingegen<br />
nicht über 16 Prozent. Die Väter, die<br />
wegen Erziehung und Hausarbeit<br />
ihr Pensum reduzieren, sind in der<br />
Schweiz demnach noch immer in<br />
der Minderheit. Kein Wunder also,<br />
dass es auch nach der Trennung die<br />
Frauen sind, die sich um die Kinder<br />
kümmern. Der Vater zahlt Alimente<br />
fürs Kind oder wäre zumindest dazu<br />
verpflichtet; doch es drücken sich<br />
viele – oder sie zahlen zu wenig.<br />
Laut Caritas bezieht jede fünfte<br />
Alleinerziehende Sozialhilfe.<br />
Natürlich sind nicht alle Alleinerziehenden<br />
arm und bedauernswert.<br />
Die meisten haben ihr Leben<br />
im Griff. Sie erscheinen in keiner<br />
Armutsstatistik. In keiner Sozialhilfestudie.<br />
In keiner Alimentenbevorschussungsübersicht.<br />
«Vielen meiner<br />
Klientinnen geht es finanziell<br />
gut und sie sind zufrieden mit ihrem<br />
Leben», bestätigt eine Zürcher<br />
Scheidungsanwältin, die anonym<br />
bleiben möchte.<br />
Manche Frauen entscheiden sich<br />
sogar ganz bewusst für ein Kind –<br />
obwohl der passende Mann dazu<br />
fehlt. Letzteres ist für sie kein Grund,<br />
auf Kinderglück zu verzichten. Die<br />
erfolgreiche Juristin, die mit 38 Jahren<br />
beruflich zwar viel erreicht hat,<br />
aber gerade in keiner Beziehung<br />
lebt, ist so ein Beispiel. Und tatsächlich:<br />
Leiter grosser Samen- >>><br />
18 SEPTEMBER <strong>2015</strong>