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07/2015

Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

Die meisten Betroffenen<br />

nehmen genau wahr,<br />

wo ihr Stottern sitzt.<br />

>>> vor. Heute ist der Vertiefungstag<br />

der Camp-Woche. Auch Karl<br />

Schneider stottert, auf eine lockere,<br />

unangestrengte Art. Aber was sich<br />

für den Zuhörer wie eine Sprechstörung<br />

anhört, ist gewollt und die<br />

Demonstration, dass hier das Stottern<br />

nicht nur okay ist, sondern –<br />

anstatt einfach beseitigt – bewusst in<br />

eine lockere Form gelenkt werden<br />

soll.<br />

Auf die Sprechtechnik kommt es an<br />

Segeln, Tauchen, Klettern, ein Baumhaus<br />

bauen, neben den klassischen<br />

sprachtherapeutischen Übungen<br />

wird den Jugendlichen viel geboten.<br />

«Doch wir sind kein Feriencamp für<br />

Stotterer», sagt Wolfgang G. Braun.<br />

Die Verknüpfung von sprachtherapeutischen<br />

Ansätzen mit Elementen<br />

der Erlebnispädagogik und der Psychomotorik<br />

ist bewusst gewählt.<br />

Wolfgang G. Braun: «An der Klet-<br />

terwand machen die Jugendlichen<br />

erst einmal alles mit Kraft und sind<br />

nach einer Stunde fix und fertig. So<br />

ähnlich geht es ihnen beim Sprechen.<br />

Beim Klettern lernen sie, dass mit<br />

der richtigen Technik alles leichter<br />

geht. Das lässt sich wunderbar aufs<br />

Sprechen übertragen.»<br />

Silvan findet das lässig. Dabei<br />

wollte er zuerst gar nicht teilnehmen.<br />

Seine Therapiekarriere war<br />

lang und frustrierend. Wöchentliche<br />

Sitzungen bei der Logopädin, heilpädagogischer<br />

Kindergarten, dann<br />

sprachheilpädagogische Schulen.<br />

Gebracht habe ihm das alles nichts,<br />

sagt er. Im Gegenteil, einmal empfiehlt<br />

ihm eine Fachperson den<br />

Gang zum Psychologen. Sie unterstellt<br />

ihm Lernverweigerung, weil er<br />

seine Hausaufgaben nicht gemacht<br />

hat. Da reicht es ihm. «Mit 14 habe<br />

ich alle Sprachtherapien abgebrochen»,<br />

sagt er. Heute geht er zur<br />

Atemtherapie – und macht grosse<br />

Fortschritte. «Es gibt Tage, da stottere<br />

ich gar nicht.» Und dann kommen<br />

wieder diese Momente, wenn<br />

er müde ist, wenn es hektisch zugeht.<br />

Dann wird der Kauf eines Billetts am<br />

Bahnschalter zur Qual, eine Veranstaltung<br />

mit lauter fremden Leuten<br />

zum Spiessrutenlauf.<br />

«Guten Tag, welche Eissorten<br />

haben Sie denn?» Silvan schaut konzentriert<br />

in die Auslage. Nachdem<br />

die Verkäuferin ihre Aufzählung<br />

beendet hat, trifft er seine Wahl und<br />

bedankt sich. Seine Patin Nina<br />

Biastoch, 28, nickt ihm anerkennend<br />

zu. Keine Blockade, langsam und<br />

bewusst gesprochen habe er. Der<br />

gemeinsame Eiskauf im Ort ist eine<br />

der lebensnahen Praxisaufgaben, die<br />

die Camp-Teilnehmer in Tägerwilen<br />

zu meistern haben.<br />

Nina Biastoch sagt, dass die meisten<br />

Betroffenen genau wahrnehmen,<br />

wo ihr Stottern sitzt, wie es sich anfühlt,<br />

wenn es sie wieder kalt erwischt.<br />

So wie Alina Simon aus dem<br />

deutschen Kaufbeuren. «Ich spüre es<br />

hinten im Hals», sagt die 16-Jährige<br />

und greift an die Stelle, die ihr das<br />

Silvan Vögele ist<br />

sein Handicap<br />

heute nicht mehr<br />

peinlich. Sein<br />

Ziel ist es aber,<br />

ganz stotterfrei<br />

zu werden.<br />

50 SEPTEMBER <strong>2015</strong>

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