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Psychologie & Gesellschaft<br />
>>> Nacht hatte, machte ich für<br />
mich alleine Zmorge. Ich habe mich<br />
schnell daran gewöhnt, alleine am<br />
Tisch zu sitzen und meine Schoggi<br />
zu trinken», erinnert sich Selma.<br />
Als Elena in immer stärkere<br />
Depressionen verfällt, kommt sie für<br />
drei Wochen in eine psychiatrische<br />
Klinik. In dieser Zeit wird auch Selmas<br />
Vater eingeschalten. Selma verbringt<br />
von nun an jedes zweite<br />
Wochenende bei ihm: Und es gefällt<br />
ihr dort, obwohl ihr Papa ihr anfänglich<br />
noch fremd ist. «Dort konnte<br />
ich richtig Kind sein und musste<br />
keine Verantwortung übernehmen.»<br />
Selma erlebt bei ihrem Vater einen<br />
geregelten Tagesablauf, wie sie ihn<br />
von zu Hause her nicht mehr kennt.<br />
«Wir haben viel gemeinsam unternommen,<br />
sind im Sommer ins<br />
Schwimmbad oder Velo fahren gegangen,<br />
oder auch in den Zoo», erinnert<br />
sie sich mit leuchtenden<br />
Augen. «Ich habe mich immer total<br />
auf die Zeit mit Papa gefreut, hatte<br />
aber auch ein bisschen ein schlechtes<br />
Gewissen gegenüber Mama, weil<br />
ich sie dann alleine liess.»<br />
Wenn es Elena zu viel wird, steigt<br />
sie ins Auto und fährt davon. Selma<br />
hat dann Angst, ruft einmal den<br />
Vater an, der sich danach um sie<br />
kümmert. Einmal ihren Götti, Elenas<br />
Bruder. Als Elena das erfährt, ist<br />
sie ausser sich vor Zorn. «Mama<br />
sagte, er habe sich nicht um uns<br />
gekümmert, als es ihr schlecht ging,<br />
der müsse jetzt auch nicht kommen.»<br />
Und dann kam der 8. August. Ein<br />
heisser Sommertag. Selma hatte<br />
eine leichte Grippe, wollte aber<br />
unbedingt in ihren Schwimmkurs.<br />
Elena wollte, dass das Mädchen zu<br />
Hause blieb. Es kam wieder zum<br />
Streit. Elena verliess die Wohnung,<br />
und als sie weg war, packte Selma<br />
ihre Badesachen und ging ins<br />
Schwimmbad. Dort fühlte sie sich<br />
aber nicht wohl und ging wieder<br />
nach Hause.<br />
«Daheim lag ein Zettel auf dem<br />
Tisch, wo Mami schrieb, sie schlafe,<br />
und ich solle sie nicht wecken. Ich<br />
war total sauer, denn ich wusste ja,<br />
dass sie vorher mit dem Auto weggefahren<br />
war. Aber eigentlich war es<br />
mir auch egal, wo sie war. Ich glaube<br />
heute, es war einfach zu viel für<br />
mich. Ich ass meinen Znacht und<br />
schlief auf dem Sofa ein. In der<br />
Nacht hörte ich, wie Mami reinkam,<br />
Weinflaschen klirrten. Sie kam nahe<br />
zu mir, ich roch ihren Atem, das war<br />
ganz grusig, ich stellte mich schlafend.<br />
Sie sagte: ‹Ich liebe dich und es<br />
ist gut so für uns beide.› Dann war<br />
sie weg. In dem Moment war es mir<br />
egal, aber nachher nicht mehr, und<br />
ich ging in die Tiefgarage. Das Auto<br />
war weg, da bekam ich Angst.» Nur<br />
schwer kann sie in dieser Nacht weiterschlafen:<br />
«Ich hatte ein komisches<br />
Gefühl, denn über Nacht ist Mama<br />
eigentlich nie weggeblieben.»<br />
Am nächsten Morgen wachte<br />
Selma alleine auf. Das komische<br />
Gefühl war nicht verschwunden.<br />
«Ich mochte gar nichts frühstücken,<br />
mein Magen tat ganz fest weh, weil<br />
ich Angst wegen Mama hatte. Aber<br />
weil sie mir immer sagte, es sei wichtig,<br />
dass ich regelmässig esse, habe<br />
ich mir ein Pausenbrot gemacht und<br />
ging dann zur Schule.»<br />
«In der zweiten Lektion holte<br />
mich die Lehrerin raus und sagte:<br />
Der Atem ihrer Mutter roch nach<br />
Alkohol. Sie sagte: «Ich liebe dich<br />
und es ist gut so für uns beide.»<br />
KUNST,<br />
GRAFIK<br />
& SCHELLEN-<br />
URSLI<br />
70 SEPTEMBER <strong>2015</strong><br />
www.carigiet.landesmuseum.ch<br />
27.3.<strong>2015</strong> – 28.6.<strong>2015</strong><br />
www.marignano.landesmuseum.ch<br />
12.06.<strong>2015</strong><br />
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03.01.2016