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07/2015

Fritz + Fränzi

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Psychologie & Gesellschaft<br />

Mamis Schatten<br />

auf der Seele<br />

Wenn Mutter und Vater psychisch erkranken, schlüpfen die Kinder oft in<br />

die Rolle des Erwachsenen. So wie die 13-jährige Selma. Als ihre Mutter<br />

an Depressionen und Alkoholismus erkrankte, wurde das Mädchen zu<br />

ihrer stillen Komplizin. Eine Geschichte voller Wut, Trauer und<br />

Überforderung. Text: Silvia Aeschbach Fotos: Daniel Auf Der Mauer / 13 Photo<br />

Selma* war acht Jahre alt, als<br />

sie merkte, dass ihre Mutter<br />

ein Problem hat. «Bei<br />

einer Geburtstagsparty<br />

klappte sie einfach zusammen.<br />

Ich sah sie am Boden liegen<br />

und bin total erschrocken. Am<br />

nächsten Tag sagte sie zu mir, ich<br />

dürfe niemandem erzählen, dass sie<br />

krank sei. Das habe ich auch nie<br />

gemacht», erzählt das hochgewachsene<br />

Mädchen. Wenn Selma über<br />

ihre Vergangenheit spricht, dann<br />

ruhig und abgeklärt. Nur ihre Finger,<br />

die sie immer wieder ineinander<br />

verknotet, zeigen ihre unterschwellige<br />

Nervosität.<br />

Selma ist 13 Jahre alt. Sie liebt<br />

ihren Hund Lucky, spielt Volleyball<br />

und ist eine richtige Zeichenkünstlerin.<br />

«Das Zeichnen ist eine Form,<br />

ihre Vergangenheit zu verarbeiten»,<br />

sagt die Psychologin, zu der Selma<br />

alle 14 Tage geht. Gemeinsam sitzen<br />

wir an diesem regnerischen Mittwochnachmittag<br />

im Büro eines Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrischen<br />

Dienstes.<br />

Selma möchte mir ihre Geschichte<br />

erzählen, «damit ich anderen Kindern<br />

helfen kann, die auch so etwas<br />

wie ich erleben». Selmas Mutter,<br />

Elena, war depressiv und alkoholkrank.<br />

Vor zwei Jahren hat sie<br />

sich unter einen Zug geworfen. «Als<br />

sie mir sagten, wie sie sich umgebracht<br />

hatte, wurde ich böse. So<br />

haben auch noch andere Leute leiden<br />

müssen», sagt Selma bestimmt.<br />

Und etwas weicher fügt sie an: «Aber<br />

s Mami war halt krank.»<br />

Selma und ihre Mutter Elena<br />

waren ein eingeschworenes Team.<br />

Die alleinerziehende Mutter, sie<br />

trennte sich von Selmas Vater, als<br />

Selma dreijährig war, und ihre Tochter<br />

machten fast alles zusammen.<br />

«Aber als sie krank wurde, musste<br />

ich auf sie aufpassen», sagt Selma<br />

mit grosser Selbstverständlichkeit.<br />

«Und auch auf mich», fügt sie an.<br />

«Ich stellte am Morgen meinen<br />

Wecker, weil Mami immer länger<br />

geschlafen hat. Und ich wollte nicht<br />

zu spät in die Schule kommen.»<br />

Wie war das, als das Mami noch<br />

gesund war? «Das war lässig.<br />

Manchmal nahm sie mich mit, wenn<br />

sie Sachen mit dem Lieferwagen<br />

auszufahren hatte, dann hatten wir<br />

es total lustig. Aber dann wurde sie<br />

immer unglücklicher. Sie erzählte<br />

mir ein bisschen über ihre Sorgen.»<br />

Unwillkürlich überkommt einen das<br />

Gefühl, dass Selma anfänglich stolz<br />

war, Freundin, Vertraute und Geheimnisträgerin<br />

ihrer Mutter zu<br />

sein. «Aber es machte mich auch<br />

traurig, dass ich ihr nicht wirklich<br />

helfen konnte.»<br />

Nach dem Vorfall am Geburtstag<br />

ringt Elena dem Mädchen ein Versprechen<br />

ab: «Du darfst niemandem<br />

sagen, dass ich krank bin. Das ist<br />

jetzt unser Geheimnis. Kannst du es<br />

für dich behalten?» Und Selma hält<br />

dicht. Und wieder schwingt dieser<br />

Stolz in ihrer Stimme mit: «Meine<br />

Lehrerin hat mir später mal gesagt,<br />

man hätte mir nicht angesehen, dass<br />

es bei mir zu Hause Probleme gebe.»<br />

Um ihrem Kind ihre Krankheit<br />

zu erklären, hatte Elena ein >>><br />

«Du darfst niemandem sagen,<br />

dass ich krank bin. Das ist jetzt<br />

unser Geheimnis.»<br />

66 SEPTEMBER <strong>2015</strong>

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