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07/2015

Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

>>> lagung zum Stottern vererbt<br />

wird, aber nicht das Stottern an sich.<br />

Die genetische Disposition alleine<br />

führt also noch nicht zu einem Stottern.<br />

Möglicherweise sind auch<br />

kleinste Schäden oder Veränderungen<br />

im Gehirn daran beteiligt und<br />

stören zum Beispiel die Koordination<br />

der am Sprechen beteiligten<br />

Muskeln. Unterscheiden muss man<br />

ursächliche und auslösende Faktoren.<br />

Der Wechsel in eine neue Klasse,<br />

die Geburt eines Geschwisters,<br />

ein Unfall, Schulstress oder die<br />

Scheidung der Eltern können Auslöser<br />

für das Stottern sein. Sie sind<br />

aber nicht die Ursache. Tritt das Stottern<br />

beim Kind dann auf, kann verunsicherndes<br />

Verhalten des Umfeldes<br />

das Stottern begünstigen und<br />

aufrechterhalten.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

80 Prozent der Kinder machen zwischen<br />

dem dritten und sechsten<br />

Lebensjahr eine Phase durch, in der<br />

sie nicht flüssig sprechen. Bei einem<br />

Grossteil von ihnen geben sich diese<br />

Schwierigkeiten ganz von alleine.<br />

Fordern die Eltern ihr Kind jedoch<br />

ständig auf, langsamer und deutlich<br />

zu sprechen, machen sie es erst recht<br />

auf diese Störung aufmerksam, was<br />

dazu führen kann, dass sie sich in<br />

einem Stottern manifestiert.<br />

Wenn diese Kinder in die Pubertät<br />

kommen, haben sie es sicher nicht<br />

leicht. Man will dazugehören, bloss<br />

nicht auffallen.<br />

Das ist nicht zwangsläufig gesagt.<br />

Unter den Stotterern kenne ich sehr<br />

selbstbewusste, in sich ruhende Persönlichkeiten.<br />

Sie mussten schon<br />

früh lernen, sich mit ihrem Handicap<br />

zu behaupten. Aber es stimmt<br />

schon – Stottern ist eine Herausforderung,<br />

gerade wenn die Gruppe der<br />

Gleichaltrigen wichtiger wird.<br />

Viele Stotterer berichten, dass sie an<br />

manchen Tagen überhaupt nicht stottern,<br />

während ihnen an anderen das<br />

Sprechen sehr schwerfällt.<br />

Das ist das Heimtückische an diesem<br />

Handicap. Wir erklären uns dies an<br />

einem Küchenwaagen-Modell. Um<br />

flüssig zu sprechen, braucht es ein<br />

Gleichgewicht zwischen Anforderung<br />

und Kapazitäten des Kindes.<br />

Äussere Faktoren wie Prüfungsstress,<br />

Veränderungen oder Schlafmangel<br />

können dieses Gleichgewicht<br />

aufheben – dieses Ungleichgewicht<br />

macht ein entspanntes, lockeres<br />

Sprechen mühsamer.<br />

Welches sind die am meisten gefürchteten<br />

Alltagssituationen für jugendliche<br />

Stotterer?<br />

Das kann sehr unterschiedlich sein.<br />

Manchen fällt es schwer, zu telefonieren.<br />

Andere haben damit kein<br />

Problem, ihnen treibt vielleicht die<br />

Vorstellung, vor einer Gruppe sprechen<br />

zu müssen, die Schweissperlen<br />

auf die Stirn. Ich rate Betroffenen zu<br />

einem offenen Umgang mit dem<br />

Handicap. So kann man beispielsweise<br />

zu Beginn eines Referates darauf<br />

hinweisen, dass es eventuell<br />

etwas länger dauern wird, da man<br />

an der einen oder anderen Stelle längere<br />

Zeit für die Worte braucht. Das<br />

nimmt dem Betroffenen den Druck<br />

und verbessert nicht zuletzt den<br />

Sprechfluss.<br />

In einem geschützten Raum ist das<br />

leichter machbar. Bei der Lehrstellensuche<br />

möchten Betroffene ihr Handicap<br />

aber sicherlich nicht direkt zu<br />

Beginn preisgeben.<br />

Das mag sein. Ich rate aber auch hier<br />

grundsätzlich zur Offenheit. Und<br />

auch dazu, die Berufswahl nicht<br />

schon im Voraus aufgrund der Kommunikationsbeeinträchtigung<br />

stark<br />

einzugrenzen.<br />

Ist Stottern heilbar?<br />

Das Stottern wächst sich nicht aus.<br />

Aber in der – möglichst frühen –<br />

Therapie bekommen Kinder vom<br />

Kleinkind- bis ins Jugendalter eine<br />

gute Chance, souverän mit dem Stottern<br />

umzugehen, oder Sprechtechniken<br />

zu erlernen, die ein Stottern<br />

erst gar nicht auftreten lassen.<br />

Was heisst das?<br />

Sie sprechen so flüssig, dass ihnen<br />

kaum jemand das Stottern anmerkt.<br />

Dafür kombinieren wir in Therapie-<br />

Settings wie dem Stottercamp zwei<br />

Methoden: Der «Nicht-Vermeidungs-Ansatz»<br />

soll die Kinder dazu<br />

bringen, das Stottern nicht krampfhaft<br />

zu umgehen und die Angst davor<br />

zu verlieren. Sie erlernen einen<br />

selbstbewussten Umgang mit dem<br />

Stottern. Zum anderen vermitteln<br />

wir eine Sprechtechnik, die flüssiges<br />

Sprechen fördert.<br />

Wie reagiert man am besten auf einen<br />

Stotterer?<br />

Das Wichtigste ist, gegenüber dem<br />

Gesprächspartner ein normales<br />

Kommunikationsverhalten zu<br />

bewahren. Dazu gehören Blickkontakt<br />

und geduldiges Zuhören, so<br />

signalisiert man: «Ich habe Zeit, ich<br />

höre dir zu.» Diesen Tipp möchte ich<br />

vor allem auch Eltern betroffener<br />

Kinder und deren Lehrern mit auf<br />

den Weg geben. Ratschläge wie<br />

«Sprich langsam», «Überleg doch<br />

erst mal» verunsichern das Kind nur<br />

und verstärken letztendlich das Stottern.<br />

>>><br />

Wolfgang G. Braun<br />

Prof., ist Dozent an der Interkantonalen<br />

Hochschule für Heilpädagogik HfH Zürich.<br />

54 SEPTEMBER <strong>2015</strong>

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