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‹Wir müssen reden.› In einem Zimmer<br />
warteten Polizisten, mein<br />
Grossvater und mein Götti auf mich.<br />
Da wusste ich: Es war vorbei. Sie<br />
sagten: ‹Mami hatte einen Unfall.›<br />
Dann, dass sie tot sei. Ich wusste<br />
sofort, dass es kein Unfall war.»<br />
Wie fühltest du dich damals?<br />
«Ich war glücklich, traurig und<br />
böse, alles zusammen.»<br />
Es wird bestimmt, dass Selma für<br />
die nächste Zeit bei ihren Grosseltern<br />
väterlicherseits leben soll.<br />
Noch am selben Tag verlässt sie die<br />
Schule. Sie wird nicht mehr zurückkehren.<br />
Die Kollegen schreiben kleine<br />
Abschiedsbriefchen, die sie Selma<br />
in den Rucksack legen. So gerührt<br />
Selma von dieser Geste ist, so<br />
schnell will sie weg aus der alten<br />
Umgebung: «Ich wollte neue Kollegen<br />
finden, denn die alten erinnerten<br />
mich daran, dass ich immer<br />
etwas verstecken musste.»<br />
An die Beerdigung kann sie sich<br />
nicht mehr richtig erinnern, nur<br />
daran, «dass ich viel vom Mami<br />
geträumt habe. Ich konnte mir nicht<br />
vorstellen, dass sie wirklich tot war.<br />
Mit der Zeit merkte ich, dass sie<br />
nicht mehr zurückkam. Ich hatte<br />
dann oft Glücksgefühle, dass alles<br />
vorbei war, dann aber hasste ich sie,<br />
dass sie mich alleine gelassen hat.»<br />
Ein halbes Jahr bleibt Selma bei<br />
den Grosseltern, seit zwei Jahren<br />
lebt sie bei ihrem Vater und seiner<br />
neuen Lebensgefährtin. «Heute geht<br />
es mir super gut», sagt sie mit einem<br />
breiten Lachen. Vermissen täte sie<br />
ihre Mutter nur manchmal. «Das<br />
hiesse ja, dass ich die Vergangenheit<br />
vermissen würde, und das tue ich<br />
nicht. Am schönsten ist, dass ich<br />
heute über alles reden darf. Und<br />
meine Mutter schaut mir von oben<br />
herab zu.»<br />
So abgeklärt Selma über ihre Vergangenheit<br />
spricht, so fragil ist das<br />
neue Gleichgewicht. Gleich nach<br />
dem Tod ihrer Mutter fühlte sie<br />
«eine grosse Leere, da habe ich mich<br />
selber verletzt», etwas, das sie heute<br />
nicht mehr tut. «Das Ritzen, das tut<br />
mir nicht gut.»<br />
Spricht sie mit Freundinnen über<br />
ihre Vergangenheit? «Nein, nur ganz<br />
selten, denn ich habe das Gefühl,<br />
dass sie mich nicht verstehen. Wie<br />
sollen sie auch? Sie haben ja nicht<br />
durchgemacht, was ich durchgemacht<br />
habe.»<br />
Die 13-Jährige ist jetzt in der ersten<br />
Oberstufe und möchte später<br />
Sozialpädagogin werden oder in<br />
einem Altersheim arbeiten. «Ich<br />
helfe gerne, weil ich weiss, wie es ist,<br />
wenn man keine Hilfe bekommt.<br />
Und, ich will nicht, dass jemand so<br />
einen Scheiss wie meine Mama<br />
macht.»<br />
Beim Abschied drückt mir Selma<br />
fest die Hand und sagt: «Es würde<br />
mich freuen, wenn mir andere Kinder<br />
schreiben würden.»<br />
>>><br />
* Namen von der Redaktion geändert<br />
Silvia Aeschbach<br />
hat über ihre Panikattacken das Buch «Leonardo DiCaprio trifft<br />
keine Schuld» (Wörtersee Verlag) geschrieben und kennt das Thema<br />
Ängste aus eigenem Erleben. Als sie die 13-jährige Selma traf, war sie<br />
erstaunt, wie gefasst und erwachsen das Mädchen mit dem Tod ihrer<br />
Mutter umgeht. Und wie lebensfroh Selma trotz ihres Schicksals ist.<br />
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