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Broschüre Satz für Internet.indd - Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur

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Die poetische Geschichte von Lulu und ihrer Suche beginnt realistisch und endet in einem Zwischenbereich<br />

zwischen Symbolik und Traum. Das wäre allein noch kein Thema <strong>für</strong> einen Film von 145 Minuten<br />

Länge. Die eigentliche Substanz besteht aus einem Schatz, der bei der Neuorganisation der Filmarchive<br />

der ERF zutage getreten ist. Seit Beginn der HEIMAT-Produktion im Jahre 1980 sind Filmszenen entstanden,<br />

die oft weit über die Grenzen des Epos hinausdrängten. Nebenfiguren wurden in ihren eigenen<br />

Lebensbereichen beschrieben, geschichtliche Ereignisse wurden aus der Sicht von Kindern betrachtet<br />

oder die Hauptfiguren erlebten Situationen, die sich zu eigenen kleinen Filmhandlungen verselbständigten.<br />

Die besondere Arbeitsweise von HEIMAT bestand ja gerade darin, sich nicht an die üblichen Regeln<br />

der Dramaturgie zu halten, sondern immer offen zu bleiben <strong>für</strong> neue Geschichten und Themen, die uns<br />

am Wegrand der langjährigen Produktion begegneten. So ist es dazu gekommen, dass immer wieder<br />

filmische Sequenzen und ganze Erzählstränge nicht in den Film aufgenommen werden konnten und in<br />

den Archiven verschwanden. Im Laufe von mehr als 25 Produktionsjahren wurde dieses, oft mit großem<br />

Aufwand inszenierte Material vergessen.<br />

Als im Frühjahr 2005 ein neues Archiv <strong>für</strong> die HEIMAT-Produktion eingerichtet werden musste, wurde<br />

dieses Material wiederentdeckt. Es besteht aus Hunderten von Fragmenten im 35 mm-Format mit synchronen<br />

17,5 mm-Magnettonbändern, oft fertig montiert, immer aber ungemischt, jedoch in bestem<br />

technischem Zustand. Nach Sichtung dieses Materials ergab sich, dass es mehr als 6 Stunden an fertig<br />

geschnittenem Filmmaterial umfasst. Es erzählt in fragmentarischer Form von Menschen und Situationen,<br />

die ein Kenner der HEIMAT-TRILOGIE zwar bestens kennt und deren Zusammenhänge ihm geläufig<br />

sind, die er aber in dieser offenen Form nie gesehen hat und von deren Existenz er nichts ahnen konnte.<br />

Die Geschichte von Lulu, die in den HEIMAT-FRAGMENTEN vorgestellt wird, ist deswegen nicht nur eine<br />

„Rahmenhandlung”, durch die sich die schönsten der vorgefundenen Filmszenen zusammenreimen lassen<br />

– nein sie ist der eigentliche Schlüssel zu ihrem Verständnis. Wir wissen natürlich, dass man Lulu, die<br />

eine ebenso fiktive filmische Figur ist, wie alle anderen Figuren, nicht diesen als außenstehende Beobachterin<br />

gegenübertreten lassen kann. Hier geht es um die Aufdeckung eines inneren Verhältnisses,<br />

der Beziehungen zwischen der Spielfilm-Handlung und der historischen Wirklichkeit. Man hat zwar<br />

die Geschichten, die in HEIMAT erzählt werden, oft mit dieser Realität verwechselt. Das lag aber nicht<br />

nur am Realismus der Darstellung, sondern auch daran, dass sich die Zuschauer in das Filmgeschehen<br />

hineinprojezieren und weit über die Vorführung hinaus zum Teil der Filmgeschichte wurden. „Wir sind<br />

zu Bewohnern von Schabbach geworden”, sagten viele Zuschauer nach den vielstündigen Vorführungen.<br />

Wie es auch in den großen Romanen geschehen kann, vertauschen sich Fiktion und Wirklichkeit.<br />

Dabei geschieht ein kleines Wunder: Die Vergangenheit, die uns doch ewig entflieht, die wir nie wirklich<br />

betreten können, wird bewohnbar, wird zu einem ganz und gar verfügbaren Teil unseres Lebens. Das ist<br />

eines der Paradigmen der Filmkunst und wird hier zum Thema eines neuen Films. Wir erleben mit Lulu<br />

eine wirkliche Umkehr der Perspektive: Ihr Blick in die Vergangenheit ist nicht mehr nur das Ende ihrer<br />

Jugend, sondern der Beginn einer Ernte.<br />

Edgar Reitz und Christian Reitz<br />

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