Dokumentation - Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe
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„Bevor wir deshalb<br />
staatliche Kontrollen<br />
verschärfen, sollten wir<br />
zu allererst eine Kultur<br />
des Hinschauens und<br />
der gesellschaftlichen<br />
Mitverantwortung<br />
fördern.“<br />
7 Von den jährlichen Ausgaben<br />
im Bereich der Kinder-<br />
und Jugendhilfe entfallen<br />
nur 0,4% auf diesen Leistungsbereich.<br />
16<br />
2. Konsequenzen für den Kinderschutz<br />
a) Kinderschutz als gesamtgesellschaftliche<br />
Herausforderung<br />
Die Fokussierung auf eklatante Fälle von<br />
Kindesvernachlässigung und auf die Eingriffsbefugnisse<br />
des Staates verstellt den<br />
Blick für ein weites Verständnis vom Kinderschutz.<br />
Dieser obliegt zunächst den Eltern<br />
im Hinblick auf ihr Kind im Rahmen<br />
ihrer Erziehungsverantwortung. Primäre<br />
Aufgabe des Staates ist es daher, Eltern in<br />
ihrer Erziehungskompetenz zu unterstützen<br />
und zu stärken.<br />
Eltern leben indes nicht auf einer Insel der<br />
Seeligen, sondern mitten in der Gesellschaft.<br />
Diese hat deshalb auch eine Verantwortung<br />
für die nachwachsende Generation.<br />
Bevor wir deshalb staatliche Kontrollen<br />
verschärfen, sollten wir zu allererst eine<br />
Kultur des Hinschauens und der gesellschaftlichen<br />
Mitverantwortung fördern.<br />
Die staatliche Mitverantwortung beschränkt<br />
sich aber nicht auf Hilfe und Schutz im Einzelfall.<br />
Durch die Entwicklung einer kinder<br />
und familienfreundlichen Gesellschaft, die<br />
aktive Bekämpfung von Kinderarmut, durch<br />
Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von<br />
Erwerbstätigkeit und Familie kann der Staat<br />
Zeichen setzen, dass er Erziehung wertschätzt,<br />
und Rahmenbedingungen dafür<br />
schaffen, dass Eltern Entlastung und Unterstützung<br />
erfahren. Kinderschutz ist deshalb<br />
auch eine strukturelle staatliche Aufgabe.<br />
Schließlich muss der Staat die zuständigen<br />
Behörden entsprechend ausstatten, damit<br />
sie in Fällen der Kindeswohlgefährdung die<br />
notwendigen Entscheidungen treffen können.<br />
Der individuelle Schutzauftrag, wie er<br />
in § 8a SGB VIII seinen gesetzlichen Ausdruck<br />
gefunden hat, behält auch dann seine<br />
Bedeutung, wenn die vorab genannten<br />
präventiven und strukturellen Ansätze verstärkt<br />
werden.<br />
b) Strategien im Kinderschutz<br />
Prävention und Intervention<br />
im Kinderschutz<br />
Den dramatischen Fällen von Kindesmisshandlung<br />
und Vernachlässigung, die mit<br />
dem Tod oder der schweren Verletzung von<br />
Kindern verbunden sind, geht immer ein<br />
mehr oder weniger langer Prozess der Destabilisierung<br />
der familialen Lebenssituation<br />
und der eskalierenden Belastung für das<br />
Kind voraus, dessen Anfang kaum genau<br />
identifiziert werden kann. Es erscheint deshalb<br />
notwendig, beim Thema Kinderschutz<br />
nicht sofort den Blick auf die spezifischen<br />
Aufgaben des Jugendamtes bei akuter Kindeswohlgefährdung<br />
zu verengen, sondern<br />
diesen gesamten Entwicklungsprozess und<br />
die Möglichkeiten der Einflussnahme in den<br />
Blick zu nehmen. Dieser Prozess lässt sich<br />
mit der vor allem aus der Medizin bekannten<br />
Terminologie in verschiedene Abschnitte<br />
unterteilen, die freilich im realen Ablauf<br />
nahtlos ineinander übergehen.<br />
Kinderschutz beginnt bereits bei der primären<br />
Prävention, also der Aufklärung und Information<br />
über die Bedürfnisse des Kindes,<br />
bei der Beratung über Pflege und Erziehung,<br />
der Vermittlung von elterlicher Erziehungskompetenz.<br />
Sie kann gar nicht früh<br />
genug beginnen, weshalb immer wieder<br />
auch ein Fach Erziehungslehre in der Schule<br />
gefordert wird. Die Verbesserung der elterlichen<br />
Erziehungskompetenz (in diesem<br />
Frühstadium) ist auch Aufgabe der Kinder<br />
und Jugendhilfe und Ziel der allgemeinen<br />
Förderung der Erziehung in der Familie<br />
nach § 16 SGB VIII. Bewertet man die Bedeutung<br />
dieser Leistung nach den dafür investierten<br />
Mitteln, so führt sie in der Kinder<br />
und Jugendhilfe bis heute ein Schattendasein.<br />
7<br />
Kinderschutz geht dann über in die sekundäre<br />
Prävention, also die Unterstützung<br />
von Eltern in belastenden Lebenssituationen,<br />
die spezifische Risiken für Kinder bergen.<br />
Dazu zählen etwa TeenagerSchwangerschaften<br />
ebenso wie unzureichende<br />
Wohnverhältnisse, die (psychische) Erkrankung<br />
von Eltern(teilen) oder grundlegende<br />
Konflikte in der Partnerschaft. In diesem<br />
Stadium geht es darum, den Zugang<br />
zu solchen Eltern zu finden, um durch helfende<br />
und unterstützende Maßnahmen Belastungen<br />
abzubauen und der Entwicklung<br />
einer weiteren Gefährdungsdynamik rechtzeitig<br />
zu begegnen.<br />
Schließlich sprechen wir von Intervention<br />
im Kinderschutz. Dabei denken wir Juristen<br />
zu allererst an die Schwelle der Kindes-