Dokumentation - Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe
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gefordert worden, die Kinderuntersuchungen<br />
auch zur Vorbeugung von Kindeswohlgefährdung<br />
zu nutzen oder damit einer bereits<br />
eingetretenen Kindeswohlgefährdung<br />
wirkungsvoll zu begegnen. Innerhalb der<br />
Fachwelt wird kontrovers diskutiert, ob der<br />
Nutzen den Aufwand rechtfertigt, vor allem<br />
aber, ob es nicht wirkungsvollere Alternativen<br />
gibt. Zum einen wird bezweifelt,<br />
ob auf diese Weise gerade diejenigen Eltern<br />
erreicht werden, die sich der Verpflichtung<br />
mit allen Mitteln entziehen wollen. Zudem<br />
sind die Untersuchungsintervalle z. T.<br />
so groß, dass eine kontinuierliche Entwicklungsbegleitung<br />
kaum möglich ist. Schließlich<br />
sind die Ärzte auch nur bedingt, in der<br />
Lage, Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung<br />
zu erkennen.<br />
Der Gemeinsame Bundesausschuss wird<br />
zu diesem Zweck die sog. Kinderrichtlinie<br />
überarbeiten. Einzelne Länder haben inzwischen<br />
die Pflicht zur Teilnahme an den Untersuchungen<br />
gesetzlich geregelt. In anderen<br />
Ländern ist inzwischen das Konzept<br />
des „verbindlichen Einladungswesens“<br />
im Rahmen von Kinderschutzgesetzen installiert<br />
worden. Über die Meldebehörden<br />
werden Eltern zu den Untersuchungen<br />
eingeladen. Von den Ärzten erfolgen Rückmeldungen<br />
über die vorgestellten Kinder.<br />
Durch einen Datenabgleich wird festgestellt,<br />
welche Kinder nicht an der Vorsorgeuntersuchung<br />
teilgenommen haben. Daraufhin<br />
erfolgen nochmalige Einladungen und ggf.<br />
Hausbesuche durch den öffentlichen Gesundheitsdienst<br />
oder das Jugendamt.<br />
c) Die Konkretisierung des Schutzauftrags<br />
der Jugendhilfe in § 8a<br />
SGB VIII<br />
Der durch das Kinder und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz<br />
(KICK) mit Wirkung<br />
vom 01.10.2005 in das SGB VIII eingeführte<br />
neue § 8a strukturiert den bereits bestehenden<br />
Schutzauftrag des Jugendamtes im<br />
Fall einer Kindeswohlgefährdung und verknüpft<br />
ihn mit den Handlungspflichten der<br />
Leistungserbringer (freie Träger). Das Herzstück<br />
der Regelung bildet die Pflicht des<br />
Jugendamtes, bei „gewichtigen Anhaltspunkten<br />
für eine Kindeswohlgefährdung“<br />
eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen<br />
und dabei Eltern und Kind zu beteiligen,<br />
sofern dadurch der wirksame Kindesschutz<br />
nicht in Frage gestellt wird.<br />
Referat J Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Wiesner<br />
Darüber hinaus verpflichtet die Vorschrift<br />
die Jugendämter, sicherzustellen, dass<br />
die Leistungserbringer „den Schutzauftrag<br />
in entsprechender Weise wahrnehmen“.<br />
Damit wird nicht eine Aufgabe des<br />
Jugendamtes delegiert, sondern deutlich<br />
gemacht, dass die Leistungserbringer im<br />
Rahmen ihrer vertraglich gegenüber den Eltern<br />
zugunsten des Kindes übernommenen<br />
Förderpflichten auch Schutzpflichten übernommen<br />
haben, die im Einzelfall auch eigenverantwortlich<br />
wahrzunehmen sind.<br />
Diese Pflichten sind aufgrund der mangelnden<br />
rechtlichen Ausformung der Verträge<br />
zwischen Eltern und Einrichtungen bzw.<br />
Diensten (z. B. Beratungsstellen, Kindertagesstätten)<br />
nicht im Blickfeld und werden<br />
nun aktiviert. Vor allem die Träger solcher<br />
Einrichtungen und Dienste, die nicht unmittelbar<br />
Hilfen zur Erziehung erbringen und<br />
mit der Problematik einer Gefährdungseinschätzung<br />
weniger vertraut sind, sind nun<br />
gehalten, ihre Fachkräfte zu schulen und<br />
ggf. Unterstützung von Experten zu holen<br />
(„insoweit erfahrene Fachkräfte“ i. S. von<br />
§ 8a Abs.2 SGB VIII).<br />
Erst wenn es ihnen nicht gelingt, Eltern<br />
dazu zu motivieren, fachkundige Hilfe zur<br />
Abwehr der Gefährdung in Anspruch zu<br />
nehmen und ggf. selbst das Jugendamt<br />
aufzusuchen, sind sie berechtigt und verpflichtet,<br />
das Jugendamt zu informieren,<br />
damit dieses mit seinen rechtlichen Möglichkeiten<br />
die weitere Gefährdung des Kindeswohls<br />
abwendet. In Betracht kommen<br />
dabei für das Jugendamt<br />
J das Angebot von Hilfe zur Erziehung,<br />
J die Anrufung des Familiengerichts,<br />
J die Inobhutnahme des Kindes oder Jugendlichen.<br />
d) Die Änderung von § 1666 BGB<br />
Im Bundestag liegt der Entwurf eines „Gesetzes<br />
zur Erleichterung familiengerichtlicher<br />
Maßnahmen bei Gefährdung des<br />
Kindeswohls“ vor 10 . Er enthält sowohl Änderungen<br />
im materiellen wie im Verfahrensrecht<br />
und soll in den nächsten Wochen abschließend<br />
beraten werden. Dabei stützt er<br />
sich auf die Empfehlungen einer vom Bundesministerium<br />
der Justiz eingesetzten Arbeitsgruppe,<br />
die aus multiprofessioneller<br />
Sicht Möglichkeiten zur Verbesserung des<br />
Kindesschutzes erarbeitet hat.<br />
10 Bundestags-Drucks. 16/<br />
6815 vom 24.10.2007<br />
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