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jahresbericht annual report - Staatliche Hochschule für Gestaltung ...

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K W<br />

M T<br />

rektor Prof. dr.<br />

Sloterdijk, Peter<br />

Sekretariat<br />

Theilmann, Monika<br />

T + 4 9.721.8203.2297<br />

F + 4 9.721.8203.2293<br />

rektorat@<br />

hfg-karlsruhe.de<br />

auSWaHL der<br />

WicHtigSte<br />

PuBLik atiOnen<br />

(seit Herbst 2007)<br />

SeLectiOn Of<br />

imPOrtant<br />

PuBLicatiOnS<br />

(since Fall 2007)<br />

Was zählt, kehrt<br />

wieder<br />

Zeitdiagnostische<br />

Gespräche (gem. mit<br />

Alain Finkielkraut),<br />

Frankfurt a. M. 2007<br />

theorie der nachkriegszeiten<br />

Bemerkungen zu den<br />

deutsch - französischen<br />

Beziehungen seit 1945,<br />

Frankfurt a. M. 2008<br />

PreiSe<br />

PriZeS<br />

Mendelssohn-Preis<br />

Kategorie »Gesellschaft«,<br />

2008<br />

Mendelssohn Award<br />

Category “Society”, 2008<br />

= 107<br />

106<br />

P H I LO S O P H I E /<br />

ÄST H ETI K<br />

R E KT O R P R O F. D R. P ETE R SLOTE R D Ij K<br />

der SOkratiScHe atHLetiSmuS<br />

Rede zur feierlichen Eröffnung des Wintersemesters<br />

an der HfG Karlsruhe, Teil II<br />

Im Folgenden ist der zweite, in sich geschlossene<br />

Teil der Rede dokumentiert, die Prof. Dr.<br />

Peter Sloterdijk in seiner Eigenschaft als Rektor<br />

der HfG Karlsruhe in jedem Wintersemester,<br />

wenn die neu aufgenommenen Studierenden<br />

den »anderen Raum« Akademie zum ersten<br />

Mal betreten, in Abwandlungen hält. Der<br />

erste Teil der Rede ist unter dem Titel »Die<br />

Akademie als Heterotopie« im HfG Jahresbericht<br />

2006/2007 (S. 96 –100) nachzulesen.<br />

Ich will versuchen, Ihnen in wenigen Worten<br />

verständlich zu machen, warum Sie, wenn Sie<br />

eine akademische Institution betreten – möglicherweise<br />

zum ersten Mal – eigentlich einen<br />

heiligen Schauder empfinden sollten. Ich bemühe<br />

mich, meine Worte so zu wählen, dass<br />

Sie dies bei einigem gutem Willen nachvollziehen<br />

können. Es gibt zwar Menschen, die zu verstockt<br />

sind oder denen es aus anderen Gründen<br />

schaudert, aber ich gehe davon aus, dass<br />

Sie bereit sind, den besonderen akademischen<br />

Schauder zu empfinden und auch verstehen<br />

können, warum er unabdingbar zum Geheimnis<br />

dieser Institution gehört.<br />

In die zwanziger und die zehner Jahre des endenden<br />

fünften Jahrhunderts v. Chr. fällt die<br />

Tätigkeit eines seltsamen Athener Stadtstreichers,<br />

der die schlechte Gewohnheit hatte, auf<br />

den Straßen und Plätzen Athens herumzulun-<br />

gern und die Passanten in bizarre Gespräche<br />

zu verwickeln. Sie haben natürlich verstanden,<br />

dass ich von niemand anderem als von Sokrates<br />

spreche, mit dem die Tradition der urbanen<br />

Philosophen beginnt. Zuvor gab es zwar schon<br />

nichturbane Philosophen, diese ähnelten aber<br />

noch mehr den Schamanen oder den Sängern<br />

als den Diskutierern; sie praktizierten noch den<br />

schamanischen Zauber auf ländlicher Basis,<br />

während mit dem Einzug der Philosophie in die<br />

Stadt der Schamanismus verblasste und das<br />

Argumentieren die Oberhand gewann – ohne<br />

dass das Zaubern freilich jemals ganz aufgehört<br />

hätte.<br />

In den zwanzig Jahren der sokratischen Tätigkeit<br />

entsteht in Athen eine neue Idee von gegenseitiger<br />

Provokation durch intellektuelle<br />

Gespräche. Man muss sich Sokrates als eine<br />

Art Schachspieler vorstellen, der sich <strong>für</strong> unschlagbar<br />

hält und ständig auf der Suche nach<br />

geeigneten Gegnern ist, die er matt setzen<br />

kann. Die Philosophie beginnt als ein Belästigungsspiel<br />

zwischen Bürgern, die stolz genug<br />

sind, um keiner Herausforderung auszuweichen.<br />

Michel Foucault hat in sehr geistreichen<br />

Kommentaren zur spezifischen Form griechischer<br />

Männlichkeit den Begriff der parrhesia<br />

stark herausgekehrt. Parrhesia galt in Athen<br />

als eine der höchsten Tugenden und besagt,<br />

dass derjenige ein Mann ist, der alles sagt, was<br />

er denkt, der keine Angst vor seinen eigenen<br />

Gedanken hat. Parrhesia bedeutet, einen hintergedankenfreien<br />

Raum zu schaffen, indem<br />

man dem anderen die Herausforderung seiner<br />

P H ILO S O P Hy/<br />

AEST H ETI CS<br />

R E C T O R P R O F. D R. P ETE R SLOTE R D Ij K<br />

SOcrateS’ atHLeticiSm<br />

Keynote Speech at the Commencement of the fall semester at the HfG Karlsruhe, Part II<br />

The following is the second part of the keynote speech delivered by Prof. Dr. Peter Sloterdijk in<br />

his capacity as Rector of the HfG Karlsruhe, which he gives every fall semester (in slightly modified<br />

versions) when the freshmen enter this “other space” of the academy for the first time. The<br />

first part of the speech, “The Academy as Heterotopia”, is available in the HfG Annual Report<br />

2006 /2007 (pages 96–100).<br />

I will try to explain in a few words why entering an academic institution – possibly for the first<br />

time – should send a tremendous shiver down your spine. I will try to choose my words so that<br />

you can follow them by employing some good will. There may be people who are too obstinate<br />

or who shudder for other reasons, but I’ll assume that you are willing to feel this academic<br />

shiver and that you are able to understand why it forms an inalienable part of the secret of this<br />

institution.<br />

The first two decades of the fifth century B.C. saw the increasing activity of a strange Athenian<br />

vagrant, who had the bad habit of hanging about the streets and squares of Athens and engaging<br />

passersby in bizarre conversations. You have of course realized that I am talking about none<br />

other than Socrates, who marks the beginning of the tradition of urban philosophers. Mind you,<br />

there had been non-urban philosophers before, but they worked more like shamans or singers<br />

rather than actually engaging in discussions. They still practiced shaman magic in their rural<br />

traditions; but as philosophy made its arrival in the city, shamanism faded and argumentation<br />

gained the upper hand. However, the practice of magic never entirely ceased.<br />

In the twenty years of Socrates’ activities, a new idea emerges in Athens: mutual provocation<br />

through intellectual discourse. You have to imagine Socrates as a kind of chess player, who<br />

thinks himself invincible and is constantly looking for suitable opponents he can checkmate.<br />

Philosophy starts out as a game of harrassment between citizens, who are proud enough not to<br />

refuse a challenge. Michel Foucalt, in his witty comments on this specific form of Greek virility,<br />

strongly emphasized the idea of the parrhesia. Parrhesia in Athens was considered one of the<br />

highest virtues, and states that he who says everything he thinks and who is not afraid of his<br />

own thoughts is a man. Parrhesia means creating a space without any hidden agenda by throwing<br />

the gauntlet of one’s own intimate thoughts down at the feet of the other. The opponent, if<br />

he is a real man, has to stay calm and take up the challenge.<br />

This was the rule by which a second city vagrant, Diogenes of Sinope, was able to throw down<br />

the gauntlet of his later-famous provocations to Alexander, who even then was known for his<br />

rector Prof. dr.<br />

Sloterdijk, Peter<br />

A H<br />

M T<br />

Sekretariat<br />

Theilmann, Monika<br />

T + 4 9.721.8203.2297<br />

F + 4 9.721.8203.2293<br />

rektorat@<br />

hfg-karlsruhe.de<br />

=<br />

Lessing-Preis <strong>für</strong> Kritik,<br />

2008<br />

Lessing Award for<br />

Criticism, 2008<br />

Cicero Rednerpreis, 2008<br />

Cicero Speechwriting<br />

Award, 2008<br />

107

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