jahresbericht annual report - Staatliche Hochschule für Gestaltung ...
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K W<br />
M T<br />
Die Lehrtätigkeit Prof.<br />
Dr. Peter Sloterdijks an<br />
der HfG im Berichts-<br />
zeitraum ist vorne,<br />
auf den Fachbereichs-<br />
seitenKunstwissen- schaft / Medientheorie<br />
(S. 86 – 91), nachzulesen.<br />
110<br />
R E KT O R P R O F. D R. P ETE R SLOTE R D Ij K<br />
Austrinken des Schierlingsbechers endet und<br />
der damit die Urszene der europäischen Philo-<br />
sophietradition beinhaltet. Mit seinem Tod voll-<br />
zog Sokrates eine Sterbepantomime, die zum<br />
ersten Mal anschaulich bewies, dass Philoso-<br />
phen, ähnlich wie Militärs, den Tod aus dem<br />
Register des Müssens in das Register des Kön-<br />
nens übersetzen. In anderen Worten, der Phi-<br />
losoph erwirbt, indem er eine Performance der<br />
Todesaneignung vorführt, eine Art transzen-<br />
denter Autorität und wird zur Gründerfigur<br />
einer neuartigen Tradition.<br />
Diese Umwandlung des Todes vom Müssen ins<br />
Können hat die Griechen so tief beeindruckt,<br />
dass Johannes, der griechische Autor des vier-<br />
ten Evangeliums im Neuen Testament, die Ath-<br />
letisierung des Todes sogar auf Christus über-<br />
trug. Bei den synoptischen Autoren, Markus,<br />
Matthäus und Lukas, findet sich unter den<br />
Worten des Erlösers am Kreuz noch nichts dem<br />
Ausspruch ähnliches, den der griechische Evan-<br />
gelist einführt. Bei ihm heißt das letzte Wort<br />
Jesu »tetelestai«, das auf lateinisch mit »con-<br />
summatum est« übersetzt wird, was unsere<br />
deutschen Bibelübersetzer wiederum mit »Es<br />
ist vollbracht« wiedergeben. Das ist jedoch völ-<br />
lig falsch, denn richtig muss es heißen: »Es ist<br />
geschafft« oder »Ich hab’s geschafft«. Es handelt<br />
sich hier um einen Athletenausdruck. So wie<br />
ein Marathonläufer, wenn er über die Ziellinie<br />
geht, seine eigene Stoppuhr drückt, obwohl vor<br />
aller Augen die Zeit auch offiziell angezeigt<br />
wird, so spricht der auf griechische Weise Ge-<br />
kreuzigte im letzten Moment ein Siegerwort<br />
aus, ein Athletenwort. Man muss dies wissen,<br />
um zu verstehen, woher das ungeheure Anse-<br />
hen der Institution »Akademie« stammt.<br />
Eine echte heterotopische Institution ist die<br />
Akademie aus dem Grund, weil in ihr Güter<br />
beheimatet sind und gepflegt werden, die an-<br />
derswo kein Obdach haben. Sie ist ein Gehäu-<br />
se, in dem die sokratische Absence in geregel-<br />
ter Weise wiederholt wird. Platon brachte sie<br />
mit einem neuen erotischen Spiel in Verbin-<br />
dung, indem er den städtischen Eros wie auch<br />
den städtischen Thymos, den Stolz, den Gel-<br />
tungsdrang der jungen Leute ausnutzte, um<br />
sie in einen Wettbewerb des Lernens und Leh-<br />
rens zu verwickeln. Er schaffte auf diese Weise<br />
einen Ort, an dem die Grundregel des Friedens<br />
der Argumente galt und bis heute gilt. Der aka-<br />
demische Pazifismus bedeutet, dass man sich<br />
innerhalb der Mauern der Akademie die hef-<br />
tigsten Streitereien liefern kann, dass über<br />
diesem Raum als solchem aber eine kategori-<br />
sche Friedensregel liegt. In dieser Epoche kön-<br />
nen sich die Menschen von ihrem vulgären,<br />
profanen Leben distanzieren, sich Zeit <strong>für</strong> sich<br />
selbst nehmen und in einem Asyl der Wahr-<br />
heit leben.<br />
R E C T O R P R O F. D R. P ETE R SLOTE R D Ij K<br />
to Christ. We find nothing remotely similar in the synoptic authors Mark, Matthew, and Luke to<br />
the words of the Redeemer introduced by the Greek evangelist. Jesus’ last word according to<br />
John is “tetelestai”, which is translated into Latin as “consummatum est”. The English King James<br />
bible translation says, “It is finished”. However, this is completely wrong. The correct translation<br />
should be: “It is done” (which actually features in some English bible translations) or “I did it”. It<br />
is an expression used by athletes. Just like a marathon runner crossing the finishing line and<br />
pushing the button of his own stop watch, although the time is officially displayed before the<br />
eyes of all spectators, the crucified, according to the Greek evangelist, says in his last moment the<br />
word of a winner, that of an athlete. You have to know this to be able to understand why the in-<br />
stitution of the “academy” is held in such incredibly high regard.<br />
The academy is a real heterotopian institution, because it accommodates and cultivates goods<br />
for which there is no space anywhere else. It is an enclosure in which the Socratic absence is<br />
repeated in a regulated manner. Plato connected it to a new erotic game by using the urban eros<br />
and thymos, the pride and the craving for recognition of young people, to engage them in a com-<br />
petition of learning and teaching. This is how he created a place that was and continues to be<br />
ruled by the basic principle of the peaceful argument. Academic pacifism means being able to<br />
have a real heated verbal battle within the walls of the academy, but that the space as such is<br />
subject to a categorical rule of peace. In this epoch, people can distance themselves from their<br />
vulgar, profane lives, take time for themselves, and live in a sanctuary of truth.<br />
A H<br />
M T<br />
Read up on Dr. Peter<br />
Sloterdijk‘s teaching<br />
activities at the HfG<br />
during the <strong>report</strong>ing<br />
period in the section about<br />
the Department of Art<br />
History /Media Theory<br />
( P. 86 - 91).<br />
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