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Berliner Zeitung 27.04.2019

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26 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 97 · 2 7./28. April 2019<br />

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Feuilleton<br />

SONNTAGSKRIMI<br />

Der eine tötet,<br />

die andere<br />

jagt<br />

VonTorsten Wahl<br />

Die neue Dresdner Kommissarin<br />

Leonie Winkler (Cornelia Gröschel)<br />

wird bei ihrem Debüt gleich<br />

mit dem puren Horror konfrontiert.<br />

Einabgelegenes Hotel entpuppt sich<br />

als Geisterhaus.Inden Zimmernsitzen<br />

ausgeblutete Leichen wie Puppen<br />

an Tischen. Die Neue ist so geschockt,<br />

dass sie nicht eingreift, als<br />

der vermummte Täter ihrer Kollegin<br />

Gorniak (Karin Hanczewski) ein<br />

Messer in den Bauch rammt und<br />

flüchten kann. Eine gute Viertelstunde<br />

lang steckt der Thriller tief im<br />

Horror-Modus. Autor ErolYesilkaya,<br />

der schon mit einigen sehr speziellen<br />

„Tatort“-Fällen für Furore sorgte,<br />

und der junge Regisseur Alex Eslam<br />

beweisen mit dieser Stilübung, dass<br />

sie das Genregut im Griff haben.<br />

Doch nach dem furiosen Auftakt<br />

fällt der Film in vertraute Szenerien<br />

zurück. Leonie Winkler wird als die<br />

Tochter eines ehrwürdigen Kriminalisten<br />

eingeführt, der seiner Tochter<br />

wenig zutraut und dicke Zigarren<br />

pafft –Uwe Preuss scheint auf diese<br />

autoritären Typen abonniertzusein.<br />

Seine Rolle als Revierleiter im Rostocker<br />

„Polizeiruf“ sieht ähnlich aus.<br />

Leonie will sich bei ihrem Einstand<br />

als strebsame,fleißige Polizisten zeigen,<br />

braucht dann aber die Hilfe von<br />

KarinGorniak, die nach ihrer Verletzung<br />

freiwillig in der Asservatenkammer<br />

ihren Beamtendienst verrichtet.<br />

Ob Cornelia Gröschel einmal<br />

AlwaraHöfels ersetzen kann, die das<br />

Zentrum des Dresdener „Tatorts“<br />

bildete und freiwillig ausgestieg,<br />

lässt dieser Krimi offen. Dazu wirkt<br />

die Rolle zu einschichtig, besitzt Gröschel<br />

noch nicht die Autorität ihrer<br />

Vorgängerin.<br />

Die Hauptarbeit muss wieder<br />

Karin Gorniak übernehmen, die<br />

wie schon im vorigen Fall ein hohes<br />

persönliches Risiko eingeht.<br />

Denn sie bleibt die einzige,die den<br />

smarten Mediziner Dr. Mertens<br />

durchschaut. Benjamin Sadler<br />

wird dem Zuschauer ungewöhnlich<br />

früh als Täter präsentiert und<br />

hat Zeit für pseudo-philosophische<br />

Einlassungen: „Ich muss immer<br />

töten, Siewerden mich immer<br />

jagen.“ Karin Hanczewski kann<br />

ihre volle Physis dagegensetzen.<br />

Das Duell ist durchaus ansehnlich<br />

und erreicht zum Schluss sogar<br />

wieder Hochspannungs-Niveau.<br />

Tatort–Das Nest So,28.4., 20.15 Uhr,ARD<br />

Das Trio: Gorniak (Karin Hanczewski),<br />

Schnabel (Martin Brambach) und Winkler<br />

(Cornelia Gröschel, v. l.) MDR/DANIELA INCOR<br />

TOP 10<br />

Donnerstag,25. April<br />

1 Lotta ZDF 4,45 16 %<br />

2 Tagesschau ARD 4,45 17 %<br />

3 Usedom-Krimi ARD 415 15 %<br />

4 heute journal ZDF 3,75 15 %<br />

5 Wer weiß denn … ARD 3,37 22 %<br />

6 heute ZDF 3,19 16 %<br />

7 Notruf Hafenkante ZDF 2,88 12 %<br />

8 SOKOStuttgart ZDF 2,86 18 %<br />

9 Die jungen Ärzte ARD 2,78 14 %<br />

10 GZSZ RTL 2,77 12 %<br />

ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %<br />

Mit Ulrich Matthes<br />

könnte man nicht nur<br />

ewig reden („Ich habe<br />

keinen Zeitdruck“),<br />

sondern imGrunde auch über alles.<br />

Als Sohn eines Journalisten hat er<br />

seine Wissbegier sozusagen geerbt,<br />

er liest täglich mehrere <strong>Zeitung</strong>en<br />

und nicht etwa nur den Kulturteil.<br />

Man könnte mit ihm gut über Sport<br />

reden. Da kennt er sich bestens aus.<br />

Oder Geschichte. Politik sowieso.<br />

Und natürlich übers Theater. Erhat<br />

zu allem eine Meinung und teilt sie<br />

gernmit. Nunist Ulrich Matthes seit<br />

Februar Präsident der Deutschen<br />

Filmakademie und so liegt es nahe,<br />

eineWoche vorderVergabe der Lolas<br />

mit ihm über die Lage des deutschen<br />

Kinos zu sprechen. Zum Interview<br />

erscheint der Schauspieler bestens<br />

gelaunt, für den Fotografen posiert<br />

er klaglos. Der Sitz der Akademie in<br />

einem Altbau in der Köthener Straße<br />

bietet eine schöne Kulisse.Wir sitzen<br />

im Konferenzraum, durchs offene<br />

Fenster erklingt Vogelzwitschern.<br />

Herr Matthes, was für ein herrlicher<br />

Arbeitsplatz …<br />

Ullrich Matthes: Ich sitze hier ja<br />

gar nicht, ich habe in der Akademie<br />

kein Bürooder so was.<br />

Ich dachte, Sie hätten als Präsident<br />

einen richtig Chefschreibtisch.<br />

Nee. Machen Siesich lustig?<br />

Dachte ich wirklich.<br />

Es ist ja kein Fulltime-Job, sonst<br />

hätte ich es nicht gemacht. Abgesehen<br />

davon, dass es ein Ehrenamt<br />

ist, will ich meinen Beruf weiter<br />

ausüben und zwar in derselben Intensität<br />

wie bisher.<br />

Wie viel Zeit nimmt denn die administrativeArbeit<br />

in Anspruch?<br />

Das Amt wird inder Außenwahrnehmung<br />

vielleicht ein wenig überschätzt.<br />

Ich bin ja nicht der Bundeskanzler,der<br />

sagt, wo es langgeht, um<br />

es mal auf die politische Ebene zu<br />

übertragen. Im besten Fall bin ich jemand,<br />

der anregt. Mitdem täglichen<br />

Geschäft der Filmakademie habe ich<br />

erst mal gar nichts zu tun. Dasmacht<br />

hier der wunderbareStab vonMitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern. Ich<br />

darfund möchte mir Gedanken darüber<br />

machen, was man in unserer<br />

Arbeit intern wie nach außen noch<br />

intensivieren kann.<br />

Mitwelchen Ideen sind Sieals Präsident<br />

angetreten?<br />

Es gibt ein paar Punkte, die mir<br />

wichtig sind. In meiner Bewerbungsrede<br />

habe ich in Anlehnung an Willy<br />

Brandt gesagt: mehr Solidarität wagen.<br />

Dasscheint mir eine Aufgabe zu<br />

sein, die sich mit dem Wunsch verbindet,<br />

politischer zu werden.<br />

Wasmeinen Siemit „mehr Solidarität<br />

wagen“ konkret?<br />

Ich bin zutiefst der Überzeugung,<br />

dass wir uns angesichts der<br />

Herausforderung durch den Rechtspopulismus<br />

aktiv und bewusst Gedanken<br />

darüber machen müssen,<br />

wie wir die liberale Demokratie in<br />

Deutschland stärken können. Das<br />

ist mir ein großes Anliegen.<br />

Ich sehe mich eher<br />

Der Schauspieler Ulrich Matthes ist der<br />

neue Präsident der Deutschen Filmakademie.<br />

Am kommenden Freitag präsentiert er zum ersten Mal<br />

die Lolas. Ein Gespräch über das Kino als Ort der<br />

Begegnung, über Kunst &Unterhaltung und das<br />

traditionelle Genörgel der Kritiker<br />

Interview: Frank Junghänel<br />

Der Schauspieler Ulrich Matthes im Treppenhaus der Deutschen Filmakademie BENJAMIN PRITZKULEIT (2)<br />

Jetzt klingen Sie wie der Bundespräsident.<br />

Warum nicht, das wäre jaokay.<br />

Ichhabe das Gefühl, dass wir in dem<br />

Mikrokosmos der Filmakademie etwas<br />

leisten können, was ich mir für<br />

die gesamte Gesellschaft wünschen<br />

würde. Dass Menschen, die aufgrund<br />

ihrer Biografien, der Tatsache,dass<br />

sie verschiedenen Generationen<br />

angehören, dass sie aus dem<br />

Osten oder Westen kommen, dass<br />

sie nicht zuletzt sehr verschiedene<br />

Geschmäcker haben und verschiedene<br />

Vorstellungen davon, was ein<br />

guter Kinofilm ist, miteinander ins<br />

Gespräch kommen. Kontrovers<br />

aber solidarisch. All diese unterschiedlichen<br />

Filmemacher verbindet<br />

ja die Leidenschaft fürs Kino.<br />

Manchmal hat man das Gefühl,dass<br />

im deutschen Film mit Leidenschaft<br />

vorallem die gegensätzlichen Positionen<br />

behauptet werden, etwa zwischen<br />

Kunst und Kommerz.<br />

Diese Artvon Kontroversen, die in<br />

Deutschland zwischen Eund Ugeführt<br />

werden, dieser fast betonierte<br />

Widerspruch zwischen der vermeintlichen<br />

Filmkunst und dem<br />

Mainstream, das ist etwas, was ich<br />

ein bisschen auflösen will. Für mich<br />

ist ein guter Film ein guter Film ein<br />

guter Film. Ob der nun in dem unbedingten<br />

Willen, möglichst vier Millionen<br />

Zuschauer zu erreichen ,entstanden<br />

ist, oder in dem radikal subjektiven<br />

Wollen, etwas ganz Eigenes<br />

zu erzählen, was nur 1500 Leute erreicht,<br />

ist egal. Beides hat absolut<br />

seine Berechtigung.<br />

Monika Grütters hat unlängst für<br />

Aufmerksamkeit gesorgt, als sie ein<br />

„gewisses Missverhältnis zwischen<br />

dem massiven Ausbau der deutschen<br />

Filmförderung einerseits und der<br />

Strahlkraft des deutschen Films wie<br />

auch der Zahl deutscher Filmerfolge<br />

anderseits“ ausmachte. Das klingt<br />

nach einer Medaillenvorgabe wie in<br />

der Sportförderung. Sollte sich eine<br />

Kulturstaatsministerin aus dem<br />

künstlerischen Prozess nicht besser<br />

raushalten?<br />

Das tut sie ja! Man muss schon<br />

konstatieren, dass die letzten Kinojahre<br />

inDeutschland nicht so rosig<br />

waren. Dasunterscheidet uns vonanderen<br />

Ländern. In Frankreich war das<br />

ganz anders, in Skandinavien und<br />

Großbritannien auch. Es scheint also<br />

ein spezifisch deutsches Problem zu<br />

sein. Ich glaube, dass nicht nur der<br />

einzelne Film gefördertwerden muss,<br />

sondern der Ort des Kinos an sich.<br />

Die große Leinwand, die großen Bilder,<br />

die großen Gefühle. Kinos sind,<br />

wieTheater und Konzertsäle,Orteder<br />

Empathie-Schulung. In einer zunehmend<br />

digitalen Welt sind diese<br />

Räume eines analogen Gemeinschaftsgefühls<br />

unverzichtbarer denn<br />

je. Gerade in den kleineren Städten<br />

haben Kinos eine immense soziale<br />

Funktion. Dort könnte man noch<br />

mehr Kooperationen mit Stadttheatern,<br />

Buchhandlungen und Veranstaltern<br />

herstellen. Da gäbe es dann<br />

vielleicht nicht nur einen Film, sondern<br />

anschließend noch ein kleines<br />

Konzertoder ich weiß nicht was.<br />

Verfolgen Sie nicht eine romantische<br />

Idee vom Kino als Cinema Paradiso?<br />

Die Sehgewohnheiten des Publikums<br />

haben sich mit Amazon, Netflix und<br />

den anderen den Streaming-Diensten<br />

fundamental geändert.<br />

Trotzdem glaube ich fest daran,<br />

dass das Kino seine Berechtigung<br />

behält. Auch wir Filmemacher<br />

müssen unseren Beitrag dazu leisten,<br />

indem wir tollkühner werden,<br />

kompromissloser. Und uns bei all<br />

dem Gedanken darüber machen,<br />

wie wir unser Publikum noch besser<br />

erreichen.<br />

Sietrommeln auf den Tisch …<br />

Das ist mir ungeheuer wichtig. Je<br />

abhängiger wir von diesen kleinen<br />

elektronischen Dingern sind, desto<br />

größer ist unser Bedürfnis nach Gemeinschaftserlebnissen.<br />

Davon bin<br />

ich zutiefst überzeugt. Nennen Siees<br />

romantisch.<br />

Und die Politik sollte ihren Beitrag<br />

zum Überleben des Kinos leisten, indem<br />

sie diese als Standort finanziell<br />

unterstützt.<br />

Auch das, ja. Ich finde aber zudem,<br />

dass sich in den Köpfen der Po-

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