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Berliner Zeitung 27.04.2019

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10 27./28. APRIL 2019<br />

Männerfantasien<br />

In den schwulenfeindlichen 50er-Jahren malte George Quaintance Bilder,die zum Wegbereiter<br />

homosexueller Emanzipation wurden. Nun sind sie in einem Buch erschienen<br />

VonMarcus Weingärtner<br />

Männer duschen gemeinsam auf<br />

den Gemälden von George<br />

Quaintance.Sie ringen mit Dämonen<br />

am Abgrund zur Hölle,<br />

bechern mit Matrosen oder lauschen dem<br />

verführerischen Banjo-Spiel eines nackten<br />

Jünglings. Ordentlich bestückt sind sie, die<br />

Herren, schweißglänzend und kokett lächelnd<br />

begutachten sie einander,schwülstige<br />

Erotik liegt in der Luft.<br />

Quaintance’ Bilder sind seltsam kitschig,<br />

postkartenhaft persiflieren und spiegeln sie<br />

die Pin-up-Versessenheit der 50er-Jahre, eine<br />

Zeit, in der die Homosexualität, auch die des<br />

Malers, ein Tabuthema war. Sosind Quaintance’<br />

Bilder nie explizit, wie die Pin-ups der<br />

Heterosexuellen, die Schul- und Soldatenspinde<br />

ebenso zierten, wie sie zügig Einzug in<br />

die Popkultur hielten. So war der Akt auch bei<br />

Quaintance nur eine Idee und ein Versprechen<br />

–zum Sexkommt es auf den Bildernnie.<br />

Wasversprochen wird, wird nicht eingelöst,<br />

diesen von Quaintance vorbereiteten Weg<br />

„The Bandit“, 1953 GEORGE QUAINTANCE, COURTESY OF TASCHEN (4)<br />

der „Gay Aesthetics“ beschritten erst seine<br />

Erben wie TomofFinland, dessen pornografische<br />

und augenzwinkernde Zeichnungen<br />

von vögelnden Polizisten, Matrosen, Bauarbeitern,<br />

Sportlern und Taschendieben<br />

schwule Kultur und Selbstverständnis im<br />

ausgehenden 20. Jahrhundert maßgeblich<br />

geprägt haben. In Filmen wie William Friedkins<br />

„Cruising“ oder auf Platten von Künstlern<br />

wie David Bowie, Jobriath, Divine oder<br />

Village People wurden Finlands Idealmänner<br />

für die Ewigkeit reproduziert.<br />

Dieser Ruhm blieb George Quaintance<br />

verwehrt. Seine Bilder zierten zwar die einschlägigen<br />

Publikationen seiner Zeit, aber<br />

mit seinem frühen Tod1957 verblasste auch<br />

die Erinnerung an diesen künstlerischen<br />

Wegbereiter homosexueller Emanzipation.<br />

ReedMassengill, Dian Hanson: „Quaintance“, Taschen,<br />

74,99 Euro.Zusehen auch in der Ausstellung „The Flamboyant<br />

Life &Forbidden ArtofGeorgeQuaintance“ im Taschen<br />

Store,Schlüterstraße 39, Charlottenburg, Mo–Sa 11–20 Uhr<br />

„Orpheus in Hades“, 1952 „Sunset“, 1953 „Manolo“, 1952<br />

Gutsch<br />

Leo<br />

Immer wenn ich an einem Buch arbeite,<br />

bin ich viel auf dem Land. Meine Elternhaben<br />

in Brandenburg ein Haus, und vor ein<br />

paarWochen zogich dortein und kehrte Berlin<br />

den Rücken. Fast alle <strong>Berliner</strong> Autoren,<br />

die ich kenne,schreiben ihreBücher auf dem<br />

Land. Wegen der Ruhe und der Abwesenheit<br />

von Ablenkungen. Berlin ist die Stadt der<br />

Kreativen? Zentrum der deutschen Literatur?<br />

Unsinn. In Wahrheit ist das Brandenburg.<br />

Natürlich verändert mich das Leben hier.<br />

Meine Frau nennt mich nur noch „den<br />

Dorfi“, was das ländliche Äquivalent zum<br />

<strong>Berliner</strong> Kiez-Atze ist. Da in meinem Dorf<br />

wenige Menschen leben, spreche ich viel mit<br />

meiner Katze oder führe Selbstgespräche.<br />

Durchletzterehabe ich festgestellt, dass ICH<br />

ein ungemein zugewandter, inspirierender,<br />

kultivierter Gesprächspartner bin, mit dem<br />

ich gerne über Gott und die Welt rede.<br />

„Gäbe es doch nur mehr Menschen wie<br />

diesen famoses Jochen Gutsch“, sage ich am<br />

Telefon zu meiner Frau.<br />

Sie sagt: „Oh Gott, wirst du verrückt,<br />

Dorfi?“<br />

Manchmal fahreich mit dem Auto sieben<br />

Kilometer in den nächsten größeren Ort.<br />

Hier habe ich Handy-Empfang, und ich<br />

schaue meine Mails durch oder verschicke<br />

eine Kolumne, auf dem Parkplatz vor Edeka<br />

sitzend. Anschließend kaufe ich eine <strong>Zeitung</strong>.<br />

Also keine richtige <strong>Zeitung</strong>, wo die Probleme<br />

der ganzen Welt drin stehen. Sondern<br />

den Kicker oder Sport-Bild. Das Schöne am<br />

Dorfi-Sein ist ja, dass die große Welt hier so<br />

weit weg ist –ein abstrakter, bedrohlich wirkender<br />

Moloch, mit dem man lieber nichts<br />

zu tun haben möchte. Auf Sri Lanka wurden<br />

über 350 Menschen ermordet, höre ich im<br />

Autoradio. Was für ein Wahnsinn. Aber hier<br />

auf dem Dorfkann so etwas nicht passieren,<br />

denke ich wohlig, gehe in die Kneipe und<br />

esse friedlich Bratkartoffeln mit Sülze.<br />

Was ich sehr mag: Bestellt man in der<br />

Kneipe einen „Espresso Macchiato“, um das<br />

voluminöse Sülz-Gericht zu verdauen, stellt<br />

Im Paradies<br />

an der A10<br />

VonJochen-Martin Gutsch<br />

einem der Wirt wortlos einen Pott Filterkaffee<br />

und ein eingeschweißtes Töpfchen mit<br />

Kaffeesahne hin. Würde man nun, wie in<br />

Berlin durchaus üblich, schnöselig nach einem<br />

„Matcha Latte“ verlangen, dann wird<br />

eben dieser Wirt vermutlich sagen: „Watt?<br />

Matcha? Matsch-Auge kannste haben, du<br />

Vogel!“ Dann bringt der Wirt wortlos einen<br />

schönen Pott Filterkaffee und ein eingeschweißtes<br />

Töpfchen mit Kaffeesahne.<br />

Einmal musste ich leider nach Berlin zurück.<br />

Ein Freund feierte Geburtstag. Ich zog<br />

meine guten Dorfi-Sachen an. Dreiviertel-<br />

Hose, Sandalen und ein T-Shirt, auf dem<br />

großflächig „California Yachtclub“ stand.<br />

Meine Frau schien verschreckt, aber das war<br />

nur der Begeisterung über meinen neuen<br />

Style geschuldet, wie mir Jochen Gutsch in<br />

einem Selbstgespräch versicherte.<br />

Gerne bin ich jetzt im Garten, säe Gemüse,<br />

stutze Gebüsche und schaue fasziniert<br />

auf die Zecken, wie sie sich in meine<br />

strammen Dorfi-Waden verbeißen.<br />

Vorallem aber kaufe ich gerne Gartengeräte.<br />

Schlüpfer trage ich meist noch die aus<br />

der DDR, mit brüchigem Gummizug und<br />

eingenähtem Schnipsel, auf dem steht: EVP<br />

0,90 Mark. Aber mein Gartengerät ist prächtig<br />

und neu. Ichkann nicht genug davon bekommen,<br />

bald habe ich meine eigene LPG.<br />

Wenn ich einen Ort beschreiben müsste,<br />

schön wie das Paradies,dann hieße er:Pflanzen-Kölle<br />

an der A10. Manchmal erwischt<br />

mich meine Frau.„Dubist doch nicht wieder<br />

bei Pflanzen-Kölle, Dorfi?“, fragt sie durchs<br />

Telefon. „Quatsch! Ich schreibe am Buch“,<br />

sage ich und lege die „Gardena“-Schlauchdüsen<br />

in den Einkaufswagen.<br />

Demnächst muss ich, wegen Urlaub,<br />

Brandenburg verlassen. Ja, leider. Meine<br />

Frau wollte erst nach Brasilien reisen, aber<br />

ich sagte: Warum sparen wir uns nicht die<br />

Fliegerei und fahren zweiWochen ins„Tropical<br />

Island“? Da hat sie am Telefon geschrien.<br />

Na ja. Jetzt fahren wir nach Sardinien. In<br />

so ein kleines Dorf.

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