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Berliner Zeitung 27.04.2019

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6 27./28. APRIL 2019<br />

Verweile<br />

doch, du bist<br />

so<br />

schön<br />

Das KaDeWelässt seine<br />

Feinkostabteilung von zwei<br />

<strong>Berliner</strong> Architekten<br />

umgestalten, die durch einen<br />

ganz anderen Ort berühmt<br />

geworden sind –das Berghain.<br />

Club und Kaufhaus haben mehr<br />

gemeinsam, als man denkt<br />

VonBeate Scheder<br />

Backkartoffeln und Blubberwasser:Die Architekten Alexandra Ehrhard und Thomas Karsten brachten in ihrem Innendesign die Gegensätze des KaDeWezusammen.<br />

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />

Dreieinhalb Stunden. Diese Zahl<br />

hat der frühere Geschäftsführer<br />

Ulrich Schmidt vorvielen Jahren<br />

mal in die Welt gesetzt. Dreieinhalb<br />

Stunden, so lange sollen sich Kunden<br />

im größten Kaufhaus Kontinentaleuropas im<br />

Schnitt aufhalten, durchs Haus schlendern,<br />

sich neu einkleiden, an Parfums schnuppern,<br />

Schuhe anprobieren –und sich vonall<br />

dem bei einem Glas Champagner und ein<br />

paar Austerninder Feinschmeckerabteilung<br />

erholen. Oder bei Bouletten und Bier. Oder<br />

bei Kaffee und Kuchen. Es ist eine ganz einfache<br />

Rechnung: Je länger die Kunden bleiben,<br />

desto mehr Geld geben sie aus.<br />

Bei den dreieinhalb Stunden handelt es<br />

sich um keine offizielle Angabe des KaDeWe.<br />

Das KaDeWe überwacht seine Kundschaft<br />

nicht. Eigentlich ist der Zahl nicht zu trauen,<br />

doch je länger man darüber nachdenkt,<br />

desto überzeugender ist sie.Das KaDeWe gehört<br />

zuden Adressen, an denen man länger<br />

bleibt als geplant, es ist ein Ich-wollte-dochnur-mal-eben-und-dann-sind-Stundenrum-Ort,<br />

das haben die Gestalter des Kaufhauses<br />

schon immer geschickt hinbekommen.<br />

An jeder Ecke lauert eine neue Versuchung<br />

und lässt die Zeit vergessen.<br />

Wasdas betrifft, gibt es in Berlin nur einen<br />

weiteren Ort, der es mit dem KaDeWe aufnehmen<br />

kann, wenn auch auf völlig andere<br />

Weise: das Berghain. Was im KaDeWe die<br />

dreieinhalb Stunden sein mögen, sind dort<br />

schon mal drei Tage.Sogesehen ist es eigentlich<br />

nur logisch, dass im Rahmen der Umgestaltung<br />

der Feinschmeckeretage des Ka-<br />

DeWe die Architekten beauftragt wurden, die<br />

2003 das alte Heizwerk amWriezener Bahnhof<br />

in Friedrichshain zum Berghain umgebaut<br />

haben: Thomas Karsten und Alexandra<br />

Erhard.<br />

Norman Plattner,seiner offiziellen Jobbezeichnung<br />

nach Head of StoreDesign der Ka-<br />

DeWe Group, mag noch so heftig den Kopf<br />

schütteln, um zu bekräftigen, dass das Ka-<br />

DeWe die beiden nicht ausgewählt habe,<br />

weil diese das Berghain gemacht hatten. Es<br />

passt einfach zu gut.<br />

Und sogibt Plattner natürlich doch zu,<br />

dass es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen<br />

den beiden <strong>Berliner</strong>Wahrzeichen gibt:<br />

„Das KaDeWe und das Berghain sind beide<br />

Institutionen der Stadt, die für einen Mixaus<br />

Lokalität und Internationalität stehen“, sagt<br />

er.<br />

Wenn man will, fallen einem natürlich<br />

noch mehr Parallelen ein: Rausch. Hedonismus.<br />

Konsum. Dass beides Orte sind,<br />

die nicht viel dafür tun müssen, dass Besucher<br />

kommen. Die einfach nur so sein<br />

müssen, wie sie sind. Und genau das ist<br />

vielleicht die Kunst.<br />

ALEXANDRA ERHARD UND THOMAS KARS-<br />

TEN WOHNEN UND ARBEITEN am Schlesischen<br />

Tor. Ihr studio karhard hat mehrere<br />

Mitarbeiter. Beide sind Anfang fünfzig und<br />

auch privat ein Paar. Wenn man die beiden<br />

danach fragt, wie es dazu kam, dass sie erst<br />

einen Technotempel erschufen und jetzt einen<br />

Konsumtempel umgestalten, sagen sie:<br />

„Das Berghain ist für uns inzwischen zu einem<br />

Türöffner geworden, aber es hat lange<br />

gedauert, bis es so weit war.“<br />

Warum, liegt auf der Hand. Werdas Wochenende<br />

in dem einst weltbesten Club verbringt,<br />

muss am Montag danach erst mal die<br />

Aufkleber von den Kameralinsen seines<br />

Handys kratzen, die das Sicherheitspersonal<br />

dortverteilt: VomInneren des Berghains gibt<br />

es also so gut wie keine Fotos.Die Bilder,die<br />

karhardauf ihreWebsite gestellt haben, sind<br />

die einzigen. Mit einem Projekt zu werben,<br />

dass niemand außer ihnen zeigen darf –<br />

schwierig.<br />

Ohnehin wäre esunfair, karhard nur mit<br />

dem Berghain zu verbinden. Clubs haben sie<br />

etliche gestaltet: das Pacha in München zum<br />

Beispiel, das Asphalt am <strong>Berliner</strong> Gendarmenmarkt,<br />

das mittlerweile Bricks heißt, das<br />

Untertage am Mehringdamm, außerdem<br />

Wohnungen, Friseursalons, eine Bäckerei,<br />

einen Optiker,Arztpraxen, Restaurants,Bars.<br />

„Sobald Emotionen ins Spiel kommen, ist<br />

es für uns spannend“, sagt Thomas Karsten.<br />

„Ein Hotel wärenoch interessant“, fügt Alexandra<br />

Erhard hinzu. Momentan arbeiten sie<br />

gerade wieder an einem Clubumbau, der viel<br />

ihrer Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch<br />

nimmt, dieses Mal inKiew. Für karhard ist<br />

das eine willkommene Abwechslung, die<br />

aber ihreHerausforderungen mit sich bringt.<br />

DieArchitekten arbeiten in der Regel mit lokalen<br />

Handwerkern und Herstellern von<br />

Baumaterial zusammen, in Kiew kennen sie<br />

noch niemanden.<br />

In ihrem Kreuzberger Büro haben ihre<br />

Projekte ihre Spuren hinterlassen, zum Beispiel<br />

in Form vonStühlen oder Hockern. Die<br />

probieren sie immer vorher selbst aus,bevor<br />

sie sie in einen Raum stellen. Thomas Karsten<br />

dreht sich um und zeigt auf einen zierlichen<br />

Kaffeehausstuhl aus hellem Holz mit<br />

brauner Lederumspannung an der Lehne:<br />

„Den findet man im Kartoffelacker.“<br />

Beim Kartoffelacker handelt es sich um<br />

eines vonmehreren gastronomischen Angeboten<br />

in der Feinschmeckeretage des Ka-<br />

DeWe.Mit dem Kaufhaus begaben sich karhardauf<br />

neues Terrain. „Die Größe,die Komplexität<br />

und Vielschichtigkeit der Anforderungen<br />

waren für uns eine herausfordernde<br />

Aufgabe“, sagt Thomas Karsten. Im Spätsommer<br />

2016 hatte das KaDeWe karhardangerufen.<br />

DieArchitekten mussten nicht groß<br />

überredet werden.„Als jemand, der das Haus<br />

kennt und mag, hat man doch selber schon<br />

gedacht, dass da dringend was passieren<br />

muss.“ Wohlwollend könnte man der Feinschmeckeretage,<br />

wie sie früher aussah und<br />

auf den bisher nicht umgebauten Quadranten<br />

noch aussieht, den urigen Charme des<br />

alten Westberlins zuerkennen. Viele der Theken<br />

haben ihre besten Jahre hinter sich. Das<br />

Ensemble wirkt unübersichtlich, zu voll gestellt<br />

und mit den niedrigen Decken bedrückend.<br />

STATT EINES BRIEFINGS STAND AM ANFANG<br />

ALSO EIN BEGRIFF, der sich als roter Faden<br />

durch den Quadranten –soheißen die einzelnen<br />

Flächen im Kaufhaus –ziehen sollte:<br />

„Berlin Elegance“. Es sagt viel über karhards<br />

Art zudenken und ihre Arbeitsweise, wenn<br />

man sich anschaut, was sich die beiden dazu<br />

notiert haben. Berlin Elegance, das verkörpernfür<br />

karhardSvenMarquardt, der legendäre<br />

Türsteher im Berghain, und Eva Padberg,<br />

das Model. Unter den beiden Namen<br />

steht „Schnauzemit Herz“und „Barfuß oder<br />

Lackschuh“.<br />

Noch aufschlussreicher ist ein Blick in<br />

karhards Materialraum. „Es gibt eigentlich<br />

kein Projekt, wo dasMaterial nicht im Fokus<br />

steht“, sagt Thomas Karsten. „Viele Projekte<br />

fangen mit einer Collage an, mit der wir uns<br />

Gedanken machen, welche Materialien da<br />

passend sein könnten.“<br />

Gibt es typische karhard-Materialien? „Ja,<br />

die gibt es“, sagt Erhard und dann werfen<br />

sich die beiden die Begriffe zu: Stahl –Buntmetalle<br />

–Stein –Asphalt. Eher nichts, was<br />

hochindustriell verarbeitet wurde wie Laminat<br />

oder Kunststoff, lieber das Pure, Rohe,<br />

Echte.<br />

Im Falle des Quadranten, der im vergangenen<br />

Dezember eröffnet wurde, arbeiteten<br />

sie mit Messingund verwendeten für die Terrazzo-Böden<br />

heimische Flusssande. Beides<br />

sind Zitate der ursprünglichen Gestaltung<br />

der Lebensmittelabteilung des KaDeWe,die<br />

in den 20er-Jahren in die sechste Etage verlegt<br />

und dort mit Gastronomie kombiniert<br />

wurde –womit dasKaDeWePionier war.<br />

Das alles konnte karhard frei entscheiden,<br />

nur ein paar Sachen standen vorab<br />

fest, etwa dass eine gut besuchte Champagnerbar<br />

bestehenbleiben soll und eben<br />

der Kartoffelacker, der vielleicht beliebteste<br />

und demokratischste Essensstand im<br />

KaDeWe, woman satt wird, ohne ein Vermögen<br />

auszugeben. Ehrliche Backkartoffeln<br />

und teures Blubberwasser. Das Spektrum<br />

desKaDeWeumfasst beides.<br />

Jetzt sieht dort allesaufgeräumter,zeitgemäßer,edler<br />

undgleichzeitig jünger aus.Das<br />

gefällt den einen, anderen vielleicht aber<br />

auch nicht. Nichtjeder treue KundemagVeränderungen.<br />

Norman Plattner vomKaDeWe<br />

sieht jedoch auch in den Beschwerden Positives:<br />

„Im Grunde zeugen die langen Briefe<br />

und E-Mails, die wir bekommen, auch davon,<br />

dass wir Stammkunden haben, die sich<br />

intensiv mit uns auseinandersetzen.“<br />

Geht man durch die neu gestalteten<br />

Gänge, vorbei am riesigen Wein-Humidor,<br />

am Käsestand, den Bars, Restaurants und<br />

dem Späti –einer Idee von karhard, denn<br />

was passt besser zu Berlin? –scheinen aber<br />

alle recht zufrieden. Das muss jetzt auch<br />

noch beim zweiten Quadranten klappen,<br />

den studio karhard für die Sechste entworfen<br />

haben. Die Umgestaltung der rund<br />

2000 Quadratmeter,auf denen es mit Süßwaren,<br />

Kaffee und Patisserie etwas verspielter<br />

zugehen soll, ist bis Ende des Jahresgeplant.<br />

Beate Scheder<br />

bleibt im KaDeWeauch immer länger,<br />

als sie eigentlich vorhatte.<br />

BARHOCKER, FOLGE 7<br />

VonSally McGrane<br />

Der Lebensretter<br />

BLZ/REEG<br />

Seitdem ich mit einem Barman zusammen<br />

bin, wache ich immer mitten in der<br />

Nacht auf. Gestern wurde ich erst wach, als<br />

A. sich zu mir ins Bett legte. „Ich habe eine<br />

Geschichte für dich“, sagte er.„Heute Abend,<br />

habe ich wahrscheinlich ein Leben gerettet.“<br />

„Ach ja?“, fragte ich.<br />

„Ja“, sagte er.„Also,heute Nacht kam dieses<br />

wirklich sehr betrunkene Mädchen in die<br />

Bar. Mit einer ganzen Geburtstagsrunde.<br />

Dann kam sie zu mir an den Tresen. Sie war<br />

so betrunken, das war kaum mit anzusehen.<br />

Und sie sagte: ‚Hast du ein iPhone-Ladegerät?‘<br />

Ich sagte: ‚Ja, klar.‘ Dann meinte sie, es<br />

hätte einen Wackelkontakt. Ich sagte: ‚Ach<br />

so.‘ Sie dann: ‚Wenn es nicht lädt, kann ich<br />

kein car2go bestellen.‘“<br />

„Was?“, fragte ich.<br />

„Ja“, sagte Axel. „Also sagte ich: ‚Willst du<br />

noch einen Wodka, bevor du dir dein car2go<br />

bestellst?‘ Undsie sagte: ‚Ok, trink einen mit<br />

mir.‘ Ichsagte ‚Nein, ich muss arbeiten.‘ ‚Ok,<br />

dann gib mir nur einen.‘ Sietrank ihren Shot<br />

und ging zurück zu der Geburtstagstruppe.<br />

Die waren alle restlos betrunken. Sobald sie<br />

sich vomTresen wegbewegte,ging ich zu ihrem<br />

Telefon, um sicherzustellen, dass es<br />

nicht lud."<br />

„Sehr gut gemacht“, sagte ich.<br />

„Danke“, sagte A. bescheiden. „Nach einer<br />

Weile kam sie zurück und wollte ihr<br />

iPhone zurück. Sie war fassungslos: ‚Ich verstehe<br />

das nicht, es ist kein bisschen geladen.‘<br />

Undich meinte zu ihr:‚Weißt du, ich kann dir<br />

einen Wagen bestellen. Genauso wie car2go,<br />

aber eben mit Fahrer.‘<br />

‚Wirklich?‘, fragte sie, ‚sowas gibt’s?‘ ‚Ja‘,<br />

sagte ich. ‚Ich rufdir eins.‘<br />

‚Echt jetzt?‘, sagte sie.‚Weißt du die Nummer?‘<br />

–‚Ja‘, sagte ich und rief ihr einTaxi. Und<br />

so habe ich heute ein Leben gerettet.“<br />

„Oder mehr als eins“, sagte ich.<br />

„Auch wieder wahr“, meinte A.<br />

Ichwollte gerade einschlafen, da sagte A.:<br />

„Und vor ihr war da so ein Paar in der Bar,<br />

aber die waren sich nicht ganz sicher, obsie<br />

ein Paar sind. Also dachte ich, ich helfe ihnen<br />

ein bisschen auf die Sprünge. Sie tranken<br />

Wodka Sodas –ernannte sie ‚Skinny Bitches‘<br />

–, und als sie ihren fertig getrunken hatte,<br />

fragte ich, ob sie noch einen wolle.Sie sagte:<br />

‚Ja, aber er ist so langsam.‘<br />

Ich sah ihm in die Augen und dann ihr in<br />

die Augen und sagte: ‚Weißt du, langsam<br />

sein, das ist ja nicht immer eine schlechte Sache.‘<br />

Unddann sah sie ihn an und sagte ‚Ja‘.<br />

Und dann küssten sie sich. Für eine lange<br />

Zeit. DasTrinkgeld war nicht so toll, aber was<br />

soll’s.“<br />

„Das ist eine schöne Geschichte“, murmelte<br />

ich.<br />

„Übrigens“, meinte A. „Ich habe einen<br />

neuen Rausschmeißsong gefunden. ,Die<br />

Diktatur der Angepassten‘ von Blumfeld –<br />

kennst du den Song?“<br />

„Nein“, sagte ich, und A. fing an zu singen.<br />

„Ihr habt alles falsch gemacht. Geb endlich<br />

auf, es ist vorbei!“<br />

„Mhm,“ sagte ich.<br />

„Er funktioniert wirklich,“ sagte A. „Das<br />

einzige Problem: Jetzt bekomme ich ihn<br />

nicht mehr aus dem Kopf.“<br />

Sally McGrane,Journalistin,Krimiautorin,Amerikanerin und<br />

<strong>Berliner</strong>in, schreibt an dieser Stelle in loserFolge.

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