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Berliner Zeitung 27.04.2019

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2 27./28. APRIL 2019<br />

Josef Ostendorf und Ursina Lardi in „Onkel Wanja“ (Anton Tschechow,2008).<br />

DAVID BALTZER<br />

„Am Ende<br />

arbeite ich daran,<br />

mich überflüssig<br />

zu machen.“<br />

Sebastian Blomberg als Vogel in „Unendlicher Spaß“ (David Foster Wallace, 2018).<br />

KIVA<br />

„Vielleicht ist das überhaupt<br />

der Sinn von Liebe, dass wir eine Beziehung<br />

eingehen können mit Dingen, die wir nicht begreifen.“<br />

Thorsten Lensing ist ein längst überfälliger<br />

Theatertreffen-Debütant,<br />

wenn man das für die Gastspiel-<br />

Einladung maßgebliche Attribut<br />

„bemerkenswert“ ernst nimmt. Seit Mitte<br />

der 90er-Jahre produzierte und inszenierte<br />

er nur fünfzehn Theaterabende. Ergeht dabei<br />

mit großer Akribie vor, nimmt sich viel<br />

Zeit und alle Freiheit. Lensing ist ein Solitär,<br />

der mit einfachsten Theatermitteln und jenseits<br />

aller Moden kontinuierlich mit einem<br />

Stamm hochkarätiger Schauspieler zusammenarbeitet.<br />

Er hat sich nie fest an ein Stadttheater<br />

gebunden, aber sein literarisch genaues<br />

und zum Wesen des Spiels vordringendes<br />

Theater hat andererseits nichts mit<br />

der für die freie Szene typischen Performance-Kunst<br />

zu tun. Zweimal standen seine<br />

Arbeiten schon auf der Theatertreffen-<br />

Shortlist, diesmal hat es geklappt. Die Jury<br />

konnte sich auf die Romanadaption „Unendlicher<br />

Spaß“ einigen. Ein vierstündiger<br />

Abend, der ein intensives und komisches<br />

Destillat des schier unerschöpflichen 1500-<br />

Seiten-Romans vonDavid Foster Wallace auf<br />

die Bühne bringt. Wir trafen uns zum ungestörten<br />

Reden in einem ruhigen Probenraum<br />

in den Sophiensälen, laut wurde es dann<br />

doch und lustig. Lensing sprang immer mal<br />

wieder auf, um nachzudenken oder um zu<br />

lachen. Normalerweise verzichtet er auf Öffentlichkeitsarbeit,<br />

stattdessen taucht er<br />

zwischen den Produktionen lieber ab und<br />

vergisst schon mal, dass er Regisseur ist. Dies<br />

ist das erste Solo-Interview, das er gibt, es<br />

wird wohl auch erst einmal sein letztes bleiben.<br />

Versuchen wir es zum Einstieg mit einer<br />

einfachen Frage.<br />

Mögen SieTiere?<br />

Ich schaue ihnen unheimlich gern zu.<br />

Schon als Grundschüler bin ich am Wochenende<br />

früh aufgestanden und habe Vögel beobachtet.<br />

Auch beim Lesen achte ich besonders<br />

auf Tiereund Wetter.<br />

Washaben Sieals Kind sonst noch getrieben?<br />

Stundenlang Fußball gespielt und Müllabfuhr.Später<br />

habe ich in den Ferien immer<br />

wieder bei der Müllabfuhr gearbeitet.<br />

Im Wegschmeißen vonMüll besteht auch Ihre<br />

künstlerische Herangehensweise an Theater.<br />

Das hätte ich nicht schöner sagen können.<br />

Wirversuchen tatsächlich, alles wegzuwerfen,<br />

was man nicht unbedingt braucht.<br />

Vielleicht sollte besser ich das Interview mit<br />

Ihnen führen? Da wäremir gleich wohler.<br />

Zu den Tieren. WasfasziniertSie an denen?<br />

Dass wir nicht wissen, was zum Beispiel<br />

im Kopf voneinemWildschwein vorgeht.Wir<br />

stehen da vor einem Mysterium. Wir lieben<br />

Tiere, ohne sie zu verstehen, oder besser,<br />

weil wir sie nicht verstehen. Vielleicht ist das<br />

überhaupt der Sinn von Liebe, dass wir eine<br />

Beziehung eingehen können mit Dingen, die<br />

wir nicht begreifen.<br />

In Dostojewskis „Karamasow“ gibt es einen<br />

Hund, der in Ihrer Inszenierung von André<br />

Jung gespielt wird. Jung tut, was Hunde tun,<br />

aber auf Menschenart. In „Unendlicher Spaß“<br />

spielt Sebastian Blomberg mit großem Ernst<br />

einen Vogel. Mit sogroßem Ernst, dass er dabei<br />

die Tatsache, dass er nicht fliegen kann,<br />

außer Acht lässt. Er schlägt ziemlich hartauf.<br />

Würden Sie sagen, dass Theater gefährlich<br />

sein soll?<br />

Na klar. Gemütlich jedenfalls nicht. Was<br />

Blomberg angeht, haben Sie völlig recht, er<br />

startet jeden Abend in der festen Überzeugung,<br />

fliegen zu können. Wir machen da<br />

auch nichts Neues. Menschen haben schon<br />

immer Tieregespielt, nicht nur als Kinder.In<br />

Südfrankreich gibt es Höhlen mit über 30 000<br />

Jahre alten Wandmalereien von Menschen<br />

mit Tiermasken. Mich beruhigt es, dass das,<br />

was wir machen, so alt ist.<br />

Ihr Theater ist nicht gemütlich, stimmt. Aber<br />

die Spieler scheinen geschützt zu sein in Ihren<br />

Sobald es<br />

zur Sache geht,<br />

wird es unkontrollierbar<br />

Der Regisseur Thorsten Lensing inszeniert seit einem Vierteljahrhundert<br />

mit großem Erfolg und wurde nun endlich zum Theatertreffen<br />

eingeladen. Auch dieses Interview ist ein Debüt: Es geht um das<br />

Naheliegende der Kunst, aber auch um Tiere, Gott und Konfettikanonen<br />

Interview: Ulrich Seidler<br />

Inszenierungen. Aus der Sicherheit heraus gehen<br />

sieWagnisse ein.Wiekriegen Siesie dazu?<br />

Dashat mit den Texten und unseren Proben<br />

zu tun. Bei uns herrscht eine schwer zu<br />

beschreibende, konzentrierte Ausgelassenheit.<br />

Wenn die Bedingungen stimmen und<br />

ich gute Schauspieler nicht unnötig stoppe,<br />

spielen sie sich ganz vonselbst in die riskanten<br />

Bereiche hinein. Wirkliches Spielen ist ja<br />

erst einmal unkontrollierbar, wenn man das<br />

als Regisseur nicht aushält, zerstört man alles.<br />

Ohne Geduld geht es nicht. Du brauchst<br />

einfach gute Nerven, auch um Unsinn auszusitzen.<br />

Und esgibt bei uns keine Abhängigkeiten,<br />

von diesen Schauspielern ist nun<br />

wirklich keiner auf mich angewiesen.<br />

Woher nehmen Sie das Vertrauen zu den<br />

Schauspielern?Oder –schlichter gefragt –woher<br />

nehmen Sieüberhaupt die Schauspieler?<br />

Ich arbeite frei, muss mich also um die<br />

Schauspieler bemühen, und das ist gut so.Bei<br />

André Jung bin ich an einem Tagnach Stuttgartund<br />

zurückgereist, um zwei Stunden mit<br />

ihm über Karamasowzusprechen. AufHerrn<br />

Striesow habe ich über ein Jahr gewartet. Ich<br />

bin lange, bevor es losgeht, mit den Schauspielern<br />

inKontakt. Eigentlich beginnen die<br />

Proben mit dem ersten Treffen. Den Schauspielernvertraue<br />

ich, weil ich sie spielen gesehen<br />

habe.OhneVertrauen kommt man zu nix.<br />

Darumist die Besetzung so wichtig.<br />

Gibt es etwas, das einen Schauspieler auszeichnen<br />

muss, damit Sieihn besetzen?<br />

Allgemeine Kriterien gibt es nicht. Entscheidend<br />

ist der intuitiveZugang zur Essenz<br />

der Figur. Die üblichen naturalistischen Besetzungskriterien<br />

wie Geschlecht und Alter<br />

und so weiter interessieren mich zurzeit<br />

nicht. Die Wirkung einer Erscheinung verblasst<br />

im Theater schnell. Ichwill Schauspieler<br />

mit Autorität, die man ernst nimmt, selbst<br />

wenn man sie nicht mag. Beidenen man wissen<br />

will, was sie sagen. Pflegeleicht ist jedenfalls<br />

kein Kriterium.<br />

Was, wenn Ihreautoritären Schauspieler einander<br />

den Raum nehmen? Steuern Sie diese<br />

Konflikte? Beuten Siesie für die Figuren aus?<br />

Nein, so ein Psychokram interessiertmich<br />

nicht. Der führt zunichts, das mich interes-<br />

siert. Die Schauspieler sind einander durchaus<br />

gewachsen. Sonst habe ich falsch besetzt.<br />

Na klar knallt es zwischen denen auch<br />

mal, aber da halte ich mich raus.Wenn ich jemandem<br />

zur Hilfe eilen würde, täte ich ihm<br />

bestimmt keinen Gefallen.<br />

Kritisieren Siedenn nie?<br />

Doch, doch, aber selten und wenn, dann<br />

im Einzelgespräch und mehr so nebenbei.<br />

Wenn ein Schauspieler den Inhalten ausweicht<br />

oder die Situation nicht betritt, sage<br />

ich schon etwas. Sogenannte Gruppenkritik<br />

mache ich gar nicht, es gibt wirklich nichts,<br />

was ich allen zu sagen habe.<br />

Gibt es bei Ihnen also gar keinen einheitlichen<br />

Spielstil? Kein Regiekonzept?<br />

Dassind verschiedene Menschen, warum<br />

sollten sie gleich spielen? Hauptsache sie<br />

spielen miteinander. Die Menschen haben<br />

sozusagen Vorrang gegenüber irgendeinem<br />

Regiekonzept, das man sich vorher am<br />

Schreibtisch ausgedacht hat, so wirdesüberraschender<br />

und vor allem komplexer. Ich<br />

weiß, wovon ich rede, ich habe früher selbst<br />

konzeptionell gearbeitet. Je älter ich werde,<br />

desto sicherer bin ich mir:Wer an Konzepte<br />

glaubt, muss eine ziemlich oberflächliche<br />

Erfahrung mit dem Leben gemacht haben.<br />

Denn sobald es zur Sache geht, wirdesdoch<br />

unkontrollierbar.Auch das Bedürfnis,meine<br />

Arbeit zu erklären, um ihre Relevanz zu beweisen,<br />

oder mich zu rechtfertigen, habe ich<br />

Gott sei Dank nicht mehr. Wissen Sie, ich<br />

könnte keine Sekunde proben, wenn ich<br />

glauben würde, dass meine Inszenierung irgendein<br />

Ziel verfolgen, irgendeinen Zweck<br />

erfüllen soll. Wenn ich mir das nur vorstelle,<br />

fühle ich mich schon ganz hilflos.Dostojewski<br />

hat gesagt, wir Menschen können nur beweisen,<br />

dass wir keine Drehorgelstifte sind,<br />

wenn wir nicht tun, was man vonuns erwartet,<br />

sondern etwas Unsinniges. Darin bestehe<br />

unsereganzeKraft.<br />

Woranmerken Sie, dass eine Szene fertig ist?<br />

Richtig fertig darf eine Szene nie werden.<br />

Dann wäredie Sache abgeschlossen, und wir<br />

könnten nach Hause gehen. Das gilt für die<br />

ganze Inszenierung. Sie muss porös bleiben,<br />

unfertig, beinahe hilflos. Es muss jeden<br />

Abend die Möglichkeit bestehen, dass es<br />

schiefgeht. Dashält wach −Schauspieler und<br />

Zuschauer.Auch unser Interview hier darfauf<br />

keinen Fall eine runde Sache werden.Wenn es<br />

zu seriös wird, stellen Sieeine blöde Frage,auf<br />

die ich dann eine noch blödereAntwortgebe.<br />

Ichgebe mir Mühe. Wiegeht es zu, wenn es zu<br />

einer Krise kommt? Wenn sich alle Blicke auf<br />

Sierichten? Schweigen dann alle verzweifelt?<br />

Brauchen Siediese Krisen?<br />

Istdas jetzt die blöde Frage?<br />

Weiß nicht. Kommt auf die Antwortan.

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