Procycling 06.2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
RETRO<br />
ONCE<br />
© Offside Sports Photography<br />
Sche ma, ebenso Garmin in seinen ersten Jahren.<br />
Auch die Teams von Guimard und Post waren<br />
radikale Innovatoren.<br />
ONCE fällt aus dem Rahmen. Dies war ein<br />
Team, das von einem karitativen Unternehmen<br />
gesponsert und nicht von einem Ex-Profi geleitet<br />
wurde, auf eine bestimmte Art Rennen fuhr und<br />
größten Wert auf Dinge legte, die einige Teams<br />
für selbstverständlich hielten: Fahrräder (nicht<br />
alle auf einmal lachen), Transport und Equipment.<br />
Diese Gelben Trikots mit dem Piktogramm<br />
einer Person mit Stock gehören zu den unverkennbarsten<br />
Designs des Radsports.<br />
DER NEULING BETRITT DAS PARKETT<br />
Die ONCE-Geschichte begann 1989, als ein unbekannter<br />
Coach namens Manolo Saiz beauftragt<br />
wurde, ein Radsportteam auf die Beine zu stellen,<br />
das vom spanischen Blindenverband gesponsert<br />
wurde. Die Organización Nacional de Ciegos<br />
Españoles wurde 1938 gegründet und hat ein<br />
staatliches Monopol für eine nationale Lotterie.<br />
Die Lose werden in Kiosken verkauft, die an jeder<br />
Ecke stehen und das Logo der Organisation tragen:<br />
die Person mit Stock. Im Laufe der Jahre<br />
hat es sich zu einem großen Unternehmen entwickelt,<br />
das Leute mit Behinderungen einstellt,<br />
auch Taube. Es bietet Ausbildung und Arbeit bei<br />
den unterschiedlichsten Dienstleistungsbetrieben<br />
– Hotels, Geschäften, Gesundheitszentren –, die<br />
Zehntausende von Menschen beschäftigen.<br />
SAIZ SAGTE SPÄTER,<br />
ANDERE SPORTDIREKTOREN<br />
HÄTTEN IHN GESCHNITTEN;<br />
ER PASSTE NIE WIRKLICH<br />
REIN. ONCE WAR ANDERS<br />
ALS DIE ANDEREN TEAMS.<br />
Das war nicht der übliche Radsportsponsor, und<br />
Saiz war alles andere als der übliche Ex-Profi, der<br />
sich nach seiner Karriere in den Mannschaftswagen<br />
setzt. Er war jung: erst 30. Er sei ein erfolgloser<br />
Amateur gewesen, sagte er, weil er nicht leidensfähig<br />
genug gewesen sei. Dann hatte er sich<br />
zum Trainer ausbilden lassen und war Coach der<br />
spanischen Junioren- und Amateur-Teams geworden.<br />
Unter anderem hatte er bei dem ostdeutschen<br />
Bahntrainer Wolfram Lindner gelernt. Die<br />
Verbindung mit ONCE kam zustande, als er für<br />
sie die Verantwortung für das Team der Tandem-<br />
Fahrer mit blindem Partner übernahm.<br />
Saiz sagte später, andere Sportdirektoren hätten<br />
ihn geschnitten; er passte nie wirklich rein.<br />
ONCE war anders als die anderen Teams, sagte<br />
er, „weil mein Team eine Seele hat“. Das sah<br />
auch der Australier Stephen Hodge so, der 1990<br />
neben einem weiteren wichtigen Neuzugang –<br />
dem Veteranen Marino Lejarreta – zu ONCE<br />
kam und sagte: „Manolo war anders. Er baute<br />
eine enge, fast familiäre Atmosphäre zwischen<br />
den Jungs auf. Er war eher wie ein älterer Bruder<br />
als wie ein Boss.“<br />
Der ONCE-Chef hatte auch in Bezug auf das<br />
Coaching neue Ideen. Zum einen hatte Lindner<br />
ihn überzeugt, dass die meisten Radprofis nicht<br />
hart genug trainierten. Laurent Jalabert stieß<br />
1992 zum Team, aber seine ersten Jahre waren<br />
alles andere als ein Genuss. „Ich habe ihm gesagt:<br />
‚Du wirst sehr leiden‘“, sagte Hodge. „Er kämpfte<br />
sechs Monate ohne Ergebnisse und begann bereits<br />
zu zweifeln. Doch dann kamen die Resultate.“<br />
Hodge erinnert sich, dass Saiz beim Training<br />
der Fahrer „nicht zimperlich“ war und ihnen –<br />
damals eher unüblich – jede Menge Arbeit im Fitnessstudio<br />
und Krafttraining verordnete.<br />
Jalabert erwies sich als die wichtigste Verpflichtung<br />
in Saiz’ Karriere – neben dem kurzsichtigen<br />
Schweizer Alex Zülle, den der Sportliche Leiter<br />
erst nicht anstellen wollte, weil er Ohrringe trug.<br />
Die beiden bescherten Saiz seine größten Erfolge:<br />
drei Siege bei der Vuelta; 1995 für Jalabert, 1996<br />
und 1997 für Zülle. Mittlerweile war das Team<br />
als „Gelbe Armada“ bekannt.<br />
„Bei der Vuelta gab es immer eine Etappe, wo<br />
wir nach einem Hügel auf ein langes flaches Stück<br />
mit Seitenwind kamen und dort genug Zeit vor<br />
dem Ziel hatten, um etwas auszurichten“, erklärte<br />
Hodge. „Jeder wusste, was passieren wird, aber<br />
trotzdem schafften wir es immer, Windstaffeln<br />
aufzumachen und das Rennen zu sprengen. Das<br />
brachte uns den Spitznamen ein.“<br />
ONCE war auch aus anderen Gründen besonders<br />
präsent. Als sie die Vuelta gewannen, wurden<br />
rund 100.000 Mitglieder der Organisation<br />
mit dem Bus nach Madrid geschafft, um sich die<br />
letzte Etappe anzuschauen – allesamt in gelben<br />
T-Shirts. Die Verbindung mit dem karitativen<br />
Unternehmen bedeutete, dass das Team ONCE-<br />
Einrichtungen wie Hotels in ganz Spanien nutzen<br />
konnte, die Fahrer besuchten außerdem<br />
Schulen und Unternehmen, die sich der Blindenhilfe<br />
widmeten.<br />
„Wenn es hart auf hart kam, musste man nur<br />
daran denken, wie das Leben für die blinden, tauben<br />
und stummen Menschen in Spanien war, die<br />
wir in der Welt der Sehenden repräsentierten“,<br />
sagte Hodge.<br />
Auf der Straße wurde von der Gelben Armada<br />
erwartet, für Chaos und Panik zu sorgen; bei<br />
Etappenstarts und Ankünften stachen ihre Busse<br />
Der Schweizer Alex Zülle wurde zu<br />
einem der wichtigsten Fahrer von ONCE.<br />
100 PROCYCLING | JUNI 2019