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Procycling 06.2019

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JIM RATCLIFFE<br />

© Getty Images<br />

Für Tour-de-France-Champion Geraint Thomas<br />

und seine Sky-Teamkollegen war es die typische<br />

Trainingsfahrt, als sie von ihrer jeweiligen Wohnung<br />

in Monaco aus zu einer relativ lockeren Trainingsrunde<br />

aufbrachen.<br />

Es ist nicht ungewöhnlich, dass andere Gesichter<br />

in ihrem kleinen Peloton auftauchen –<br />

Fahrer von vielen verschiedenen Teams, die in<br />

der Gegend leben, bilden oft Trainingsgruppen<br />

– und am Ende der Gruppe fuhr ein älterer Mann<br />

im Radsportdress mit. Ein paar Tage später war<br />

Sir Jim Ratcliffe, der reichste Mann Großbritanniens,<br />

Eigentümer des Chemieunternehmens<br />

Ineos und neuerdings ebenfalls mit monegassischem<br />

Wohnsitz ausgestattet, offizieller Eigentümer<br />

des Teams, das früher Team Sky hieß …<br />

also Thomas’ Arbeitgeber.<br />

Der Waliser lässt sich nicht leicht beeindrucken.<br />

Seit seinem Toursieg hat er Trikots mit<br />

Barcelona-Spielmacher Lionel Messi und dem<br />

früheren walisischen Rugby-Kapitän Sam Warburton<br />

getauscht und in einer BBC-Talksendung<br />

mit Nicole Kidman auf dem Sofa gesessen.<br />

Thomas’ Fazit aus der Trainingsfahrt war<br />

schlicht, dass die Leute seiner Erfahrung nach<br />

„umso netter sind, je reicher sie sind“. Sein Eindruck<br />

von einem Mann, dessen Vermögen laut<br />

Reichenliste der Sunday Times 21 Milliarden<br />

Pfund (24 Milliarden Euro) beträgt, war, dass er<br />

„wirklich bescheiden und bodenständig“ sei. Die<br />

Ausfahrt hat es Ratcliffe letztlich schmackhaft<br />

gemacht, einen Drei-Jahres-Vertrag über<br />

120 Millionen Pfund zu unterschreiben, damit<br />

aus dem Team Sky das Team Ineos wird.<br />

Diese helle Begeisterung für den Ineos-Eigentümer<br />

wird nicht von allen geteilt. In der Grangemouth-Raffinerie<br />

in Schottland, wo Ratcliffe<br />

einen langen und erbitterten Streit mit den Gewerkschaften<br />

führte, bekam er den Spitznamen<br />

Ratcliffe hat bereits<br />

die Ambitionen des<br />

Seglers Ben Ainslie (li.)<br />

auf den America’s Cup<br />

unterstützt.<br />

„Dr. No“ nach dem James Bond-Schurken – so<br />

oft, wie er die Forderungen der Arbeitnehmer abgelehnt<br />

hatte. Diese warfen ihm auch vor, sich wie<br />

ein „viktorianischer Fabrikant“ zu verhalten.<br />

Ein Wirtschaftsjournalist, der nicht genannt<br />

werden will, verglich Ratcliffe mit Montgomery<br />

Burns, der reichen und geizigen Figur von den<br />

Simpsons, während der Labour-Abgeordnete<br />

Michael Connerty, in dessen Wahlkreis Grangemouth<br />

liegt, sein parlamentarisches Privileg nutzte<br />

und sagte, Ratcliffe sei in seinem Verhalten das<br />

„Äquivalent zu einem russischen Oligarchen“.<br />

Der Wirtschaftsjournalist Simon English fragte<br />

in seiner Zeitungskolumne, ob Ratcliffe, der unlängst<br />

seinen Wohnsitz nach Monaco verlegt hat<br />

und dadurch Analysten zufolge vier Milliarden<br />

Pfund Steuern sparen könnte, mit diesem Schritt<br />

„alles tue, um zum unbeliebtesten Mann Großbritanniens<br />

zu werden“.<br />

Der 66-Jährige ist ein gnadenloser Geschäftemacher.<br />

Als der Chemiekonzern Solvay drei Tage<br />

zu früh bekanntgab, dass Ineos einen Teil seines<br />

Geschäfts übernehmen werde, zog Ratcliffe bei<br />

den Verhandlungen die Daumenschrauben an.<br />

Als einer von zunächst fünf Interessenten<br />

übernahm er das Team Sky sechs Wochen nach<br />

dem ersten Gespräch mit Dave Brailsford. Dabei<br />

halfen – wie ein Team-Insider sagte – auch „gegenseitige<br />

Übereinstimmung und Bewunderung“.<br />

Sein Kauf des America’s Cup-Teams des britischen<br />

Seglers Ben Ainslie ging noch schneller<br />

über die Bühne.<br />

Ainslie traf Ratcliffe das erste Mal auf ein Bier<br />

in London. Am folgenden Morgen hatte er praktisch<br />

zugesagt, eine ähnliche Summe wie für den<br />

Sky-Deal, rund 110 Millionen Pfund, in Ainslies<br />

Lieblingsprojekt, den ersten britischen Sieg beim<br />

America’s Cup, zu stecken.<br />

Über diese erste Begegnung sagte der viermalige<br />

Segel-Olympiasieger: „Ich wusste, dass er ein<br />

erfolgreicher Geschäftsmann ist, aber nicht, dass<br />

er der reichste Mann Großbritanniens ist. Ich hatte<br />

von seinen abenteuerlichen Unternehmungen<br />

gehört: dass er am Nordpol und Südpol war und<br />

an verrückten Marathons durch die Wüste teilgenommen<br />

hat.“<br />

Er sagt weiter: „Ich wusste, dass er sich fürs<br />

Segeln interessiert, also haben wir uns zu einem<br />

Plausch zusammengesetzt und kamen auf den<br />

America’s Cup zu sprechen. Jim hat sich am<br />

nächsten Tag gemeldet. Er freute sich wirklich auf<br />

die Herausforderung und wollte sich engagieren.<br />

Wenn eine solche Chance kommt, musst du sie<br />

schnell ergreifen.“<br />

Und diese Vorstöße in die Welt des Sports<br />

scheinen weiterzugehen. Ratcliffe war anfangs<br />

daran interessiert, Roman Abramowitsch den<br />

FC Chelsea abzukaufen, obwohl er Fan von Manchester<br />

United ist. Ihm gehört auch der FC Lausanne<br />

in der Schweiz, wohin er den Sitz von Ineos<br />

von 2010 bis 2016 verlegt hatte, und er hat Gespräche<br />

über den Erwerb des französischen Erstligisten<br />

OGC Nizza geführt.<br />

Ratcliffe hat sich daran gewöhnt, Gewinner in<br />

der Wirtschaft zu unterstützen. Sein Modus Ope-<br />

64 PROCYCLING | JUNI 2019

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