Procycling 06.2019
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DAS LETZTE WORT<br />
JENS VOIGT<br />
Jens macht bei den Frühjahrsklassikern einen Schlagabtausch der alten und neuen Generation aus.<br />
© Getty Images<br />
Das ist Sport: Es gibt immer<br />
ein aufregendes junges Talent<br />
um die Ecke und neue<br />
Helden stehen Schlange, um die<br />
Nachfolge der alten Garde anzutreten.<br />
Aber, meine Freunde,<br />
es war noch nie so gut zu sehen wie<br />
jetzt im Radsport. Aktuell erleben<br />
wir den direkten Wechsel zwischen<br />
zwei Epochen mit.<br />
Für die aktuellen Helden und Legenden<br />
des Radsports läuft die Zeit<br />
sehr, sehr schnell ab. Schaut euch<br />
nur die Frühjahrsklassiker an. Der<br />
alte König Philippe Gilbert gewann<br />
Paris–Roubaix, um alle anderen<br />
Klassiker, die er in den letzten zehn<br />
Jahren und mehr gewonnen hat, zu<br />
ergänzen. Im Finale konnte er den<br />
jungen deutschen Fahrer Nils Politt<br />
nur knapp in Schach halten. Politt<br />
hat Gilbert im Rennen zugesetzt,<br />
daran besteht kein Zweifel. Und ich<br />
wette, dass dieses Ergebnis im<br />
nächsten Jahr anders herum lauten<br />
könnte, wenn Politt stärker und erfahrener<br />
wird.<br />
Es gibt noch mehr. Die Flandern-<br />
Rundfahrt wurde von Alberto Bettiol<br />
gewonnen, der erst 25 Jahre alt ist.<br />
Amstel Gold Race wurde vom 24-<br />
jährigen neuen niederländischen<br />
Superhelden Mathieu van der Poel<br />
gewonnen. Dies ist die kommende<br />
Generation der Klassiker-Fahrer.<br />
Gilbert war nicht der einzige ältere<br />
Fahrer, der gewonnen hat. Jakob<br />
Fuglsang nutzte seine Erfahrung<br />
und Reife, um die jungen Talente<br />
bei Lüttich–Bastogne–Lüttich zu<br />
überlisten, obwohl sie nicht weit<br />
zurücklagen – es gab einen weiteren<br />
jungen Deutschen auf Platz drei:<br />
Maximilian Schachmann, der erst<br />
25 Jahre alt ist. Es gab auch starke<br />
Auftritte von David Gaudu und Bjorg<br />
Lambrecht, die beide erst 22 Jahre<br />
alt sind.<br />
Und die Liste geht weiter, denn<br />
nicht nur bei den Klassikern hat es<br />
die ältere Generation schwer gegen<br />
die Jüngeren. Der 24-jährige Brite<br />
Tao Geoghegan Hart gewann bei der<br />
Alpenrundfahrt zwei Etappen und<br />
wurde hinter seinem noch jüngeren<br />
Teamkollegen Pavel Sivakov Zweiter.<br />
Okay, die Alpenrundfahrt ist nicht<br />
das größte Rennen, aber sie hielten<br />
Vincenzo Nibali bei den Kletterpassagen<br />
unter Kontrolle. Und ich habe<br />
noch nicht einmal über den Fahrer<br />
gesprochen, der vielleicht das größte<br />
Talent von allen ist: den 19-jährigen<br />
Belgier Remco Evenepoel, der im<br />
letzten Jahr Doppelweltmeister bei<br />
den Junioren wurde.<br />
Wir als Fans sind in einer tollen<br />
Situation. Wir können unsere Helden<br />
noch ein oder zwei Jahre lang<br />
genießen – und glaubt mir, sie werden<br />
hart kämpfen, um ihren Thron<br />
weiterhin zu besetzen. Aber wir<br />
„MIT DER ZEIT WERDEN WIR UNSERE<br />
NEUEN HELDEN ANNEHMEN. ES FÜHLT<br />
SICH AN, ALS STÜNDEN WIR AM ANFANG<br />
EINER NEUEN ÄRA, AM ANFANG EINES<br />
GENERATIONSWECHSELS.“<br />
Gilbert gegen Politt bei Paris–<br />
Roubaix, im Kampf der jungen gegen<br />
die ältere Generation.<br />
können auch zusehen, wie diese<br />
jungen, hungrigen, wilden Kids versuchen,<br />
sie abzudrängen. Diese Geschichte<br />
ist so alt wie der Sport, und<br />
wenn wir zehn Jahre zurückblicken,<br />
würden wir sehen, dass die jetzigen<br />
Spitzenfahrer damals ihren eigenen<br />
Kampf hatten, um die etablierten<br />
Helden des Radsports zur Seite zu<br />
schieben. Es ist so, wie es sein sollte<br />
– nichts hält ewig.<br />
Mit der Zeit werden wir unsere<br />
neuen Helden annehmen. Es fühlt<br />
sich an, als stünden wir am Anfang<br />
einer neuen Ära, am Anfang eines<br />
Generationswechsels, den wir seit<br />
einigen Jahren nicht mehr erlebt haben.<br />
An der Spitze des Sports stehen<br />
vielleicht nur noch Julian Alaphilippe<br />
und Peter Sagan bei den Klassikern,<br />
die noch mehr als ein Jahr<br />
Zeit haben. Und wie immer seit der<br />
Erfindung des Sports werden wir<br />
dem gleichen Mantra folgen: Der<br />
König ist tot; es lebe der König!<br />
Jens Voigt beendete seine Profi -<br />
karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />
Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />
und beliebtesten Fahrer<br />
im Peloton. Unter anderem hielt er<br />
für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />
114 PROCYCLING | JUNI 2019