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Procycling 06.2019

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RETRO<br />

ONCE<br />

Jalabert auf der heute berühmten<br />

12. Etappe der 1995er-Tour, als ONCE<br />

in die Offensive ging.<br />

Belokis fürchterlicher Sturz bei der Tour<br />

2003. Es war die letzte Saison des Teams.<br />

plant. ONCE beabsichtigte, in die Offensive zu<br />

gehen, da die Etappe zu Beginn einen Anstieg<br />

enthielt, an dem Saiz hoffte, Banesto in Schwierigkeiten<br />

bringen zu können. Tatsächlich waren<br />

die Attacken intensiv – von Fahrern, die es auf den<br />

Etappensieg abgesehen hatten. Als Jalabert nach<br />

27 Kilometern die Lücke zu Gewiss-Fahrer Dario<br />

Bottaro zugefahren hatte, war das Feld zerlegt<br />

und die Domestiken von Banesto waren versprengt.<br />

Der Vorsprung pendelte sich rund 20 Kilometer<br />

lang auf 30 Sekunden ein, sodass Saiz Fahrer<br />

nach vorn zu Jalabert schicken konnte.<br />

Zülle hatte ein Knieproblem, also musste Mauri<br />

ran, und später schaffte auch Stephens den Anschluss.<br />

Als Stephens das erste Mal attackierte,<br />

fuhr Indurain dem Helfer hinterher. Als der Australier<br />

gestellt war, fuhr ein anderer ONCE-Fahrer,<br />

Bruyneel, die nächste Attacke. Wieder war es Indurain,<br />

der hinterherging. Das Gelbe Trikot war<br />

isoliert und musste die Arbeit alleine verrichten.<br />

„Als Kollektiv hätten wir die Tour an dem Tag<br />

in Mende gewinnen können“, sagte Saiz Alasdair<br />

Fotheringham für seine Indurain-Biografie Relentless.<br />

„Es war die ideale Strategie, um Indurain<br />

zu schlagen: ihn isolieren und angreifen.“<br />

Es war der einzige wirklich verzweifelte Moment<br />

in Indurains Serie von fünf Toursiegen. Seine<br />

indivduelle Stärke half ihm bei der Verfolgung<br />

des ONCE-Trios, ebenso die Tatsache, dass später<br />

die beiden Banesto-Domestiken Gérard Rué und<br />

Ramón Arrieta wieder zu ihrem Kapitän aufschlossen.<br />

Doch der Schlüsselfaktor war die Hilfe,<br />

die der Spitzenreiter von einer Reihe anderer<br />

Teams und Fahrer im Feld erhielt, im Austausch<br />

für Gefallen, die sie in der Vergangenheit erhalten<br />

hatten, und in der Hoffnung auf künftige Gefallen.<br />

Der ONCE-Angriff bescherte Frankreich seinen<br />

ersten Sieg am Nationalfeiertag seit sechs Jahren<br />

und sicherte Jalabert einen Platz in der Tour-Geschichte.<br />

Dazu beförderte er Jalabert und Mauri<br />

in die Top Six und sorgte dafür, dass ONCE die<br />

Mannschaftswertung gewann. Doch nicht alle<br />

waren zufrieden mit dem Triumph in Mende. Die<br />

spanische Presse war weitgehendend pro Indurain<br />

und sah die Episode als Angriff auf einen Nationalhelden.<br />

„Wir wurden von der Presse geschlachtet“,<br />

sagte Saiz.<br />

DER ANFANG VOM ENDE<br />

Saiz traf einige bizarre Entscheidungen, mit denen<br />

er sich keine Freunde machte. 1997 erlaubte<br />

er Zülle, mit einem gebrochenen Schlüsselbein<br />

bei der Tour zu starten. Das Experiment dauerte<br />

eine Woche, in der der Schweizer dreimal stürzte.<br />

1998 stieg das Team nach dem Festina-Dopingskandal<br />

aus der Tour aus, und Saiz prägte den berühmten<br />

Satz, dass er „der Tour seinen Finger in<br />

den Arsch gesteckt“ habe – eine Anspielung auf<br />

die Razzien der Polizei bei Festina- und TVM-<br />

Fahrern. Saiz wurde vorübergehend von den<br />

Tour-Organisatoren gesperrt, von der UCI aber<br />

zum Rennen 1999 wieder zugelassen. Danach<br />

war es nicht mehr das Gleiche. 2001 wechselte<br />

Jalabert zu Bjarne Riis’ CSC-Team. Auf ihn folgte<br />

Joseba Beloki, ein relativ anonymer Schatten hinter<br />

dem dominanten Lance Armstrong.<br />

Belokis denkwürdigster Tour-Moment war leider<br />

ein fürchterlicher Sturz in der Abfahrt von der Côte<br />

de la Rochette nach Gap 2003, wo er in einer Kurve<br />

die Kontrolle über sein Rad verlor und sich Ellbogen,<br />

Handgelenk und sein rechtes Bein brach.<br />

Das führte zu einem der denkwürdigsten Bilder<br />

der Frankreich-Rundfahrten mit Armstrong, als<br />

der Texaner die Straße verlassen musste, um Belo-<br />

DER ONCE-ANGRIFF<br />

BESCHERTE FRANKREICH<br />

SEINEN ERSTEN SIEG AM<br />

NATIONALFERIERTAG SEIT<br />

SECHS JAHREN.<br />

ki auszuweichen, und sich in einen Crossfahrer<br />

verwandelte, die Kurve bergab schnitt, durch ein<br />

Feld fuhr und sich den Führenden wieder anschloss.<br />

Beloki war danach nie wieder der Alte; am<br />

Ende der Saison stieg ONCE als Sponsor aus. Saiz<br />

führte das Team unter der Liberty-Seguros-Flagge<br />

zu einem unrühmlichen Ende im Operación-Puerto-Dopingskandal.<br />

„Als Beloki fiel, fiel das Team<br />

mit ihm“, sagte Saiz. „Es hatte eine kleine Chance<br />

gegeben, dass ONCE nach der Tour weitermacht …<br />

Es war unsere letzte Chance. Wir haben in dem<br />

Moment nicht nur die Tour verloren, wir haben unsere<br />

Zukunft verloren.“<br />

© Offside/L’Équipe<br />

JUNI 2019 | PROCYCLING 103

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