Procycling 06.2019
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TOM DUMOULIN<br />
DAS NEUE<br />
GESICHT DES<br />
FRÜHJAHRS<br />
Die Renaissance des Giro-Tour-<br />
Doubles hat zur ersten wirklichen<br />
Veränderung beim Frühjahrs-<br />
Formaufbau seit vielen Jahren geführt.<br />
Der etablierte Weg zum Toursieg ist eine<br />
Reihe von vier oder fünf Frühjahrsrennen,<br />
dann die Dauphiné im Juni.<br />
Doch den Giro vor der Tour zu fahren,<br />
macht das unmöglich. Während der<br />
Toursieger 2018, Geraint Thomas, dem<br />
traditionellen Weg folgte, fuhren die<br />
Männer, die ihn auf dem Podium in Paris<br />
flankierten, Tom Dumoulin und Chris<br />
Froome, beide den Giro. Froome bestritt<br />
die Ruta del Sol (10.), Tirreno (34.)<br />
und die Tour of the Alps (4.) vor<br />
Giro und Tour. Der Holländer<br />
entschied sich für die Abu Dhabi Tour<br />
(38.) und Tirreno (DNF) plus ein paar<br />
Eintagesrennen. In diesem Jahr setzte<br />
Dumoulin auf die UAE Tour (6.) und<br />
Tirreno (4.) plus San Remo und Lüttich,<br />
womit er auf nur 16 Renntage kam. Das<br />
ist nicht viel, aber nicht wesentlich<br />
anders als bei seinen Giro-Rivalen<br />
Yates, Roglič und Nibali. Bei dieser<br />
Vorbereitung bleibt er frisch, und anders<br />
als 2018 waren seine frühen Resultate<br />
gut. Ist das der richtige Formaufbau<br />
für den Giro? Oder will er auch<br />
im Juli in Topform sein?<br />
konkurrenzfähig zu sein und den Giro gewinnen<br />
zu können, wäre es nicht möglich, zu gewinnen,<br />
auszuruhen, sich zu erholen und dann rechtzeitig<br />
zur Tour wieder in Topform zu kommen. Um für<br />
beide Rennen auf gleichem Niveau zu sein, müsste<br />
der Fahrer dieses Niveau niedriger<br />
ansetzen.<br />
Doch die Dinge könnten sich<br />
ändern. Froome fährt seit seinem<br />
Durchbruch 2011 in den meisten<br />
Jahren bei zwei großen Rundfahrten<br />
um den Sieg mit. Er hat in den<br />
letzten drei Jahren bei zweien auf<br />
dem Podium gestanden – sein bevorzugtes<br />
Programm war immer,<br />
bei der Tour alles aus sich herauszuholen<br />
und dann zu sehen, ob er<br />
die Vuelta gewinnen kann, und er<br />
hat ein paar Anläufe gebraucht, bis<br />
er es 2017 schließlich schaffte.<br />
2018 setzte er sich noch höhere<br />
Ziele. Die Tour startete eine Woche<br />
später als üblich, sodass die Fahrer<br />
zusätzliche Zeit hatten, mit der<br />
sie arbeiten konnten, und sowohl<br />
Froome als auch Dumoulin bekamen es sehr sauber<br />
hin, erst den Giro und dann die Tour anzupeilen:<br />
Froome gewann den Giro und wurde Dritter<br />
der Tour; Dumoulin war Zweiter bei beiden.<br />
Obwohl diese beiden die Schlagzeilen beherrschten,<br />
waren sie nicht die Einzigen, die im<br />
letzten Jahr bei zwei großen Rundfahrten auf Gesamtwertung<br />
fuhren. Tatsächlich haben zum ersten<br />
Mal seit 2008 fünf verschiedene Fahrer die<br />
Top Ten zweier großer Rundfahrten im Kalenderjahr<br />
erreicht. Miguel Ángel López war Dritter bei<br />
Giro und Vuelta, Steven Kruijswijk Fünfter in<br />
18<br />
Grand-Tour-<br />
Doubles in der<br />
Historie<br />
10<br />
Fahrer mit einem<br />
GT-Double<br />
Frankreich und Vierter in Spanien, während Nairo<br />
Quintana Zehnter bei der Tour und Achter bei der<br />
Vuelta wurde. Simon Yates war nicht weit von einem<br />
Grand-Tour-Double entfernt – er trug das<br />
Rosa Trikot bis zum drittletzten Tag des Giro und<br />
gewann dann die Vuelta.<br />
EF-Education-First-Manager<br />
Jonathan Vaughters sagt, den Giro<br />
und die Tour zu fahren, sei nur<br />
dann wirklich hart, wenn man<br />
beides zu gewinnen versuche.<br />
„Zwei große Rundfahrten zu bestreiten,<br />
ist kein Problem. Aber<br />
wenn man versucht, konkurrenzfähig<br />
zu sein, dann wird es knifflig“,<br />
teilt er <strong>Procycling</strong> mit. „Nur<br />
wenn du dieses allerhöchste Niveau<br />
brauchst, dieses letzte eine<br />
Prozent in den Schlüsselmomenten<br />
wie fünf Minuten in Alpe<br />
d’Huez. Man kann zwei große<br />
Rundfahrten als Helfer bestreiten,<br />
vielleicht sogar drei, aber wenn du<br />
diesen Knockout-Punch brauchst,<br />
ist es schwer.“<br />
Er fügt hinzu: „Damals, als es unpopulär war,<br />
zwei große Rundfahrten zu absolvieren, waren<br />
wir zwei Jahre – 2008 und 2009 – mit Christian<br />
Vande Velde in einem und Bradley Wiggins im<br />
nächsten Jahr sowohl beim Giro als auch bei der<br />
Tour. Aber sie sind den halben Giro im Gruppetto<br />
gefahren. Es war eigentlich sehr effektiv – sie sind<br />
beide eine hervorragende Tour gefahren. Wir fuhren<br />
zum Giro, gingen auf Etappenjagd und peilten<br />
das Mannschaftszeitfahren an, nicht die Gesamtwertung.<br />
Dann machten wir Höhentraining. Es<br />
war eine sehr effiziente Formel.“<br />
Heute ist ein solcher Weg weniger leicht zu<br />
rechtfertigen, erklärt Vaughters, da der Druck der<br />
Sponsoren es nicht zulässt, ein Rennen zum Training<br />
zu nutzen, aber trotzdem bestreiten viele<br />
Fahrer mehrere große Rundfahrten. Die meisten<br />
WorldTour-Teams schicken Fahrer aufgrund von<br />
bewusster Planung, Notwendigkeit oder Umständen<br />
zu mehr als einem.<br />
Obwohl die letztjährige Umstellung auf achtköpfige<br />
Mannschaften bei den dreiwöchigen Rennen<br />
die Zahlen etwas geändert hat, weist die Art,<br />
wie die Teams ihre Saison strukturieren, ein<br />
Muster auf: Es gibt bei den WorldTour-Teams<br />
weniger Überlappung zwischen den Giro- und<br />
Tour-Mannschaften als für andere Kombinationen.<br />
2018 sind nur zwölf Fahrer, darunter<br />
Froome und Dumoulin, beide Rennen gefahren.<br />
Sie gehören zu den beiden größten Zielen der Saison<br />
und die Ressourcen müssen entsprechend<br />
verteilt werden – es ist sinnvoll, ein „Tour-Aufgebot“<br />
und ein „Giro-Aufgebot“ innerhalb des<br />
Indurain im Jahr 1992 auf dem Weg zu<br />
seinem ersten von zwei Giro-Tour-Doubles.<br />
© Offside Sports Photography<br />
JUNI 2019 | PROCYCLING 39