Procycling 06.2019
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TOM DUMOULIN<br />
Die Einsamkeit des Langstreckenfahrers:<br />
Dumoulin auf dem Teide in Teneriffa.<br />
Arbeits- und Radsportlerleben involviert wurde.<br />
Das Drumherum hat mich ein bisschen davon<br />
abgelenkt, was ich am Radsport mag.“<br />
Es muss sich angefühlt haben, als wäre Dumoulins<br />
Leben nicht mehr sein eigenes. Als wollte<br />
er sich für diesen Kontrollverlust entschädigen,<br />
war seine Reaktion, pedantischer an den Sport<br />
heranzugehen. Ein Angriff auf das Giro-Tour-de-<br />
France-Double war geplant und ein überraschend<br />
schlanker Dumoulin startete bei der Abu Dhabi<br />
Tour in die Saison 2018 in der Hoffnung auf einen<br />
frühen Zeitfahr-Sieg im Regenbogentrikot.<br />
Sein Wutausbruch, als ein Defekt ihn dort ausbremste,<br />
ließ den Druck erahnen, der unter der<br />
Oberfläche brodelte. Weiteren Frust gab es, als<br />
er einen Monat später nach einem Sturz Tirreno–<br />
Adriatico aufgeben musste.<br />
So konnte es nicht weitergehen. Dumoulins<br />
Freundin (jetzt Frau) Thanee, eine Psychologin,<br />
empfahl ihm eine Lektüre, die seine Mühen in<br />
einen Kontext außerhalb der engen Welt des Pelotons<br />
stellte. „Es fällt Menschen schwer, mit gro<br />
ßen Veränderungen im Leben umzugehen“, sagt<br />
Dumoulin. „Aber ich habe es überwunden und<br />
akzeptiert, dass sich einige Dinge nicht ändern<br />
werden. Das ist die neue Realität.“ Unterdessen<br />
sorgte eine entspannte Radtour durch die Ardennen<br />
mit Laurens ten Dam und Bram Tankink dafür,<br />
dass sich das Radfahren wieder mehr wie ein<br />
Privileg als wie eine Last anfühlte.<br />
„Der Druck ist da. Den bekomme ich nicht weg,<br />
daher ist es besser, ihn einfach zu akzeptieren“,<br />
sagt Dumoulin. „Das hat mir Ruhe gegeben und<br />
mich zu dem zurückgebracht, was ich am Radsport<br />
liebe. Warum mache ich das und warum<br />
fahre ich Rad? Das ist eine gute Frage, die man<br />
sich manchmal stellen muss, glaube ich.“<br />
Anfang Mai nach Israel zu reisen, um seinen<br />
Giro-Titel zu verteidigen, war fast eine Wohltat<br />
für Dumoulins verwirrtes Selbstgefühl. In den<br />
folgenden elf Wochen, von der Grande Partenza in<br />
West-Jerusalem, wo er das Rosa Trikot holte, bis<br />
zu den Champs-Élysées, wo er neben Geraint<br />
Thomas auf dem Podium stand, war sein Programm<br />
straffer organisiert und leicht verdaulich.<br />
Nächster Tag, nächster Anstieg, nächste Anstrengung.<br />
Keine Ablenkungen.<br />
„Du kommst in einen Rhythmus“, sagt Dumoulin.<br />
„In dem Moment kannst du nichts an<br />
deiner Form machen und ich kenne das Leben,<br />
das ich bei einer großen Rundfahrt durchlebe. Es<br />
ist mental und körperlich hart, aber ich weiß, was<br />
kommt. Man könnte sagen: Ich war froh, als der<br />
Giro losging.“<br />
Dumoulin war auch froh, das Ziel in Rom zu<br />
erreichen. Er verpasste zwar einen weiteren Gesamtsieg<br />
und musste sich Chris Froome geschlagen<br />
geben, bewertete seine athletische Leistung<br />
aber höher als die von 2017, wo er von einem<br />
etwas moderateren Kurs profitierte. „Dieser<br />
KARRIERE-HÖHEPUNKTE TOM DUMOULINS BISLANG BESTE GC-ERGEBNISSE<br />
ENECO TOUR 2013: 2.<br />
Ist am vorletzten Tag nach starken<br />
Vorstellungen beim Zeitfahren und<br />
der Etappe zur Côte de La Redoute<br />
Spitzenreiter des Rennens, hat<br />
jedoch am letzten Tag nach<br />
Geraardsbergen das Nachsehen<br />
und verliert das Trikot um<br />
26 Sekunden an Zdenĕk Štybar.<br />
TOUR DE SUISSE 2014: 5.<br />
Gesamt-Zweiter nach zwei sehr<br />
starken Zeitfahren und der<br />
Bergankunft in Verbier. Ein<br />
Überraschungsangriff von Rui<br />
Costa am letzten Tag stellt das<br />
Klassement auf den Kopf und<br />
verdrängt Dumoulin auf den<br />
fünften Gesamtplatz.<br />
ENECO TOUR 2014: 3.<br />
Dumoulin kann Cancellara beim<br />
Zeitfahren am dritten Tag knapp<br />
schlagen und schlüpft dank eines<br />
zweiten Platzes in Geraardsbergen<br />
ins Spitzenreitertrikot.<br />
Doch Wellens attackiert auf der<br />
nächsten Etappe und gewinnt das<br />
Rennen; Dumoulin wird Dritter.<br />
TOUR DE SUISSE 2015: 3.<br />
Gewinnt die Prüfungen gegen die Uhr<br />
am ersten und letzten Tag des Rennens,<br />
kann am gewaltigen Anstieg nach<br />
Sölden auf der 5. Etappe jedoch nicht<br />
mithalten. Fällt auf den siebten<br />
Gesamtplatz zurück, befördert sich mit<br />
seinem Sieg im abschließenden<br />
Zeitfahren aber zurück aufs Podest.<br />
© Getty Images<br />
JUNI 2019 | PROCYCLING 33