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FOKUS LINN

FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019

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NATUR<br />

Unterschied zur Linner Linde wächst die<br />

Linde von Niederhünigen mitten im Dorf.<br />

Sie ist umgeben von «bhäbigen» Berner<br />

Bauten. Einem Bauernhof mit prächtigem<br />

Bauerngarten, dem Milchhüsli, einem<br />

Stöckli, alle geschützt, und einem weiteren<br />

regionaltypischen Holzhaus. Ein einmaliges<br />

Ensemble. Ich würde sogar sagen<br />

ein Ensemble von nationaler Bedeutung.<br />

All die alten Bauten mit der altehrwürdigen<br />

Linde in der Mitte, leider eingeengt<br />

von Asphalt bis an den Stamm.<br />

Die Linde ist zweistämmig. Gemäss der<br />

Aussage von Herrn Durant, angrenzender<br />

Landwirt, soll die zweite Linde ungefähr<br />

1850 zur bestehenden Linde gepflanzt<br />

worden sein. Heute sind sie miteinander<br />

verwachsen. 1980 hat der Blitz in den<br />

Die Dorflinde von Niederhünigen<br />

ist eine der 10 mächtigsten<br />

Linden der Schweiz. Ihr Stammumfang<br />

beträgt 8,3 m.<br />

Nordstamm eingeschlagen und so die Krone<br />

stark beschädigt. Doch eine viel grössere<br />

Beeinträchtigung ist 2003 durch die «Sanierung»<br />

der Strasse erfolgt. Dabei ist die<br />

Linde bis an den Stamm eingeteert worden.<br />

Sicherlich sind dabei auch die Wurzeln<br />

achtlos verletzt worden, denn schliesslich<br />

soll Asphalt nur auf einem starken Kieskoffer<br />

eingebaut werden. Dieser Eingriff hat<br />

Das historische Bild um 1920 zeigt die<br />

Linde von Niederhünigen.<br />

(Bild: Burgerbibliothek Bern)<br />

die Linde in den letzten 15 Jahren so stark<br />

geschwächt, dass der Gemeinderat unter<br />

Beizug einer Fachperson entschieden hat,<br />

sie zu fällen. Weiter begründet der Gemeinderat<br />

den Entscheid,die Linde zu fällen<br />

mit dem Hochwasserschutz und der<br />

Verkehrssicherheit.<br />

Rechtsverfahren<br />

Im Dezember 2017 ist an der Niederhüniger<br />

Wintergemeinde ein Kreditgesuch für<br />

die Dorfplatzsanierung angenommen<br />

worden. Im Januar 2018 ist das entsprechende<br />

Baugesuch aufgelegen, ohne dass<br />

jemand eine Einsprache gemacht hätte.<br />

Auf die erteilte Baubewilligung folgt immer<br />

eine dreissigtägige Rekursfrist, ein<br />

demokratisches Instrument, das wie eine<br />

Notbremse funktioniert. Und diese Notbremse<br />

habe ich mit Kollegen und einem<br />

Verein, der sich für Bäume engagiert, gezogen.<br />

Ein Rechtsverfahren hat so begonnen.<br />

Doch schon vorweg und parallel<br />

dazu ist das Gespräch mit dem Gemeinderat<br />

von Niederhünigen aufgenommen<br />

worden. Die Situation wollten wir genauer<br />

kennenlernen, um so konstruktive<br />

Alternativvorschläge unterbreiten zu<br />

können. Wir haben mehr auf die Kommunikation<br />

als auf die Konfrontation gesetzt.<br />

Das ist der Grund, weshalb wir die Beschwerde<br />

nicht an die zweite Instanz weitergezogen<br />

haben, sondern das Angebot<br />

der Gemeinde zum Runden Tisch angenommen<br />

haben. Wäre da nicht einer in<br />

unserer Runde gewesen, der sein Wort<br />

nicht gehalten hat, hätte der Runde Tisch<br />

stattgefunden. Stattdessen sind die Gespräche<br />

gekappt und wir der rechtlichen<br />

Mittel beraubt worden. In der Zwischenzeit<br />

ist das Rechtsverfahren abgeschlossen,<br />

die Busse bezahlt, die Baubewilligung<br />

rechtskräftig. Die einst geschützte Linde<br />

darf gefällt werden.<br />

Demokratielektion<br />

Mit allen Nachbarn der einmaligen Linde haben<br />

wir gesprochen. Alle sind sie traurig,<br />

dass der Baum offenbar wegen verschiedenster<br />

Bedürfnisse entfernt werden muss,<br />

alle sind froh, dass sich jemand für die Linde<br />

einsetzt. Von den Lokalen wagt sich kaum<br />

jemand für die Linde einzusetzen. Dem Gemeinderat<br />

hätten die Anwohner und Bewohner<br />

von Niederhünigen gegenüberstehen<br />

müssen. Eine Bürgerpflicht, wenn man anderer<br />

Meinung ist. Doch um sich für seine Meinung<br />

einzusetzen, braucht es Engagement<br />

und in kleinem Masse auch Zivilcourage. Die<br />

Demokratie hilft nur so weit, wie sie auch genutzt<br />

und gelebt wird.<br />

Bei den Abklärungen zur Vorgeschichte ha-<br />

ben wir entdeckt, wie fahrlässig der Schutz<br />

der Linde von den kantonalen Amtsstellen<br />

aufgehoben worden ist. Beschämend.<br />

Dann die Ingenieure und Verkehrsplaner:<br />

Normen und Richtwerte sind entscheidender<br />

als ein geschichtliches Monument.<br />

Und zu uns Einsprechern: Wir sind zu spät<br />

auf den Fall der Niederhüniger Linde aufmerksam<br />

gemacht worden. Dass wir<br />

rechtlich wenig Chancen haben, ist uns<br />

bewusst gewesen. Wir wollten die gewonnene<br />

Zeit dazu nutzen, die Gemeinde für<br />

ein besseres Projekt zu gewinnen. Doch<br />

um nach aussen Erfolg zu haben, hätte die<br />

innere Kommunikation besser funktionieren<br />

müssen.<br />

Heimat<br />

Eine einmalige Linde wird gefällt und eine<br />

kleine Ersatzlinde wird gepflanzt, in der<br />

Meinung, damit ein Stück Heimat hinüberretten<br />

zu können. Einige Niederhüniger<br />

wollen mit dem Holz der Linde Erinnerungsplaketten<br />

schnitzen. Verzweifelte<br />

Versuche, sich im Nachhinein gegen die<br />

wachsende Heimatlosigkeit aufzubäumen.<br />

Doch wie wäre es, diese Energie für einen<br />

effektiven Hochwasserschutz am Stampfigraben<br />

einzusetzen? Und wieviel Heimat<br />

könnte gewonnen werden, wenn nur<br />

noch mit 30 oder gar 20 km/h um die<br />

Dorflinde gekurvt würde? Und dann sollte<br />

die Vitalität der Linden nicht unterschätzt<br />

werden. Sie werden nicht nur alt, sondern<br />

altern auch mit immer wieder erstaunlicher,<br />

jugendlicher Frische; so auch die Linde<br />

von Niederhünigen. Mit dem richtigen<br />

Pflegeschnitt ist es nicht ausgeschlossen,<br />

dass sie noch 100 Jahre lang leben könnte.<br />

Zeit genug, damit die jetzt gepflanzte Ersatzlinde<br />

eine ehrwürdige Nachfolgerin<br />

sein wird.<br />

Felix Naef ist Landschaftsarchitekt und<br />

passionierter Baumliebhaber. Er ist Inhaber<br />

von Naef Landschaftsarchitekten in Brugg,<br />

wohnt in Oberflachs und pflanzt vielerorts<br />

Bäume und Baumkapellen.<br />

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