FOKUS LINN
FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019
FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019
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TIEFENLAGER<br />
Kohle unter dem Endlager:<br />
Geht das?<br />
Nukleare Entsorgung im Bözberg.<br />
Text Dr. André Lambert<br />
Bohrt der Heimwerker in seiner Wohnung<br />
ungewollt eine im Mauerwerk verborgene<br />
Wasserleitung an, ist das zwar ärgerlich.<br />
Treibt hingegen eine Erdöl-, Erdgas- oder<br />
Geothermie-Explorationsfirma ihre Sondierbohrung<br />
durch ein Atom-Endlager im<br />
Boden, ist dies fatal. Daher sind nutzbare<br />
Ressourcen im Untergrund von potenziellen<br />
Standortgebieten für Endlager wesentliche<br />
Beurteilungs- bzw. Ausschlusskriterien<br />
bezüglich der Langzeitsicherheit.<br />
Spätestens seit der Nagra-Bohrung Riniken<br />
(1983/84) steht fest, dass das Grundgebirge<br />
unter dem Bözberg weitreichend aus<br />
mehrere Kilometer mächtigen Sedimenten<br />
des Karbon- und Perm-Zeitalters besteht.<br />
In solchen Formationen sind Kohle- und<br />
Der radioaktive Müll im Boden<br />
soll mit einem Gesetzes-Paragraphen<br />
«geschützt» werden –<br />
über Jahrtausende?!<br />
Erdgasvorkommen belegt (Sondierbohrungen<br />
der Nagra und der Erdgasindustrie in<br />
Weiach ZH). Diese Gegebenheiten verschärfen,<br />
zusammen mit dem hohen Geothermiepotenzial<br />
im tiefen Untergrund, den<br />
Nutzungskonflikt mit einem darüber (d.h. in<br />
der Opalinuston-Schicht) installierten atomaren<br />
Endlager. Doch weder Nagra noch<br />
Aufsichtsbehörde (Ensi) sehen darin ein Problem:<br />
Der radioaktive Müll im Boden soll mit<br />
einem Gesetzes-Paragraphen «geschützt»<br />
werden – über Jahrtausende?!<br />
Der Nutzungskonflikt<br />
Das Konzept eines geologischen Endlagers<br />
basiert auf der Annahme, dass hochradioaktive<br />
«Reststoffe» über einige hunderttausend<br />
Jahre im Gesteinsuntergrund hermetisch<br />
eingeschlossen bleiben, bis durch<br />
den naturgegebenen Zerfall ihre Gefährlichkeit<br />
genügend abgeklungen ist. Doch<br />
die Sache birgt einen Widerhaken: Denn in<br />
keiner Weise abwegig ist der Gedanke,<br />
dass in absehbarer oder weiter Zukunft lebende<br />
Gemeinschaften, noch während<br />
der nuklearen Abklingzeit, bohr- oder<br />
bergbautechnisch nach Ressourcen (Geothermie,<br />
Kohle, Gas) suchen oder Möglichkeiten<br />
der CO2- und Kohlenwasserstoff-<br />
Gasspeicherung im Untergrund erkunden<br />
wollen. Dabei könnten sie ungewollt die<br />
Einschlussbarrieren eines atomaren Endlagers<br />
verletzen und den (z.B. im<br />
Opalinuston) eingelagerten radioaktiven<br />
Substanzen den direkten Weg in den Lebensraum<br />
öffnen.<br />
Fehlprognose<br />
Damit hatte die «Fachwelt» im Frühsommer<br />
des Jahres 1983 nicht gerechnet. Im<br />
zürcherischen Weiach, nahe der Aargauer<br />
Kantonsgrenze, bohrt die Nagra. Gemäss<br />
ihrer gewohnt selbstsicheren Prognose<br />
sollte in 990 m Tiefe das Kristalline Grundgebirge<br />
(aus Gneis und Granit) erreicht<br />
sein. Stattdessen fördert das Bohrgerät<br />
weiter hunderte von Metern Sedimentgesteine<br />
(Sande, Silte, Tone). Und in diesen<br />
Sedimenten eingelagert, wiederholt mehrere<br />
metermächtige Kohleschichten von<br />
teilweise ausgezeichneter Qualität. Erst<br />
zweitausend Meter unter der Erdoberfläche<br />
stösst die Bohrung auf Gneis. Viel zu<br />
tief für den vorgesehenen Endlagerbau in<br />
diesem Gestein: So musste die Nagra ihr<br />
Kristallin-Projekt buchstäblich im Sand des<br />
seither so genannten Permokarbontrogs<br />
begraben.<br />
Das räumliche Ausmass der Sedimentgesteine<br />
aus dem Erdzeitalter des Perms und<br />
des Karbons im Untergrund der Nordschweiz<br />
zeigte sich erst nach und nach in<br />
den Aufzeichnungen reflexionsseismischer<br />
Profilaufnahmen als Konturen gewaltiger,<br />
trogförmiger Vertiefungen, welche sich<br />
gegen Ende des Erdaltertums (= Paläozoikum)<br />
entlang tektonischer Verwerfungen<br />
bis mehrere Kilometer tief in den kristallinen<br />
Sockel eingesenkt hatten (Eberhard<br />
2016). Diese Erkenntnisse über die Ausdehnung<br />
der Permokarbon-Formationen<br />
waren neu. Die Nagra hatte es trotz gutgemeintem<br />
Rat unabhängiger Experten<br />
als verzichtbar erachtet, tiefreichende seismische<br />
Messungen vorgängig der millionenschweren<br />
Bohrungen durchzuführen<br />
(Abb. 1 Seite 118).<br />
Damit aber blieb – und bleibt! –<br />
die Frage unbeantwortet, ob in<br />
den tieferen Schichten des<br />
Karbonzeitalters, nicht auch<br />
noch Kohle und Kohlenwasserstoffe<br />
unter dem Bözberg<br />
vorkommen.<br />
So musste die Nagra schliesslich ihre<br />
(ebenfalls auf das kristalline Grundgebirge<br />
fokussierte) Bohrung bei Riniken (1983/84)<br />
in 1800 m Tiefe abbrechen, mitten in den<br />
kilometermächtigen Perm-Sedimenten<br />
(Abb. 2 Seite 119). Damit aber blieb – und<br />
bleibt! – die Frage unbeantwortet, ob in<br />
den tieferen Schichten des Karbon-Zeitalters,<br />
nicht auch noch Kohle und Kohlenwasserstoffe<br />
unter dem Bözberg vorkommen.<br />
Diese Frage rückte prompt in den<br />
Fokus, nachdem die Nagra, nicht zuletzt<br />
aufgrund der Ergebnisse der Bohrung Riniken,<br />
das Sedimentgestein «Opalinuston»<br />
als möglicherweise geeignetes Surrogat<br />
für ihr gescheitertes Kristallinprojekt in die<br />
engere Wahl gezogen hatte. Denn Projekte<br />
für geologische Endlager über potenziell<br />
nutzbaren Rohstoff-Ressourcen werfen<br />
Fragen bezüglich Interessenkonflikten<br />
und damit einhergehenden Langzeitrisiken<br />
auf.<br />
Ressourcen im Untergrund der Nordschweiz:<br />
Konsequenzen für Endlagerprojekte<br />
Die Permokarbontröge erstrecken sich, soweit<br />
bekannt, mit etlichen Verzweigungen<br />
räumlich verbreitet durch den tiefen Untergrund<br />
der Nordschweiz (Eberhard 2016,<br />
Abb. 6 und 7). Sie gelten aufgrund bisheriger<br />
Erkundungsergebnisse als Regionen mit<br />
hohem Potenzial für das Vorkommen und<br />
die zukünftige Nutzung von Kohle und Kohlenwasserstoffen.<br />
Zudem stehen die potenziell<br />
Thermalwasser führenden Randstörungen<br />
der Tröge als bevorzugte Zielgebiete<br />
möglicher Nutzung von geothermischer<br />
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