FOKUS LINN
FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019
FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019
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KULTUR<br />
Bild Stapferhaus / Anita Affentranger<br />
Ausstellung «Fake»<br />
(Stapferhaus):<br />
Wer ist so mutig und<br />
unterzieht sich im Labor<br />
für Lügenerkennung<br />
dem Lügendetektortest?<br />
«Die Wahrheit braucht dich!»<br />
Hans Wahr, der Chefbeamte des Amts<br />
höchst persönlich, erwartet uns bereits.<br />
Milde lächelnd blickt er von einer<br />
grossen Leinwand auf uns herab. Und<br />
dann sind wir ihm für knappe 10 Minuten<br />
ausgeliefert. «Jeder von uns lügt in<br />
unseren Breiten rund 200 Mal pro<br />
Tag», knallt er uns um die Ohren. Die<br />
Lüge sei vor allem deshalb ein Problem,<br />
weil sie das Vertrauen zueinander<br />
belaste. Sie dürfe nicht grenzenlos<br />
sein, denn ohne Wahrheit würden wir<br />
ganz sicher jede Orientierung und jeden<br />
Zusammenhalt verlieren.<br />
«Moment!», möchte ich die Ausführungen<br />
des Chefbeamten unterbrechen.<br />
«Braucht nun die Wahrheit uns<br />
oder brauchen nicht vielmehr wir die<br />
Wahrheit?» Doch Hans Wahr schenkt<br />
mir keine Beachtung und fährt unbeirrt<br />
mit seiner Rede fort. Wir müssten<br />
dem Amt helfen, die Lügen zu erkunden,<br />
einzuschätzen und zu bewerten.<br />
Täten wir dies, würde das Amt ein Bild<br />
davon erhalten, was wir in unserer Gesellschaft<br />
für wahr halten und wie wir<br />
mit den Lügen von heute und morgen<br />
umgehen wollen.<br />
Nun dürfen wir zwar keine Fragen stellen,<br />
aber mit Zuhören allein kommen wir<br />
auch nicht davon. Vielmehr muss jeder<br />
von uns unter den Augen aller Farbe bekennen.<br />
Oder ungehemmt lügen. Irgendwann<br />
müssen die 200 täglichen Lügen<br />
pro Person ja schliesslich erzählt<br />
werden. «Denken Sie dran: Die Wahrheit<br />
braucht dich!», schärft uns Hans Wahr<br />
nochmals ein, dann werden wir in die<br />
knallgelben Korridore des Amts entlassen.<br />
Knallgelb. Ein Zufall? Wohl kaum.<br />
Immerhin ist Gelb nicht nur die Farbe der<br />
Post und damit der Mutter aller Ämter<br />
schlechthin (jedenfalls für alle, die die<br />
legendäre Nummer von Emil als Postbeamter<br />
kennen), des Optimismus und der<br />
Lebensfreude, sondern Gelb steht auch<br />
für Wachheit und Klarheit. Im Zusammenhang<br />
von Wahrheit und Lüge kann<br />
man beides zweifellos gut gebrauchen.<br />
Nicht von ungefähr sagt der Volksmund:<br />
«Klug ist, wer nur die Hälfte von dem<br />
glaubt, was er hört. Noch klüger, wer erkennt,<br />
welche Hälfte die richtige ist.»<br />
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