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FOKUS LINN

FOKUS LINN Nr. 5 – Jubiläumsausgabe Mai 2019

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Gemeindefusionen – ein Gewinn?<br />

Prof. Dr. Christoph Schaltegger, Dozent an der Uni Luzern, sprach auf Einladung der<br />

FDP Bezirkspartei Brugg im Gasthof Vierlinden zum aktuellen Thema «Fiskalische<br />

Effekte von Gemeindefusionen in der Schweiz». Sein Fazit aufgrund umfangreicher<br />

Untersuchungen ist ernüchternd: Es resultieren weder wesentliche Effizienzverbesserungen<br />

noch signifikante Kosteneinsparungen.<br />

Text Geri Hirt<br />

IDENTITÄT<br />

Die Kantone als eigentliche<br />

Fusionstreiber schaffen jedoch<br />

mit finanziellen Sonderbeiträgen<br />

Lockvogel-Anreize, die bei vielen<br />

Stimmberechtigten verfangen.<br />

Fusionen sind in der Schweiz, wenn auch<br />

nicht allgemein beliebt, so doch im Trend.<br />

Allein 2014 sind 56 Gemeinden verschwunden.<br />

Als wesentliche Gründe werden<br />

im Vorfeld einer Fusion ökonomische<br />

Argumente wie Effizienzsteigerung, erhöhte<br />

Produktivität durch Spezialisierung,<br />

tieferer Steuerfuss, gemeinsame Nutzung<br />

von Gebäuden, Mengenrabatt im Einkauf<br />

angeführt. Auf der andern Seite sprechen<br />

eine ganze Anzahl von Gründen für steigende<br />

Durchschnittskosten pro Einwohner,<br />

also gegen eine Fusion: Höhere Managementkosten,<br />

höhere Personalkosten<br />

durch Professionalisierung, Anpassung des<br />

Leistungsangebots nach oben, Reduktion<br />

des Vergleichswettbewerbs unter den<br />

Gemeinden.<br />

Befragungen von Gemeindeschreibern, die<br />

Politologe Andreas Ladner, Professor an<br />

der Uni Lausanne, durchgeführt hat, zeigen<br />

ein positives Bild. So sehen die Gemeindeschreiber<br />

in Fusionen insbesondere<br />

eine Anpassung der Strukturen, eine Professionalisierung,<br />

Zunahme der Leistungsqualität<br />

und des Leistungsangebots sowie<br />

eine Verbesserung der finanziellen Lage.<br />

Eine Studie der Politologen Reto Steiner<br />

und Claire Kaiser aus dem Jahr 2017<br />

kommt jedoch zum Schluss, dass Gemeindefusionen<br />

weder Auswirkungen auf den<br />

Investitionsanteil noch auf den Selbstfinanzierungsgrad<br />

oder den Bruttoverschuldungsanteil<br />

haben. Dieses Fazit ziehen die<br />

Experten nach der Analyse von 33 Fusionen<br />

zwischen 1998 und 2009.<br />

Die Fragen, welche die Forscher umtreiben,<br />

sind insbesondere jene nach der Erhöhung<br />

der Effizienz bei der Bereitstellung öffentli-<br />

cher Güter sowie die Verbesserung der finanziellen<br />

Lage fusionierter Gemeinden.<br />

Professor Schaltegger hat in einer Studie<br />

zwischen 2001 und 2014 fusionierte und<br />

nicht fusionierte Gemeinden mit Faktoren<br />

wie ähnliche Gemeindegrösse, vergleichbare<br />

Ausgaben, Verschuldung, Steuerfuss,<br />

Bevölkerungswachstum, Durchschnittseinkommen,<br />

Bevölkerungsdichte und Sprache<br />

untersucht und verglichen.<br />

Ernüchternde Resultate<br />

Die Vergleiche zeigen in verschiedenen<br />

Verwaltungsbereichen keine signifikanten<br />

Auswirkungen. Die Gesamtausgaben je<br />

Einwohner verliefen im beobachteten Zeitraum<br />

parallel; die nicht fusionierten Gemeinden<br />

wiesen etwas geringere Gesamtausgaben<br />

aus. Die Verwaltungskosten<br />

reduzierten sich bei fusionierten Gemeinden<br />

um läppische 40 Franken pro Einwohner.<br />

Die Bildungsausgaben zeigten in fusionierten<br />

Gemeinden ebenfalls keine<br />

signifikanten Spareffekte. Im Bereich Gesundheits-<br />

und Sozialausgaben je Einwohner<br />

waren die nicht fusionierten Gemeinden<br />

leicht im Vorteil.<br />

Prof. Schaltegger fasste das Resultat wie<br />

folgt zusammen: Fusionen haben keine<br />

wesentlichen Auswirkungen auf die Gemeindeausgaben.<br />

Als möglichen Grund<br />

führt er bessere öffentliche Leistungen zu<br />

gleichbleibenden Kosten an, setzt jedoch<br />

ein Fragezeichen hinter diese Aussage, da<br />

die Qualität schwer messbar ist. Die Hoffnung<br />

vieler «Fusionisten» auf höhere Immobilienpreise<br />

und ein höheres Wachstum<br />

der Wohnbevölkerung erweist sich als<br />

falsch. Sowohl die Haus- als auch die Mietpreise<br />

entwickelten sich bei nicht fusionierten<br />

Gemeinden sogar auf einem leicht höheren<br />

Niveau. Die Nettozuwanderung und<br />

das Bevölkerungswachstum verliefen im<br />

selben Zeitraum in den Vergleichsgemeinden<br />

auf praktisch gleichem Niveau parallel.<br />

Die Nettoverschuldung, die aufgrund von<br />

Investitionen naturgemäss Ausschläge<br />

nach oben aufweist, spricht eher gegen<br />

eine Fusion. Die fusionierten Gemeinden,<br />

die schon vor der Fusion einen leicht tiefe-<br />

Die Hoffnung vieler «Fusionisten»<br />

auf höhere Immobilienpreise<br />

und ein höheres Wachstum der<br />

Wohnbevölkerung erweist sich<br />

als falsch.<br />

ren Steuerfuss aufwiesen, konnten diesen<br />

im Durchschnitt noch leicht ausbauen.<br />

Auf einen kurzen Nenner gebracht, kommt<br />

die Studie zum Schluss, dass die Verwaltungsausgaben<br />

primär bei Fusionen von<br />

mehr als zwei Gemeinden etwas tiefer<br />

ausfallen, sofern es sich um ähnlich grosse<br />

Gemeinden handelt. Kein Effekt erfolgt<br />

bei Annexion einer kleinen Gemeinde<br />

durch eine grosse Gemeinde. In allen andern<br />

Bereichen konnte Schaltegger keine<br />

signifikanten Effekte oder Unterschiede<br />

ausmachen.<br />

Prof. Christoph Schaltegger hat festgestellt,<br />

dass viele Versprechen, die im Vorfeld<br />

der Fusion gemacht werden, nicht eingehalten<br />

werden können. Die Kantone als<br />

eigentliche Fusionstreiber schaffen jedoch<br />

mit finanziellen Sonderbeiträgen Lockvogel-Anreize,<br />

die bei vielen Stimmberechtigten<br />

verfangen. Für Prof. Schaltegger ist bei<br />

fusionierten Gemeinden ganz klar ein<br />

Prof. Dr. rer pol. Christoph A. Schaltegger,<br />

Professor für Politische Ökonomie,<br />

Uni Luzern.<br />

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