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Berliner Zeitung 17.08.2019

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2 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 190 · 1 7./18. August 2019<br />

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Report<br />

Einmal zum<br />

Mitmachen, bitte!<br />

Köpenick hat endlich einen Fußball-Erstligisten. Und für viele Unioner ist es, als würde<br />

eine Reise zu Ende gehen. Dabei geht es am Sonntag erst richtig los. Im Bundesliga-<br />

Reisegepäck befinden sich ein paar Fragen. Etwa diese: Ist dieser Klub nur besonders?<br />

Oder muss er unbedingt anders sein? Und wie viele Legenden verträgt ein Verein?<br />

Gewiss ist: Durch die Kreativität, die Hilfsbereitschaft und den Elan der Fans ist Union<br />

besonders und anders geworden. Beobachtungen im Mitmachklub<br />

Text: Paul Linke; Illustration: Matti Michalke<br />

Wumme hat manchmal<br />

diese Träume. Dann<br />

steht er vor dem Stadion,<br />

kramt in der Tasche<br />

herum, merkt plötzlich, dass er<br />

seine Arbeitskarte vergessen hat –er<br />

kommt nicht rein. Selbst in Träumen<br />

machen Ordner keine Ausnahmen,<br />

nicht mal für einen wieWumme,den<br />

im Stadion fast jeder kennt.<br />

Oder er hat seine Musik nicht dabei,<br />

die Playlist, die er stundenlang<br />

für dieses Heimspiel vorbereitet hat;<br />

zu Hause am Computer,MP3, legaler<br />

Download, hochcodiert, Bands wie<br />

Kasabian, Deichkind, Motörhead,<br />

aber bloß keinen Mainstream –und<br />

am Ende wie immer die Klubhymne<br />

von Nina Hagen: „Den Sieg vor Augen,<br />

den Blick weit nach vorn,ziehen<br />

wir gemeinsam durch die Nation.“<br />

Oder irgendwas mit der Musikanlage<br />

geht schief, und dann gucken<br />

alle Fans nach oben, unters Stadiondach,<br />

zu seinem Arbeitsplatz, wo<br />

Wumme, der Stadion-DJ des 1. FC<br />

Union Berlin, nur ein paar Klicks und<br />

Knöpfe braucht, um ein unverwechselbaresVorspiel<br />

im deutschen Profifußball<br />

zu starten. Gitarrenriffs und<br />

griffige Melodien statt Moderation<br />

und maue Gewinnspiele.<br />

Undhier noch ein Hinweis für alle<br />

Unioner, die es noch nicht wussten:<br />

Wumme erfüllt auch Songwünsche,<br />

die ihn über Mail, Facebook, Twitter<br />

erreichen –aber nicht alle: „Wenn<br />

sich einer Helene Fischer wünscht,<br />

die kommt bei mir nicht.“<br />

Wenn sich die Stadiontoreöffnen<br />

Wumme trägt Jutebeutel, Kapuzenpulli,<br />

Ohrring, die Haarezur Seite gelegt<br />

und ein grünes Festivalbändchen<br />

am Arm. Er war Anfang August<br />

beim „Rocken am Brocken“, er sagt,<br />

da hole er sich Inspiration. Undjetzt<br />

holt sich Wumme erst mal ein Malzbier<br />

im „Besser Späti als nie“ am<br />

Schlesischen TorinKreuzberg.<br />

An diesem Sonntag wird erwieder<br />

nach Köpenick rausfahren. Um<br />

sechs Uhr abends spielt Union daheim<br />

gegen RB Leipzig, es ist das<br />

erste Bundesligaspiel der Klubgeschichte<br />

und für den ersten Bundes-<br />

„Ich habe nicht<br />

an den Aufstieg<br />

geglaubt,<br />

aus einer<br />

Schutzhaltung<br />

heraus.<br />

Ich wollte nicht zu<br />

enttäuscht sein,<br />

wenn es nicht<br />

klappt.“<br />

Wumme alias Sven König<br />

arbeitet bei einer Baufirma und<br />

beschallt seit zwölf Jahren<br />

die Zuschauer in der Alten Försterei.<br />

ligasong, den akustischen Saisonstart,<br />

ist Wumme zuständig. Wenn<br />

die Stadiontore 120 Minuten vor<br />

dem Anpfiff öffnen, die Ordner ihre<br />

Stellung beziehen und die Schiedsrichter<br />

die Netzeauf Balldurchlässigkeit<br />

prüfen, drückt er auf Play.<br />

Einmal, erinnertsich Wumme am<br />

Späti, ist ihm eineWasserflasche aufs<br />

Mischpult gekippt. Die Lautstärke<br />

ging immer wieder von selbst rauf,<br />

von selbst runter, das war bei einem<br />

Testspiel in der Alten Försterei; jemand<br />

brachte irgendwann doch<br />

noch ein Ersatzgerät in seinen DJ-<br />

Container auf der Gegengeraden.<br />

Unddann, aber das ist nun schon<br />

wirklich lange her, graue Oberligazeiten,<br />

da hat Wumme einige Songs<br />

doppelt gespielt und es nicht einmal<br />

gemerkt, zu betrunken. Er sagt:<br />

„Fußball ohne Bier zu gucken, das<br />

war früher undenkbar.“<br />

Früher war nicht alles schlechter.<br />

Aber heute ist vieles besser. Köpenick<br />

hat endlich einen Erstligisten.<br />

Und für viele Unioner ist es, als<br />

würde eine Reise zu Ende gehen. Dabei<br />

geht es jetzt erst richtig los, neue<br />

Reisestrapazen sind wohl zu erwarten.<br />

Und imBundesligareisegepäck<br />

schleppen sie die Frage mit sich: Ist<br />

dieser Klub nur besonders, oder<br />

muss er unbedingt anders sein?<br />

Wumme heißt eigentlich Sven<br />

König, ist 29, arbeitet als Fahrer für<br />

eine Baufirma. Seit zwölf Jahren beschallt<br />

er das Stadionvolk in Köpenick;<br />

er ist da so reingerutscht, ist mit<br />

der Aufgabe gewachsen wie der gesamte<br />

Verein größer und professioneller<br />

geworden ist mit der Zeit.<br />

Ohne Menschen wie Wumme würde<br />

er seine Besonderheit verlieren.<br />

Union hat ein neues Stadion gebaut<br />

vor zehn Jahren, beschäftigt<br />

Stadiontechniker, nicht nur die Musikanlage<br />

wurde erneuert. Wumme<br />

kann sich noch erinnern, wie sie in<br />

der Pause herumtelefonieren mussten,<br />

um die Halbzeitstände aus den<br />

anderen Stadien durchsagen zu können;<br />

wie einer aus dem Container<br />

runtergehen musste, um die Auswechselpläne<br />

des Trainers zu erfahren.<br />

DieWelt funktionierte analog.<br />

Heute muss Wumme nicht mehr<br />

eine CD mit zwanzig Songs brennen;<br />

er bringt einfach seinen Laptop mit,<br />

stöpselt alles ein, lädt die Playlist ins<br />

Programm, raucht noch schnell eine<br />

Zigarette gegen die Nervosität. Es ist<br />

die Ruhe vordem Ansturm.<br />

Undweiß er schon, was er spielen<br />

wird amSonntag? „Ich habe mir die<br />

ersten Gedanken und Ideen zusammengesammelt.<br />

Aber ich bin gar<br />

nicht so der Freund vonIdeengestaltung<br />

oder Eventthemen. Ich werde,<br />

ehrlich gesagt, nichts besonderes<br />

draus machen, ich werde einfach<br />

mein Ding durchziehen wie bisher.“<br />

DerSchweige-Plan<br />

Vor knapp drei Monaten ist Union<br />

aufgestiegen –und nichts war mehr<br />

wie bisher. Nach dem Abpfiff des<br />

zweiten Relegationsspiels gegen den<br />

VfB Stuttgarteroberten die Fans den<br />

Platz. Sie schrien, sangen, tanzten,<br />

sie weinten, herzten sich und rissen<br />

Rasenstücke aus dem Boden; zwei<br />

Tage später gab es einen Empfang im<br />

Roten Rathaus,fand die große Jubelregatta<br />

auf der Spreestatt.<br />

Berlins Regierender Bürgermeister<br />

Michael Müller sprach vonWirtschaftsunternehmen,<br />

die auch Fußball<br />

spielen: „Und bei Ihnen ist es<br />

umgekehrt.“ Das war eine sehr gewagte<br />

These für die Andersartigkeit<br />

des Vereins und zugleich die erste<br />

Lobeshymne aus der Bundesligaplaylist,<br />

die fortan außerhalb von<br />

Köpenick gespielt werden sollte.<br />

Dann kam der Sommer.Das Warten.<br />

DieVorfreude der Fans. Die Bekanntgabe<br />

einer umstrittenen Immobilienfirma<br />

als neuer Hauptsponsor.All<br />

dieTransfergerüchte.Elf Spielerverpflichtungen.<br />

Und mit dem<br />

Erscheinen des Spielkalenders die<br />

nächste Debatte.<br />

Union wollte so gern mit einem<br />

Heimspiel die Saison beginnen,<br />

doch was der Verein auf keinen Fall<br />

wollte: Fußballgäste aus Leipzig<br />

empfangen, also einen Klub, den sie<br />

nicht nur in Köpenick als künstliches<br />

Konstrukt betrachten. RB gilt als ein<br />

Synonym für Kommerzialisierung,<br />

die absurden Millionenspielchen<br />

der Fußballmoderne, als willkommenes<br />

Feindbild für viele Traditionalisten<br />

und Stadionromantiker.<br />

Auf dem Kleintransporter, den<br />

Unions Fanbetreuer für ihreFahrten<br />

nutzen, prangt ein Schriftzug: „Wir<br />

verkaufen unsere Seele. Aber nicht<br />

an jeden!“ Daneben eine platt getretene<br />

Red-Bull-Dose.RBpasst zur Köpenicker<br />

Fußballkultur wie Helene<br />

Fischer in Wummes Plattenregal.<br />

Vor vier Jahren, damals noch in<br />

der Zweiten Liga, als beide Klubs<br />

letztmals in der Alten Försterei aufeinandertrafen,<br />

hatten Union-Ultras<br />

ein paar selbst gebastelte Botschaften<br />

auf der Waldseite ausgebreitet.<br />

„Das höchste Gut der Fans ist die<br />

Selbstbestimmung!“ stand da in fetten<br />

Lettern. Etwas kleiner:„Kommunikation<br />

auf Augenhöhe“. Oder:<br />

„Kreativen Spielraum lassen“.<br />

Es war klar,dass sie auch diesmal,<br />

vor einer viel größeren Öffentlichkeit,<br />

ein Protestzeichen setzen werden<br />

gegen einen Klub, der seine Basis<br />

als passive Konsumenten versteht,<br />

die sich nicht einmischen sollen<br />

in die Entscheidungsfindung der<br />

Spitzenfunktionäre.<br />

Voreiner Woche,nach vielen Diskussionen<br />

und mit der Unterstützung<br />

der meisten Fanclubs, gab<br />

dann das „Wuhlesyndikat“ bekannt,<br />

die ersten fünfzehn Bundesligaminuten<br />

im kollektiven Schweigen verbringen<br />

zu wollen. In einer Mitteilung<br />

der nicht nur im Block tonangebenden<br />

Ultra-Gruppierung heißt es:<br />

„Es gilt, den Protest weiter konsequent<br />

ins Stadion zu tragen und zu<br />

zeigen, dass wir mit der Idee vom<br />

Fußball in Leipzig nicht einverstanden<br />

sind.“ Neben dem stillen Widerstand<br />

wird eseine „optische Aktion“<br />

als „Zeichen des Unmuts geben“.<br />

Torwart Rafal Gikiewicz meldete<br />

sich zu Wort,gab sich als Gegner des<br />

Stimmungsboykotts zu erkennen,<br />

auf Instagram schrieb er:„Wir Spieler,<br />

zusammen mit euch Fans, müssen<br />

unserem Gegner zeigen, dass das<br />

unser Platz ist, unser Haus.“ Trainer<br />

UrsFischer sagte: „Das ist ein komisches<br />

Gefühl. Normalerweise ist das<br />

Stadion ein Tollhaus.“<br />

Öffentliche Fankritik ist selten in<br />

Köpenick, ein möglichst breiter Konsens<br />

erwünscht. Doch bevor ein größerer<br />

Riss zwischen Mannschaft und<br />

Fanszene entstehen konnte, versprach<br />

Klubpräsident Dirk Zingler in<br />

einer Sondersendung auf Radioeins:<br />

„Die Fans haben den Verein auf ihrer<br />

Seite.“ Als Bauunternehmer weiß<br />

Zingler bestens,wie man Risse kittet.<br />

Zuvor hatte er schon gewarnt: „Ich<br />

habe ein bisschen Angst davor, dass<br />

um uns zu viele Themen gesponnen<br />

werden, die weniger mit Sportzutun<br />

haben. Wirtun uns selbst keinen Gefallen<br />

und sollten darauf achten,<br />

dass uns von außen kein Heiligenschein<br />

aufgesetzt wird. Also,wir sind<br />

nicht wirklich so viel anders als andere<br />

Profivereine.“ Ein rhetorischer<br />

Bremsvorgang war das,ein Stoppzeichen<br />

für die beschleunigende Legendenbildung,<br />

so musste man das<br />

verstehen.<br />

Neulinge stehen unter besonderer<br />

Beobachtung, das ist in der Bundesliga<br />

nicht anders. Zuletzt mussten<br />

das der SC Paderborn, Greuther<br />

Fürth oder der Darmstadt 98 erfahren.<br />

Sie waren die Zwerge, die sich<br />

mit ihren bescheidenen Mitteln,<br />

baufälligen Stadien und Kabinentrakten<br />

dem Fußballgigantismus<br />

entgegenstellten. In den Vorberichten<br />

hieß es,diese Klubs seien noch so<br />

authentisch, dortwürde es nach Bier<br />

und Bratwurst riechen –als wäredas<br />

nicht überall der Fall.<br />

Vermarkten und verkaufen<br />

Aber so ging nun mal die Erzählung,<br />

weil sich Größenunterschiede und<br />

Gegensätze am besten vermarkten<br />

und verkaufen lassen. Dabei war nie<br />

so richtig klar,was echt war an dieser<br />

Erzählung, was nur gewollt und von<br />

außen konstruiert.<br />

Jetzt ist da plötzlich Union in der<br />

Bundesliga, und die Geschichtenerzähler<br />

sind begeistert. Ziehen<br />

Schubladen auf, nehmen Stempel<br />

heraus: Kult-Klub, anders als die anderen,<br />

ein bisschen der FC St. Pauli<br />

des Ostens –und dann auch noch<br />

dieses größtmögliche Gegensatzduell<br />

mit Leipzig zum Ligastart.

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