Down-Syndrom und Homosexualität - Deutsches Down-Syndrom ...
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ETHIK<br />
Spätabtreibung – Eine grauenvolle Realität<br />
Grenzerfahrung einer Mutter<br />
Brigitte Sommer<br />
„Niemand kann den Schmerz einer Mutter<br />
teilen, das eigene Kind im Mutterleib<br />
getötet zu haben“... dieser erschütternde<br />
Satz geht mir nicht mehr aus dem<br />
Kopf, als ich auf dem Weg zu Marianne<br />
Neeb bin, einer Frau, die ganz in meiner<br />
Nähe wohnt, die ich merkwürdigerweise<br />
aber nie kennengelernt habe <strong>und</strong><br />
über die ich eine Geschichte schreiben<br />
soll. Als ich mit ihr telefoniert habe, um<br />
einen Fototermin auszumachen, hat sie<br />
diesen Satz zu mir gesagt.<br />
Doch, ich kann ihren Schmerz nachvollziehen<br />
<strong>und</strong> ich verurteile ihr Verhalten<br />
nicht. Vor neun Jahren hätte ich an<br />
ihrer Stelle sein können: Da war gerade<br />
meine Tochter geboren. Sie hat das<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>. Ich hatte mich damals<br />
ganz bewusst gegen eine Fruchtwasseruntersuchung<br />
entschieden, weil ich es<br />
nicht übers Herz gebracht hätte, ein<br />
Kind abzutreiben, dessen Bewegungen<br />
ich bereits im Bauch spüren konnte.<br />
Außerdem ging ich auch davon aus,<br />
„das“ passiert dir nicht ... das passiert<br />
nur anderen ... Doch „es passierte“ mir!<br />
In den ersten vier Wochen nach der<br />
Diagnose war ich völlig außer mir <strong>und</strong><br />
wollte mein Kind nicht annehmen.<br />
Ringsum nur betroffene Gesichter. Unmögliche<br />
Worte fanden den Weg aus<br />
meinem M<strong>und</strong>, die selbst die Mitglieder<br />
einer <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>-Selbsthilfegruppe<br />
erschütterten. Doch im Gegensatz zu<br />
Marianne bekam ich die richtige Hilfe:<br />
seitens meiner Tante Elfriede. Sie war<br />
als einzige unerschütterlich begeistert<br />
von meiner Tochter Fiona <strong>und</strong> erkannte<br />
meinen seelischen Ausnahmezustand:<br />
„Brigitte, du bist nicht du selbst“,<br />
höre ich sie auf dem Weg zu Marianne<br />
wieder ihre Worte, „ich bin mir sicher,<br />
du wirst dein Kind behalten <strong>und</strong> ich<br />
werde dir helfen.“<br />
Und sie hatte Recht: Ich liebe meine<br />
Tochter Fiona über alles. Die Dankbarkeit<br />
meiner Tante gegenüber ist nicht in<br />
Worte zu fassen.<br />
Marianne Neeb hatte dieses Glück<br />
leider nicht. Sie hatte keine „Elfriede“,<br />
die erkannt hat, dass man kurz nach ei-<br />
44 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 53, Sept. 2006<br />
ner solchen Diagnose zu keiner weit reichenden<br />
Entscheidung in der Lage ist.<br />
Im Alter von 43 Jahren wurde Marianne<br />
Neeb schwanger. „Zwar ungeplant,<br />
aber dennoch freuten ich, mein Mann<br />
Thomas <strong>und</strong> unsere beiden Söhne (neun<br />
<strong>und</strong> elf Jahre) sich über den Nachzügler“,<br />
erzählt sie. Lysander sollte er<br />
heißen.<br />
Ein Frauenarzt registrierte Unregelmäßigkeiten<br />
<strong>und</strong> drängte, bedingt durch<br />
das altersmäßig erhöhte Risiko, ein behindertes<br />
Kind zur Welt zu bringen, zu<br />
einer Fruchtwasseruntersuchung. „Mit<br />
großer Angst ließ ich in meiner 17.<br />
Schwangerschaftswoche, Mitte Januar,<br />
die Fruchtwasseruntersuchung über<br />
mich ergehen. Die zweiwöchige Wartezeit<br />
auf das Diagnoseergebnis, zwischen<br />
Hoffen <strong>und</strong> Bangen, war nur sehr<br />
schwer zu ertragen“, erklärt Marianne.<br />
Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter<br />
mit der Bitte um Rückruf bestätigte<br />
die schlimmen Befürchtungen.<br />
Schon beim Wählen schwang die Angst<br />
mit <strong>und</strong> kurze Zeit später stand der Bef<strong>und</strong><br />
„Trisomie 21“, <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> –<br />
ein behindertes Kind – fest. Die Hoffnung<br />
auf ein ges<strong>und</strong>es Kind war in diesem<br />
Moment wie eine Seifenblase geplatzt.<br />
Die vorher schon angespannte Situation<br />
entwickelte sich mit einem Mal<br />
zu einer die ganze Familie betreffenden<br />
Infobox:<br />
Die Diagnose „<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>“ gilt<br />
als der klassische Gr<strong>und</strong> für einen<br />
Schwangerschaftsabbruch bzw. für<br />
eine Spätabtreibung aus eugenischen<br />
Gründen. Normalerweise gilt<br />
durch den Paragrafen 218 eine Fristenlösung.<br />
Doch im Zusatz erlaubt<br />
der Paragraf 218a seit 1995 eine<br />
Abtreibung <strong>und</strong> Tötung behinderter<br />
Kinder bis zum Geburtstermin.<br />
„Niemand kann den<br />
Schmerz einer Mutter<br />
teilen, das eigene Kind<br />
im Mutterleib getötet<br />
zu haben.“<br />
Schicksalsfrage. „Warum wir?“ „Kann<br />
man sich irren?“ „Was sollen wir jetzt<br />
tun?“ In der Not fragten Marianne <strong>und</strong><br />
ihr Mann Thomas Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte,<br />
was sie an ihrer Stelle machen<br />
würden. Fast alle rieten davon ab, sich<br />
mit einem behinderten Kind ein Leben<br />
lang zu belasten, die Folgen wären nicht<br />
absehbar, niemand könne die Schwere<br />
einer solchen Behinderung feststellen,<br />
aber die Familie sollte mit dem<br />
Schlimmsten rechnen. „Immer wieder<br />
wurde darauf hingewiesen, dass mit einem<br />
solchen Kind ein Leben immer am<br />
gesellschaftlichen Rand verb<strong>und</strong>en sei,<br />
die Familie würde ausgegrenzt, für die<br />
anderen Mitglieder der Familie wäre<br />
keine Zeit mehr vorhanden.<br />
Aber ich spürte doch schon die Bewegungen<br />
meines Kindes im Bauch. Es<br />
gab aber auch Stimmen, die sagten:<br />
„Kinder sind ein Geschenk Gottes, freut<br />
euch darüber.“<br />
Schließlich sahen Marianne <strong>und</strong><br />
Thomas keinen anderen Weg als den<br />
Schritt des Schwangerschaftsabbruchs,<br />
um die Familie zu retten. „Ein folgenschwerer<br />
Irrtum“, erklärt Marianne.<br />
„Eine Bekannte erzählte mir zur gleichen<br />
Zeit von ihrem eigenen Schwangerschaftsabbruch<br />
<strong>und</strong> von dem Anblick<br />
ihres toten Kindes in einer Brechschale.<br />
Ein Bild, das sie nie vergessen würde.<br />
Doch ich war nicht mehr in der Lage,<br />
klar zu denken.“<br />
In der Klinik wurden Marianne <strong>und</strong><br />
ihr Mann Thomas, der sie bei dem<br />
schweren Schritt begleiten wollte, auf<br />
die Abteilung gebracht, die doch nor-