Down-Syndrom und Homosexualität - Deutsches Down-Syndrom ...
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ERFAHRUNGSBERICHT<br />
die Gefahr, dass sie nicht mehr wiederkam,<br />
so groß war. Die Antwort war,<br />
dass wir es erstens satt hatten, immer<br />
wie Dorftrottel hinterher zu laufen – allmählich<br />
konnten wir ja auch kaum<br />
mehr mit Celina Schritt halten, <strong>und</strong><br />
außerdem sollte sie doch selbstständig<br />
werden.<br />
Allein unterwegs will auch heute<br />
noch geplant sein<br />
Celina ist jetzt 16 Jahre <strong>und</strong> fährt nun<br />
sogar mit dem Bus allein nach Münster,<br />
um ihre größere Schwester Mareike zu<br />
besuchen oder abzuholen.<br />
So eine Tour muss genauestens eingeübt<br />
werden: Zuerst das Kind zum Bus<br />
bringen, sie muss sich u.a. die Busnummer<br />
einprägen, in Münster stand dann<br />
Mareike an der Haltestelle <strong>und</strong> holte sie<br />
direkt am Bus ab. Nach vielen Proben<br />
dann alleine zum Bus schicken (heimlich<br />
hinterher schleichen) <strong>und</strong> Mareike<br />
stand in Münster parat. Dann Schritt<br />
drei, Celina ganz alleine losschicken, bei<br />
Mareike Bescheid geben, diese behält<br />
die Uhr im Auge <strong>und</strong> ruft an, sobald Celina<br />
bei ihr ankommt.<br />
Und was war das Mädel stolz, als<br />
sie das alleine geschafft hat – ein großer<br />
Schritt in eine selbstständige Zukunft.<br />
Die Busfahrt in den anderen Nachbarort<br />
zum Praktikum gelang dann auch<br />
nach einer Probezeit von etwa einer Woche.<br />
Celina spricht sehr schlecht. Trotzdem<br />
können wir die notwendigsten Sachen<br />
am Telefon austauschen. Deshalb<br />
gehört heute selbstverständlich ein Handy<br />
zur Ausrüstung.<br />
Läuft Celina immer noch weg?<br />
Läuft Celina, jetzt mit 16 Jahren, noch<br />
weg? Eigentlich wird es immer seltener.<br />
Je mehr wir ihr zutrauen, um so weniger<br />
hat Celina es „nötig“, einfach so<br />
wegzulaufen. Nur wenn sie sich maßlos<br />
langweilt, kann es schon mal vorkommen,<br />
dass sie ohne sich abzumelden in<br />
den Nachbarort fährt, um ihren Bruder<br />
Sören vom Fußballtraining abzuholen,<br />
oder Ähnliches.<br />
Aber das passiert nicht mehr stündlich<br />
wie früher, sondern nur noch ganz<br />
sporadisch. Dafür ist das Weglaufen<br />
jetzt qualitativ hochwertiger, auf dem<br />
Fahrrad ist sie schnell wie der Blitz, sie<br />
kennt sich in der ganzen Gegend prima<br />
aus, hat einen guten Orientierungssinn<br />
<strong>und</strong> wir wissen nicht mehr genau, wo<br />
54 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 53, Sept. 2006<br />
wir sie suchen müssen, können nur hoffen,<br />
dass sie gut wiederkehrt.<br />
Ausflug endet im Polizeirevier<br />
Und manchmal kann auch bei den geübten<br />
<strong>und</strong> erlaubten Ausflügen etwas<br />
schief gehen, wie die folgende Geschichte<br />
zeigt. Dabei muss das gar nicht<br />
unbedingt Celinas Schuld sein. Einen<br />
Schrecken bekommt man trotzdem.<br />
An einem Samstag will Celina wieder<br />
einmal ihre Schwester in Münster<br />
besuchen. Um 9.15 Uhr fährt sie mit<br />
dem Bus los. Das hat sie nun schon öfter<br />
gemacht <strong>und</strong> es ist immer gut gegangen.<br />
Gegen 10 Uhr klingelte dann<br />
mein Handy, ich habe es Gott sei Dank<br />
sogar gehört. „B<strong>und</strong>espolizei, Dienststelle<br />
Münster, kennen Sie eine Celina<br />
oder so ähnlich?“ Ich war völlig von den<br />
Socken, wer ist da? Wen soll ich kennen?<br />
Der nette Beamte erklärte mir,<br />
dass Celina dort sei. Auf meine Nachfrage<br />
hin erklärte er, der Busfahrer habe<br />
sie dort abgeliefert, weil sie am Bahnhof<br />
noch im Bus saß <strong>und</strong> nicht aussteigen<br />
wollte. Nun, das könne ich jetzt<br />
nicht verstehen, sagte ich.<br />
Er erklärte weiter, dass sie wohl zur<br />
passenden Haltestelle das Stoppzeichen<br />
gedrückt hat, der Busfahrer aber niemanden<br />
gesehen hat, der aufgestanden<br />
wäre <strong>und</strong> raus wollte, <strong>und</strong> deshalb weitergefahren<br />
ist. Er habe sich zwar noch<br />
gew<strong>und</strong>ert, aber nun. War wohl einer<br />
unser supereiligen Busfahrer. Celina etwas<br />
langsam, er etwas zu schnell, der<br />
Bus hielt nicht an, die Tür blieb zu.<br />
Bei der Endhaltestelle weigert sich<br />
Celina dann, den Bus zu verlassen, weil<br />
das ja nicht die richtige Stelle ist. Der<br />
Busfahrer fragt bei seinem Unternehmen<br />
an, was zu machen sei, gibt Celina<br />
dann anweisungsgemäß bei der Polizeidienststelle<br />
am Bahnhof ab!<br />
Abgeben trifft die Aktion nicht ganz.<br />
Er hatte da ein laut schimpfendes Fräulein<br />
bei sich: „Ich nix brochen (verbrochen).<br />
Ich nix Polizei! Ich Eissporthalle<br />
(Haltestelle, wo sie aussteigen wollte)!“<br />
Das wiederholte sie wohl ständig <strong>und</strong> es<br />
stimmte ja auch, sie hatte nichts verbrochen,<br />
hätte nur im Bus sitzen bleiben<br />
müssen, um wieder an der Eissporthalle<br />
anzukommen!<br />
Man fragte sie natürlich, wie sie<br />
heißt. Celinas Sprache ist aber sehr<br />
schlecht. Sie zeigte ihren Ausweis, wo<br />
alles drinsteht, Adresse, Telefonnummern<br />
etc. „Oh, Klasse, darf ich den mal<br />
haben?“, fragte der Beamte. „Nein,<br />
meins!“ Nichts zu machen, der Ausweis<br />
wurde direkt wieder in ihren Rucksack<br />
gepackt. Gnädig hat sie dann meine<br />
Handy-Nummer diktiert <strong>und</strong> man hat<br />
einfach mal versucht, ob denn das wohl<br />
stimmen kann. Und siehe da, ich war<br />
am anderen Ende der Leitung.<br />
Also alles abgeklärt, Mareike sollte<br />
Celina dort am Bahnhof abholen. Zwei<br />
Minuten später ging wieder das Handy:<br />
„Können Sie Ihrer Tochter mal sagen,<br />
dass sie bei uns drinnen warten soll, sie<br />
will jetzt vor der Tür auf Mareike warten.“<br />
Also noch einmal mit Celina telefoniert.<br />
Dann hat sie wohl ihren Game-<br />
Boy ausgepackt <strong>und</strong> gespielt, bekam etwas<br />
zu trinken <strong>und</strong> hat noch freigebig<br />
Mini-Schoko-Küsse verteilt, die sie vorsichtshalber<br />
für die Reise eingepackt<br />
hatte.<br />
Die Beamten waren hin <strong>und</strong> weg.<br />
Mareike wurde mit: „Na, das passiert<br />
auch nicht jeden Tag, dass man die kleine<br />
Schwester bei den Bullen abholen<br />
muss“, begrüßt <strong>und</strong> entlassen mit: „Die<br />
darf ruhig mal wiederkommen! Total<br />
gut, wie selbstständig sie ist!“<br />
Mareike oder ich haben nicht einmal<br />
zu hören bekommen, dass wir hätten<br />
besser aufpassen müssen. Die Beamten<br />
hatten dort sehr gut durchschaut, dass<br />
der Busfahrer eigentlich den Bockmist<br />
gebaut hat, <strong>und</strong> waren froh, dass ich<br />
nicht noch Ärger gemacht habe, weil er<br />
es so eilig hatte.<br />
Celina haben wir gelobt, denn sie hat<br />
sich in der Situation total gut verhalten.<br />
Marion Bröker