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Down-Syndrom und Homosexualität - Deutsches Down-Syndrom ...

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malerweise glückliche, werdende Mütter<br />

aufnimmt. „Was folgte, waren fast<br />

zwei Tage unmenschlichen Wartens auf<br />

die Totgeburt des eigenen Kindes.“<br />

Nachdem der Prozess am Morgen des<br />

1. Februar in Gang gesetzt wurde, gab<br />

es kein Zurück mehr. Marianne streichelte<br />

den Bauch mit dem Leben, das sie<br />

jetzt beenden würde. Sie brach in Tränen<br />

aus, aber nahm die Tabletten ein,<br />

die Wehen einsetzen lassen <strong>und</strong> somit<br />

eine Frühgeburt auslösen. In der Regel<br />

überleben die so abgetriebenen Kinder<br />

den Abgang durch den Geburtskanal<br />

nicht. Ärzte kamen <strong>und</strong> gingen, Krankenschwestern<br />

sahen nach Marianne,<br />

doch niemand deutete ihren Zustand<br />

richtig.<br />

Gegen Abend kam der Krankenhausseelsorger<br />

zum Gespräch mit der<br />

völlig aufgelösten Frau. Er eilte aus dem<br />

Krankenzimmer <strong>und</strong> fragte bei den Ärzten<br />

nach, ob der Prozess noch zu stoppen<br />

wäre. Doch es war zu spät.<br />

Erst am Mittag des folgenden Tages,<br />

draußen lag frisch gefallener Schnee,<br />

verlor Marianne ihr Kind. „Alles war<br />

blutverschmiert. Mein Mann rief sogleich<br />

die Schwester. Sie holte eine silberne<br />

Schale <strong>und</strong> legte sie mir unter das<br />

Gesäß. Im Sitzen sollte ich dann kräftig<br />

pressen. Sie drückte gleichzeitig auf<br />

meinen Bauch. Plötzlich flutschte das<br />

Kind in die Schale.“ Die Schwester<br />

nahm es mit, um es später, hergerichtet,<br />

zu bringen.<br />

Nach der Nachuntersuchung wurden<br />

Marianne <strong>und</strong> Thomas erst eine<br />

Mappe mit Fotos des Kindes, einer Sterbeurk<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> einem kleinen Fußabdruck<br />

überreicht. Beide waren völlig<br />

fassungslos. „Die Schwester brachte uns<br />

Lysander zurück. Er lag, bedeckt mit einer<br />

Stoffserviette, in einem Körbchen.<br />

Sie sagte, er sei ein sehr schönes Kind.<br />

Er würde mir ähnlich sehen. Die Krankenschwester<br />

war sehr lieb zu uns.<br />

Ich sah mein Kind, halb bedeckt auf<br />

der Seite liegend. In dem Körbchen waren<br />

noch ein Lorbeerzweig <strong>und</strong> eine<br />

kleine Socke. Es war ein so schönes,<br />

ganz kleines Kind von 22 Zentimetern<br />

<strong>und</strong> 270 Gramm. Ich fing an, Lysander<br />

zu streicheln. Meine Hände waren viel<br />

zu rau für das zarte Geschöpf, doch ich<br />

musste ihn ständig berühren <strong>und</strong> küsste<br />

ihn auf seine weiche Backe. Ich wollte<br />

ihn am liebsten behalten <strong>und</strong> mit nach<br />

Hause nehmen.“<br />

Eine St<strong>und</strong>e verabschiedeten sich<br />

Marianne <strong>und</strong> Thomas allein von dem<br />

Kind. „Jetzt wurde uns erst bewusst:<br />

Wir hatten es getötet.“ Der Seelsorger<br />

versuchte noch, im Gespräch die seelische<br />

Not zu lindern, <strong>und</strong> bestärkte beide<br />

darin, das Kind zu bestatten. Es sollte<br />

einen Platz bekommen, an dem die<br />

Eltern es jederzeit besuchen konnten.<br />

„Nach Hause zurückgekehrt stellt man<br />

erst wirklich fest, dass man zwar auf<br />

vieles vorbereitet wurde, aber nicht auf<br />

den schwarzen Strudel, mit dem man<br />

nach unten gerissen wird. Jetzt erst<br />

wird das Gefühl, das Kind getötet zu haben,<br />

zur Gewissheit“, erinnert sich Marianne.<br />

Neben ersten Therapiebesuchen <strong>und</strong><br />

den Vorbereitungen für ein würdiges<br />

Begräbnis waren es immer wieder die<br />

Tränen <strong>und</strong> die eigene Ohnmacht, die<br />

Marianne einholten. Schließlich stürzte<br />

sie in ein tiefes Loch <strong>und</strong> wollte am liebsten<br />

sterben. Die Sehnsucht, zu ihrem<br />

Kind zu kommen, war fast übermächtig,<br />

nur die Sorge um die eigenen zwei kleinen<br />

Kinder hielt sie davor zurück.<br />

In den nächsten Tagen begann eine<br />

rege Betriebsamkeit, alles sollte richtig<br />

gemacht werden. Lysander wurde am<br />

9. Februar im Familiengrab beigesetzt.<br />

„Die Schatulle, in der Lysander lag, war<br />

weiß lasiert, die Holzmaserung schimmerte<br />

durch. Oben auf dem Deckel war<br />

eine Stern eingeschnitzt. Wir haben sie<br />

farblich mit unseren Händeabdrücken<br />

versehen. In die Schatulle kamen noch<br />

Abschiedsbriefe von meinem Mann <strong>und</strong><br />

mir <strong>und</strong> ein Regenbogenbild. Mit mei-<br />

ETHIK<br />

nem großen Sohn hatte ich noch vier<br />

Luftballons, zwei große <strong>und</strong> zwei kleine<br />

rote Herzen, die wir fliegen ließen, ausgesucht.“<br />

Wie konnte ich dich bloß hergeben?<br />

Doch da war immer noch der unsagbare<br />

Schmerz: „Wie konnte ich dich bloß<br />

hergeben?“ Erst die Hilfe eines Arztes,<br />

der den älteren Sohn behandelte, brachte<br />

wieder Mut <strong>und</strong> Lebenswillen zurück.<br />

„Der Arzt erkannte sofort meine seelische<br />

Not. Er war entsetzt darüber, was<br />

ich meinem Kind angetan hatte. Er sagte<br />

mir freiweg ins Gesicht: Sie haben ihr<br />

Kind getötet.“ Er hat genau das ausgesprochen,<br />

was andere bisher nicht gewagt<br />

hatten.<br />

Aber auch der Glaube war ein wichtiger<br />

Baustein, der den Anstoß gab, sich<br />

einzugestehen, einen Fehler begangen<br />

zu haben, <strong>und</strong> Gott <strong>und</strong> das Kind um<br />

Verzeihung zu bitten. „Als Christin <strong>und</strong><br />

Mutter war ich mir sicher: Niemals hätte<br />

es zu einem Abbruch kommen dürfen.“<br />

In den darauf folgenden Gesprächen<br />

mit Frauen, die bereits eine Abtreibung<br />

hinter sich gebracht hatten, wurde Marianne<br />

klar: „Das kann keine verkraften.<br />

Manche holte es noch Jahrzehnte später<br />

wieder ein. Ein Arzt berichtete, dass<br />

noch Jahre später Mütter nach Unterlagen<br />

oder Ultraschallbildern ihrer toten<br />

Kinder suchen würden.“<br />

Mit dem Entschluss, diese Erfahrung<br />

an die Öffentlichkeit zu bringen, sich<br />

Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 53, Sept. 2006 45

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