2/2009 - BRAK-Mitteilungen
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<strong>BRAK</strong>-Mitt. 2/<strong>2009</strong> Aufsätze 53<br />
Hellwig, Berufsrechtliche Fragen bei grenzüberschreitender Tätigkeit und Kooperation inEuropa<br />
e) Grenzüberschreitende Korrespondenz zwischen Anwälten<br />
Der Umstand, dass der Schutz der Vertraulichkeit indem einen<br />
Land dem Mandanten gehört, in einem anderen Land hingegen<br />
institutionell aus der Rechtspflege fließt, kann auch für die<br />
grenzüberschreitende Korrespondenz zwischen Anwälten bedeutsam<br />
werden. Inmehreren Ländern ist es üblich, dass Anwälte<br />
untereinander mit dem Zusatz „Vertraulich“ oder „ohne<br />
Präjudiz“ korrespondieren. Der Empfänger eines solchen Briefes<br />
soll dessen Inhalt anniemanden weitergeben, auch nicht an<br />
den eigenen Mandanten, bzw. soll den Inhalt des Briefes (etwa<br />
einen Vergleichsvorschlag) im weiteren Verlauf der Rechtssache<br />
dem Absender nicht entgegenhalten. Nr. 5.3.2 der Berufsordnung<br />
des CCBE sieht vor, dass der Empfängeranwalt, der an<br />
der Behandlung des Inhalts als „Vertraulich“ bzw. „ohne Präjudiz“<br />
gehindert ist, den Brief an den Absender zurückzusenden<br />
hat, ohne den Inhalt dem Mandanten bekannt zu geben. In<br />
Deutschland verstößt das Verbot der Bekanntgabe an den Mandanten<br />
gegen dessen gesetzlichen Anspruch auf Auskunft und<br />
Rechenschaftslegung; die „ohne Präjudiz“–Verpflichtung verstößt<br />
gegen das gesetzliche Weisungsrecht des Mandanten.<br />
§29 BORA macht deshalb bei der Übernahme der Berufsordnung<br />
des CCBE ausdrücklich einen Vorbehalt für europäisches<br />
Gemeinschaftsrecht sowie deutsches Verfassungs-, Gesetzes-<br />
und Verordnungsrecht, welches als höherrangiges Recht<br />
gegebenenfalls der Berufsordnung des CCBE vorgeht, was<br />
insbesondere bei Nr. 5.3 der Berufsordnung des CCBE in Betracht<br />
kommt. Inzwischen ist Nr. 5.3 der Berufsordnung des<br />
CCBE wie folgt geändert worden. Will beispielsweise ein französischer<br />
Avocat einem deutschen Rechtsanwalt <strong>Mitteilungen</strong><br />
senden, die dieser als „vertraulich“ bzw. „ohne Präjudiz“ behandeln<br />
soll, so muss erdiese Absicht vor Absendung der ersten<br />
Mitteilung klar zum Ausdruck bringen, und der deutsche<br />
Rechtsanwalt, der nicht imStande ist, die künftigen <strong>Mitteilungen</strong><br />
in diesem Sinne zu behandeln, muss den französischen<br />
Avocat unverzüglich entsprechend unterrichten. Diese Änderung<br />
ist noch nicht in das deutsche Berufsrecht übernommen<br />
worden.<br />
3. Résumé<br />
Die Grundwerte Interessenkollisionsverbot und Vertraulichkeitsschutz<br />
sind in Europa im Kern identisch, zu den Rändern<br />
hin nehmen aber die Unterschiede zu. Insbesondere dort stellen<br />
sich die Probleme der „Double Deontology“, mit der Folge,<br />
dass der grenzüberschreitend tätige Anwalt die jeweils strengeren<br />
Vorschriften erfüllen muss. Welche Vorschriften strenger<br />
sind, lässt sich nicht generell beantworten, sondern muss jeweils<br />
für den konkret in Rede stehenden Einzelaspekt (Schutzumfang,<br />
Entbindung etc.) festgestellt werden.<br />
4. Weitere Bereiche<br />
Der Vollständigkeit halber sei kurz erwähnt, dass es divergierende<br />
Regelungen auch bei sonstigen Aspekten der anwaltlichen<br />
Tätigkeit gibt, etwa bei Gebühren, Haftpflichtversicherung<br />
und Sozialversicherung. Auch hier unterliegt der grenzüberschreitend<br />
tätige Anwalt gegebenenfalls jeweils zweierlei<br />
Regelungen.<br />
III. Gegenläufige berufsrechtliche Regelungen<br />
Viele Länder in Europa kennen eine gesetzliche Meldepflicht<br />
bei drohenden schweren Straftaten. 11 Bei diesen Meldepflichten,<br />
deren Reichweite von Land zu Land unterschiedlich<br />
11 Vgl. §§ 138 und 139 Abs. 3Satz 2StGB. 12 §6EuRAG.<br />
ausgestaltet ist, kommt es zum Konflikt mit der anwaltlichen<br />
Verschwiegenheitspflicht. Weitere Meldepflichten sind durch<br />
die 2.und 3. Geldwäsche-Richtlinie und deren nationale Umsetzung<br />
eingeführt worden. Bei diesen Vorschriften, bei denen<br />
es inzwischen auch umden Kampf gegen das organisierte Verbrechen<br />
geht, sind die Unterschiede von Land zu Land besonders<br />
groß, denn es handelt sich ausdrücklich umsog. Mindeststandard-Richtlinien,<br />
d.h., die Mitgliedstaaten dürfen weitergehende<br />
Pflichten vorsehen.<br />
England und Wales sowie die Niederlande haben extrem weitreichendeIdentifizierungspflichten<br />
eingeführt, diesichbei konzernangehörigen<br />
Gesellschaften bis hoch in die Konzernspitze<br />
und das dortige Führungspersonal erstrecken. Dies kann dazu<br />
führen, dass der Anwalt seine Tätigkeit erst mit wochen- oder<br />
gar monatelanger Verzögerung aufnehmen darf.<br />
In England und Wales gibt esdarüber hinaus durch den Proceeds<br />
of Crime Act und weitere gesetzliche Vorschriften extrem<br />
weitreichende Meldepflichten. Sobald der Anwalt in England<br />
in seiner Tätigkeit den Verdacht auf eine begangene Straftat hat<br />
oder haben muss, ist er meldepflichtig. Taugliche Vortat sind<br />
praktisch alle Straftaten, einschließlich steuerlicher Verstöße im<br />
Ausland. In Ehescheidungsfällen ist es deswegen im Zusammenhang<br />
mit der Vermögensregelung immer wieder zu<br />
Verdachtsanzeigen gekommen. Die Law Society erhält jährlich<br />
Tausende von Anfragen von Solicitors, obineinem konkreten<br />
Fall eine Meldepflicht besteht oder nicht. Darüber hinaus erstatten<br />
englische Solicitors jedes Jahr etliche Tausende von Verdachtsanzeigen.<br />
Sie werden in der Anzahl der Anzeigen nur<br />
noch von den Banken übertroffen. Es ist ein offenes Geheimnis,<br />
dass viele dieser Anzeigen nur deshalb erfolgen, weil sich die<br />
Solicitors vor eigener Strafverfolgung schützen wollen. In<br />
Deutschland hingegen liegt die Zahl der jährlichen Verdachtsanzeigen<br />
nur im zweistelligen Bereich.<br />
Ich nenne einige konkrete Beispiele, umdie Dimension des<br />
Problems deutlich zumachen. Ein deutscher Rechtsanwalt ist<br />
vorübergehend oder niedergelassen inLondon tätig oder Mitarbeiter<br />
oder Partner in einer Londoner Kanzlei. Erunterliegt weiterhin<br />
der deutschen Verschwiegenheitspflicht. Er unterliegt<br />
auch den englischen Meldepflichten. Soweit diese Meldepflichten<br />
weiter gehen als die vergleichbaren Meldepflichten<br />
nach deutschem Recht, kollidieren die englische Meldepflicht<br />
und die deutsche Verschwiegenheitspflicht. Dieser berufsrechtliche<br />
Konflikt wird dadurch verschärft, dass beide Pflichten<br />
strafbewehrt sind. Ineinem umgekehrten Beispielsfall ist ein<br />
englischer Solicitor in Deutschland niedergelassen oder als<br />
Mitarbeiter oder Partner im deutschen Büro einer Londoner<br />
Kanzlei oder in einer deutschen Kanzlei tätig. Dieser Solicitor<br />
unterliegt der deutschen Verschwiegenheitspflicht, 12 als englischer<br />
Solicitor bleibt eraber auch den englischen Meldepflichten<br />
unterworfen. ObSolicitors die englischen Meldepflichten<br />
erfüllen, wird von der englischen Berufsaufsicht regelmäßig<br />
überprüft, auch imAusland. Diese Überprüfung kann zu einem<br />
Konflikt mit dem inder deutschen Kanzlei geltenden Vertraulichkeitsschutz<br />
führen.<br />
Ein weiteres Gebiet, wo es zu einem unlösbaren Konflikt zwischen<br />
gegenläufigen Pflichten bei grenzüberschreitender Tätigkeit<br />
kommen kann, ist das Familienrecht, insbesondere imBereich<br />
Kindesentführung. Mir ist von einem auf diesem Gebiet<br />
tätigen deutschen Kollegen ein Fall berichtet worden, bei dem<br />
ein deutscher Rechtsanwalt ineinem englischen Gefängnis eingesessen<br />
hat, weil ersich unter Hinweis auf seine Verschwiegenheitspflicht<br />
nach deutschem Recht geweigert hat, einer be-