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2/2009 - BRAK-Mitteilungen

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54 Aufsätze <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2/<strong>2009</strong><br />

Hellwig, Berufsrechtliche Fragen bei grenzüberschreitender Tätigkeit und Kooperation in Europa<br />

stimmten Anordnung eines englischen Gerichts nachzukommen.<br />

In einem anderen Fall wäre ein mit mir befreundeter<br />

deutscher Rechtsanwalt und gleichzeitig englischer Solicitor<br />

mit Kanzleisitz in London um ein Haar im dortigen Gerichtssaal<br />

verhaftet worden, weil auch er es ablehnte, einer Anordnung<br />

des Gerichts nachzukommen, bestimmte Tatsachen mitzuteilen,<br />

die ihm in seiner Stellung als Rechtsanwalt bekannt<br />

geworden waren. Vor der Verhaftung bewahrte ihn nicht die<br />

deutsche Verschwiegenheitspflicht, sondern die Tatsache, dass<br />

er dem Gericht ein Schreiben des deutschen Botschafters vorlegte,<br />

mit dem erfür den Mittag desselben Tages zu einem Essen<br />

zu Ehren der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts,<br />

Frau Prof. Dr. Limbach, in die Botschaft eingeladen wurde. Die<br />

sich damit abzeichnenden diplomatischen Probleme scheute<br />

das Gericht und vertagte sich, nicht ohne meinem Freund zu<br />

verbieten, über die Angelegenheit mit irgendjemand zu sprechen<br />

oder sich dazu beraten zu lassen. Als mich mein Freund<br />

gleich nach dem Essen in der Botschaft von einer Telefonzelle<br />

aus anrief, stellte ich den Kontakt zuseiner deutschen Rechtsanwaltskammer<br />

her. Diese fertigte zum deutschen Recht ein<br />

Gutachten, welches mein Freund bei dem Londoner Gericht<br />

einreichte. Beim nächsten Termin war der ursprüngliche Richter<br />

verhindert, ein anderer Richter führte die Verhandlung. Dieser<br />

hob zur großen Freude meines Freundes die genannte Anordnung<br />

auf. Weniger erfreut war mein Freund, als noch weitere<br />

Anordnungen aufgehoben wurden, mit denen die Überwachung<br />

seines gesamten Telefon- und Postverkehrs angeordnet<br />

worden war! Wie gut, dass mein Freund mich von einer Telefonzelle<br />

aus angerufen hatte!<br />

IV. Gibt es eine Lösung?<br />

1. Die Probleme der Kumulierung der Berufsrechte oder Double<br />

Deontology für die Praxis waren den Anwaltsorganisationen<br />

lange Zeit unbekannt. Es erregte großes Aufsehen, als ich in einem<br />

Vortrag auf der Wiener Anwaltspräsidentenkonferenz im<br />

Februar 2002 auf die Probleme hinwies und die Forderung<br />

nach Harmonisierung oder zumindest Kollisionsregeln erhob. 13<br />

Inzwischen ist das Thema bei den Anwaltsorganisationen „angekommen“.<br />

Der CCBE und die International Bar Association<br />

(IBA) befassen sich jetzt mit dem Thema. Die Probleme bestehen<br />

übrigens auch inden USA, wenn etwa ein New Yorker Anwalt<br />

vorübergehend dienstleistend oder niedergelassen in Kalifornien<br />

tätig ist. Die USA kennen zwischen den Einzelstaaten<br />

nur die Warenverkehrsfreiheit, nicht aber die grenzüberschreitende<br />

Dienstleistungsfreiheit, so dass dort die Probleme noch<br />

größer sein können. Wenn ein New Yorker Anwalt einen Mandanten<br />

in Kalifornien berät, kann dies je nach den Umständen<br />

des Falles inKalifornien strafbare unerlaubte Rechtsberatung<br />

sein, mit der Folge, dass es keinen Gebührenanspruch gibt.<br />

2. Es liegt auf der Hand, dass die Probleme der Kumulierung<br />

der Berufsrechte oder Double Deontology weitgehend entfallen<br />

würden, wenn eszueiner Vollharmonisierung der Berufsrechtekommen<br />

würde.Diesist jedochbis aufweiteres sehrunwahrscheinlich.<br />

3. Realistischerweise ist eher an die Einführung von europäischen<br />

Kollisionsregeln zudenken, wie sie in den USA von der<br />

American Bar Association (ABA) entwickelt und in mehr oder<br />

minder abgewandelter Form inden Einzelstaaten übernommen<br />

worden sind. Dort wird vielfach darauf abgestellt, wo das<br />

Schwergewicht der Tätigkeit liegt („Center of Gravity“). Als da-<br />

13 Vgl. Hellwig, Unterschiede der nationalen Berufsrechte –Notwendigkeit<br />

von Kollisionsnormen und Harmonisierung, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2002, 52 ff.<br />

maliger Vorsitzender der deutschen CCBE-Delegation habe ich<br />

Ende 2002 eine Initiative des CCBE dahingehend vorgeschlagen,<br />

dass imBereich der Beratung bei der vorübergehenden<br />

grenzüberschreitenden Tätigkeit nur das Berufsrecht des Herkunftslandes,<br />

bei der niedergelassenen grenzüberschreitenden<br />

Tätigkeit hingegen nur das Berufsrecht des Ziellandes zur Anwendung<br />

kommen soll und dass die Dienstleistungs- und die<br />

Niederlassungsrichtlinie für Anwälte entsprechend geändert<br />

werden soll. Die meisten Anwaltsorganisationen im CCBE<br />

lehnten diesen Vorstoß ab. Sie wollten nicht darauf verzichten,<br />

auch die im Inland tätigen ausländischen Anwälte sowie die im<br />

Ausland tätigen inländischen Anwälte zu regulieren.<br />

Der im Jahr 2004 von der Kommission vorgelegte Vorschlag<br />

der allgemeinen horizontalen Dienstleistungsrichtlinie wollte<br />

für die grenzüberschreitende Dienstleistung (also den Bereich<br />

der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie von 1977) das Herkunftslandprinzip<br />

einführen, wie esvom EuGH imBereich der<br />

Warenverkehrsfreiheit entwickelt worden ist („Cassis de Dijon“).<br />

Die Mehrheit imCCBE lehnte dies abund forderte, die<br />

Anwaltschaft müsse von diesem Herkunftslandprinzip ausgenommen<br />

werden. Der politische Widerstand aus den Mitgliedstaaten<br />

gegen das Herkunftslandprinzip insgesamt war schließlich<br />

sostark, dass esinder Endfassung der Richtlinie von 2006<br />

nicht mehr enthalten ist.<br />

Nach meiner Einschätzung würden die Mitgliedstaaten auch<br />

heute die Einführung von klaren und einfach zuhandhabenden<br />

Kollisionsregeln, wie ich sie 2002 vorgeschlagen habe, nicht<br />

akzeptieren. Dies gilt selbst dann, wenn man die Kollisionsregeln<br />

nicht für den in der Tat schwierigen Bereich gegenläufiger<br />

Pflichten – Meldepflicht versus Verschwiegenheitspflicht –,<br />

sondern nur für den Bereich divergierender Berufspflichten vorsehen<br />

würde, wo dieAkzeptanz vonKollisionsregelneigentlich<br />

leichter fallen sollte.<br />

Dies führt zuder Frage, ob die Schaffung von nationalen Kollisionsnormen<br />

eine realistische Möglichkeit ist. Der Deutsche<br />

Anwaltverein (DAV) hat im Jahre 2006 einen neuen §59o<br />

Abs. 2BRAO vorgeschlagen, wonach bei grenzüberschreitender<br />

Tätigkeit eines Rechtsanwalts nur das Berufsrecht des Ziellandes<br />

zur Anwendung kommt, wenn dieses seine Geltung für<br />

diesen Fall vorsieht. Das schärfere deutsche Berufsrecht tritt<br />

dann zurück. Der DAV schlägt also eine einseitige Kollisionsnorm<br />

vor, und zwar sowohl für die vorübergehende als auch<br />

für die niedergelassene Tätigkeit imAusland, und dies nicht<br />

nur innerhalb der EU, sondern auch darüber hinaus –eine<br />

durchaus liberale Position. Der DAV wollte mit diesem Vorschlag<br />

bewusst einen Stein ins Wasser werfen, damit das Problem<br />

auf der rechtspolitischen Ebene diskutiert wird. Bisher ist<br />

keinerlei Reaktion festzustellen.<br />

Dies ist aus der Sicht der Praxis sehr bedauerlich. Die Kumulierung<br />

der Berufsrechte oder Double Deontology ist ein großes<br />

Problem für kleine wie für große Kanzleien. Sie behindert die<br />

grenzüberschreitende Tätigkeit und die Bildung von grenzüberschreitenden<br />

Verbindungen zur gemeinsamen Berufsausübung.<br />

Für die größeren Kanzleien, die sich der Probleme bewusst<br />

sind, führt sie zu erheblichen Infrastrukturkosten. Kleinere<br />

Kanzleien sind sich der Probleme häufig nicht bewusst und<br />

sind damit berufsrechtlichen und disziplinarischen Risiken ausgesetzt.<br />

Diejenigen unter den kleineren Kanzleien, die die Probleme<br />

kennen, sehen gelegentlich sogar von grenzüberschreitenden<br />

Mandaten ab, weil ihnen die Klärung der Risiken zu<br />

mühsam ist.<br />

Fazit: Wir werden mit den geschilderten Problemen bei<br />

grenzüberschreitender Tätigkeit und Kooperation in der anwaltlichen<br />

Praxis auf absehbare Zeit weiterleben müssen.

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