DOZIERENDE IM PORTRÄT „Wir sind nicht dafür da, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, wenn sie schon drinsteckt.“ 118
Ein Gespräch mit Ed Cantù – Leitender Dozent im Studiengang Filmton/Sounddesign DER GEBÜRTIGE TEXANER UND WAHL- BERLINER ED CANTÙ LIEBT DEN GUTEN TON – SOWOHL ALS TONMEISTER ALS AUCH ALS DOZENT IM BEREICH FILMTON/SOUND- DESIGN AN DER FILMAKADEMIE BADEN- WÜRTTEMBERG. SEIT 1999 BRINGT ER DORT STUDIERENDEN NAHE, WIE WICHTIG DIE GERÄUSCHKULISSE IST, DIE EINEN FILM UM- GIBT. EINEN WESENTLICHEN EINFLUSS AUF SEINE LEHRE HABEN EDS MUSIKALISCHE BEGEGNUNGEN IN DEN FRÜHEN 1980ER JAHREN GENOMMEN... Seit 2017 leitest du auch die Abteilung? Mehr oder weniger. Das ist dem tragischen Ableben Gibbs Platens geschuldet. Der unsichtbare Leiter ist aber Florian Dittrich (Studienkoordinator der Abteilung, Anm. d. Red.), weil der 365 Tage im Jahr vor Ort ist. Er ist eine Perle von Mitarbeiter, Kollege oder Leiter, wenn man so will. Weil er alles koordiniert und sich auch um die hochkarätigen Gastdozenten in unserem Bereich kümmert – vom Foley Artist (Geräuschemacher, Anm. d. Red.), Dialog Editor, Sounddesigner bis hin zum Mischtonmeister. Außerdem hält er unsere Aufnahmestudios und Digital Audio Workstations (DAW) stets auf dem neuesten technischen Stand. Und was hat dich gerade am Filmton so fasziniert, dass du Tonmeister geworden bist? Ed, erzähl doch mal kurz, welcher Weg dich an die <strong>Filmakademie</strong> geführt hat. Tatsächlich bin ich durch Empfehlung des Regisseurs Adolf Winkelmann, mit dem ich bis dahin schon zwei Fernseh-Mehrteiler und einen Kinofilm gedreht hatte, an die Aka gekommen. Er kannte den FABW-Gründer Albrecht Ade, der damals jemanden für den Ton gesucht hat. Ich wurde zuerst für zwei Tage eingeladen, nach Ludwigsburg zu kommen. Als ich wieder in Berlin war, rief mich Herr Ade an und sagte: „Das ist so gut angekommen bei den Studierenden. Wir hätten Sie gerne mehr hier“. Also hat er mich nochmal zu einem Gespräch eingeladen, bei dem er mich fragte, was ich von einer Festanstellung halte. Ich wollte noch eine Nacht darüber schlafen. Als ich am nächsten Tag wieder in seinem Büro saß, habe ich ihm gesagt: „Schauen Sie, ich glaube, es wird so sein: Heute lieben Sie mich und die Studierenden finden es toll, was ich zu vermitteln habe. Nächstes Jahr möglicherweise auch noch und ich traue mir sogar zu, übernächstes Jahr auch noch gut rüberzukommen. Aber irgendwann geht mir das Latein aus, weil ich immer noch das erzähle, was ich vorletztes und vorvorletztes Jahr erzählt habe. Was halten Sie von folgender Idee? Ich mache weiterhin meinen Beruf als Tonmeister am Set, den ich sehr liebe, und erzähle den Studierenden immer den allerneuesten Stand der Dinge, gebe somit aktuelles Wissen weiter.“ Und das war beiderseits, glaube ich, die richtige Entscheidung. Seitdem bin ich hier. Ich habe eigentlich Filmregie studiert, ein paar Jahre lang Dokumentarfilme gedreht und mich bei zwei von drei Projekten, die mir sehr am Herzen lagen, unglaublich über den schlechten Ton geärgert. Ich hatte gewisse Vorkenntnisse durch eine, sagen wir mal, musikalische Laufbahn in den frühen 80er Jahren in Berlin. Damals habe ich in einem Loft in Kreuzberg gewohnt, mit zwei anderen Jungs. Irgendwann klopfte es an der Tür und ein gewisser Nick Cave stand davor. Völlig abgebrannt, wirklich am Ende. Damals war er in der Band Birthday Party, heute heißt sie ja Nick Cave and the Bad Seeds. Er stand jedenfalls vor der Tür und sagte: „Ich komme auf Empfehlung eines Freundes, kann ich eine Woche bei euch pennen?“ Nick Cave blieb nicht eine Woche, sondern ein Jahr. In der Zeit habe ich mein erstes Drehbuch für einen szenischen Film geschrieben, der nie realisiert wurde. Und ich war auch schon ein bisschen angefressen von der Filmemacherei im dokumentarischen Bereich. Finanziell gesehen war es immer ein haarscharfes Vorbeischlittern an der Selbstausbeutung. Nick Cave hat mich irgendwann gefragt, ob ich nicht Bock hätte, mit ihm auf Deutschlandtournee zu gehen. Damals hatte ich schon Erfahrung als Tontechniker bei der Band Die Haut. Also bin ich mit Nick Cave auf Tournee gegangen, habe die Jungs im VW-Bus von A nach B gefahren, den Soundcheck am Nachmittag gemacht und am Abend das Konzert gemischt. Am nächsten Morgen war ich dafür zuständig, sie einigermaßen menschlich zu kriegen und Frühstück in sie hinein zu prügeln, um schnell wieder on the road zu sein. Es war Wahnsinn, sprichwörtlich Sex and Drugs and Rock ‚n‘ Roll. 119