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Und klar, für die Greifswalder Verhältnisse dam<strong>als</strong>,<br />

war das ein Ereignis, wenn ersteinmal<br />

hundert Nazis ankamen und wollten in die<br />

Straße rein und da flogen ersteinmal Mollis auf<br />

den Mob, so daß einige brannten. Das war dann<br />

schon ein tolles Bild. Vor allem weil die Polizei<br />

komplett überfordert war. Die kannten so was<br />

überhaupt nicht und zahlenmäßig konnten mit<br />

ihren 20 bis 25 Personen nichts ausrichten.<br />

Und sie hatten auch keinerlei Handhabung und<br />

wußten nicht was sie tun sollten. Die waren<br />

dann auch da, standen dann aber nur dumm<br />

rum, bis es sich ein bißchen zerstreut hat und<br />

dann haben sie immer einzelne von den Nazis<br />

weggekascht.<br />

Und auch weil von der Polizei keine richtigen<br />

Gegenmaßnahmen kamen, haben die Faschos<br />

dran gefallen gefunden. Und so kamen die fast<br />

jedes Wochenende und wurden immer mehr<br />

und immer mehr und dazu noch viel Schaulustige,<br />

so daß du auch gar nicht unterscheiden<br />

konntest, was ist was. Die haben dann immer<br />

einen Tross von 100 Leuten mit sich gezogen.<br />

Und das war dann fast Wochenende für Wochenende,<br />

bis es der Polizei dann doch zu bunt<br />

wurde und die dann doch eingegriffen haben.<br />

Aber glücklicherweise immer nur auf Naziseite.<br />

Wir saßen in unserem Haus und uns hat es<br />

Spaß gemacht, das war auch Adrenalinkick.<br />

Es gab danach eine Episode. Dam<strong>als</strong> gab es<br />

einen neuen Polizeichef in Greifswald, Dieter<br />

Kern heißt er. Der wollte die einzelnen Gruppen<br />

kennenlernen und sich vorstellen, oder<br />

was auch immer der sich gedacht hat. In der<br />

Wachsmannstraße war das so, daß nur das<br />

mittlere Haus bewohnt war und die anderen<br />

wurden geschützt durch kleine oder größere<br />

Fallen. Und dieser Chef ist mit zwei Kollegen<br />

vorne nicht rein gekommen. Wir waren gerade<br />

auf dem Hof beschäftigt und haben Fallen oder<br />

so gebaut, weil das auch die Zeit der Übergriffe<br />

war. Da kam der natürlich über ein Nebengebäude<br />

auf den Hof. Und diese Nebengebäude<br />

sollte man nicht unbedingt betreten und die Türen<br />

nicht auf- und zumachen. Er hat natürlich<br />

die Hintertür zum Hof aufgemacht und die war<br />

so präpariert, daß Ziegelsteine von oben runter<br />

kamen. Die sind ihm auf den Kopf gefallen.<br />

Stark blutend hat er sich dann kurz vorgestellt<br />

– viel war es aber nicht. Die Polizei ist dann<br />

gleich (oder mit Umweg übers Krankenhaus)<br />

weiter zum Loch, daß die Nazis besetzt hatten,<br />

nachdem wir raus sind. Irgendwie haben die<br />

ihn dann gefragt, was mit ihm passiert sei und<br />

er hat nur erzählt, dass er in der „Wachsmann“<br />

war. Seitdem hatten die Nazis eine enorme<br />

Angst in die Nebenhäuser zu gehen. Ich weiß<br />

nicht, was für Geschichten da gewachsen sind,<br />

was für Fallen wir da aufgebaut haben, aber<br />

selbst bei den großen Schlacht brauchten wir<br />

die Türen und Fenster gar nicht verrammeln<br />

– da hat sich keiner reingetraut. Das spielte sich<br />

alles nur auf der Straße ab.<br />

Und von da an ging das bis zum August mit<br />

so fünf oder sechs großen Schlachten. Und im<br />

August hat die Polizei dann die Schnauze voll<br />

gehabt von der ganzen Sache. Da kam dann<br />

ein Räumungsbefehl mit Termin wann geräumt<br />

wird und ist die Gruppe hat sich zerstritten.<br />

Die einen haben gesagt: Nein wir gehen hier<br />

nicht raus, wir leisten hier Widerstand, mal sehen,<br />

wie weit das hier geht. Und die anderen<br />

haben gesagt: wir haben hier keinen Bock auf<br />

Räumung wir besetzen einfach was Neues. Die<br />

zweite Gruppe hat Überhand bekommen. Wir<br />

haben uns dann dafür entschieden, die Wachs-<br />

mann komplett aufzugeben und stattdesen in<br />

die Fischfabrik zu gehen [heute Gebäudekomplex,<br />

in dem der NDR ist; Anm. Lik]. Aber die<br />

ganze Geschichte ist nicht aufgegangen. Die<br />

Faschos haben das Spitz gekriegt, die sind dann<br />

auch zur Fischfabrik und da gab es dann eine<br />

riesige Schlacht. Und weil die Bullen gerade sowieso<br />

in großer Zahl da und einsatzbereit waren,<br />

haben sie die Fischfabrik gleich geräumt.<br />

Und zu der Zeit brannte dann auch schon die<br />

Wachsmannstraße. Die Faschos sind erst dahin<br />

und haben gesehen, daß das leer ist und haben<br />

das angezündet und sind dann zur Fischfabrik.<br />

Dann gab es die Wachsmann nicht mehr, weil<br />

die abgebrannt ist. Die Fischfabrik aber auch<br />

nicht mehr, weil sie geräumt war. Und damit<br />

war das Kapitel Wachsmann gegessen.<br />

Ist die Szene danach verfallen?<br />

Ja die Szene der Wachsmannstraße <strong>als</strong> solche<br />

ist verfallen. Der engere Kreis ist dann ersteinmal<br />

ins Pari, nicht <strong>als</strong> Betreiber, sondern <strong>als</strong> Besucher.<br />

Das war dann unser Anlaufpunkt. Das<br />

Amberland war dam<strong>als</strong> so ein ganz spießiges<br />

Café geworden. Was anderes gab es immer<br />

noch nicht.<br />

Das war im Herbst 1992. Und im Winter oder<br />

Frühjahr 1993 sind wir in die Wollweberstraße.<br />

Schon am Ende der Wachsmannzeit kam das Jugendamt<br />

dahin und hat versucht das auf einen<br />

legalen Weg zu bringen. „Wenn ihr irgendwas<br />

haben wollt, was ordentliches, dann müßt ihr<br />

einen Verein gründen“ - sagten sie. So wurde<br />

dann auch das Allgemeine Jugendzentrum ge-<br />

gründet. Das mit der Gründung zog sich aber<br />

hin. Die Leute vom Jugendamt waren komisch<br />

drauf, was die alles wollten. Zwischendrin haben<br />

wir dann die Wollweberstraße besetzt und<br />

uns gedacht, besetzen wir das und versuchen<br />

das zu legalisieren. Die Leute, die in die Wollweber<br />

sind, sind nicht zu hundert Prozent die<br />

gewesen, die in die Wachsmann waren, sondern<br />

das war eher der aktivere Teil, die nicht unbedingt<br />

politisch was machen wollten, sondern<br />

die auf das ganze Chaos, Parties, Saufen, nicht<br />

mehr so den Bock hatten. Oben sollte Wohnraum<br />

geschaffen werden, unten dann auch ein<br />

Café. Teilweise auch ein politisches Infocafé.<br />

Aber das war nur der kleinere Teil der Wachsmann,<br />

ein Kreis von vielleicht 20 Personen, die<br />

dann in die Wollweber sind.<br />

Titel: Subkultur und Soziale Bewegung in Greifswald<br />

Besetzer der Wachsmannstraße<br />

Nr.4<br />

27

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