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Alle Räder stehen still,<br />

wenn dein starker Arm es will<br />

John Most‘s Liederbuch erinnert an die Kraft<br />

einer organisierten Arbeiterschaft<br />

Ende 2005 wurde im Verlag „Tonsplitter“ Johann<br />

Mosts „Neuestes Proletarier-Lieder-Buch“<br />

aus dem Jahr 1873 wieder aufgelegt. Mosts<br />

Liederbuch gehörte zu den ersten deutschsprachigen<br />

Arbeiterliederbüchern, die herausgegeben<br />

wurden. Nicht lange nach dem Erscheinen<br />

vermeldete der Österreichische Staatsanzeiger,<br />

dass die Liedersammlung und alle weiteren Texte<br />

Mosts verboten seien.<br />

Werner Hinze, der Herausgeber der Neuauflage,<br />

beschreibt Most <strong>als</strong> einen der beliebtesten<br />

und aktivsten Agitatoren der Sozialdemokratischen<br />

Arbeiterpartei. Mit zahlreichen Zitaten<br />

aus Mosts Memoiren dokumentiert Hinze den<br />

beißenden Humor des Agitators. So berichtet<br />

Most von seiner ersten Bekanntschaft mit dem<br />

dam<strong>als</strong> noch recht zahmen Arbeiterbildungsverein<br />

u.a. so: „Man hörte fortwährend von der<br />

‚lieben Heimath, in der es schön‘ sein sollte,<br />

von einem Brunnen vor dem Thore‘, von der<br />

‚heiligen Nacht‘, vom ‚lieben Gott‘, der ‚durch<br />

den Wald‘ geht und ähnlichen Schnickschnack<br />

dermassen gröhlen, dass man leicht begreifen<br />

konnte, warum und wieso sich die Vereine gegen<br />

Thierquälerei rapid vermehrten.“ Kraft seiner<br />

Ideen, Worte und Schriften versuchte Most<br />

dem Verein einen kämpferischen Charakter zu<br />

geben. Kundgebungen und Aktionen in kleinen<br />

Städten mit hunderten Teilnehmern zeugen von<br />

seiner Fähigkeit dazu und auch wenn man heute<br />

seine Texte liest, kann man sich von seiner<br />

Wut auf die Ungerechtigkeiten noch anstecken<br />

lassen. 1870 wurde er im Wiener Hochverratsprozess<br />

zu einer Haftstrafe verurteilt. Während<br />

dieser Zeit dichtet er verschiedene Zeilen, die<br />

ebenfalls im Buch abgedruckt wurden. Most<br />

war dann ab 1871 in der von Wilhelm Liebknecht<br />

und August Bebel 1869 gegründeten<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei tätig. Mit<br />

der Zeit nahm er immer stärker anarchistische<br />

Positionen an, so dass er beim Parteikongress<br />

im Schloss Wyden 1880 aus der Partei ausgeschlossen<br />

wurde. Leider reißt im Vortext des<br />

Buches der rote Faden durch eine etwas sprunghafte<br />

Gliederung manchmal ab. Die biographischen<br />

Notizen zu Johann Most, der kurze<br />

Abriss der ersten Arbeiterliederbücher und die<br />

Anmerkungen zum dokumentierten Liederbuch<br />

sind verteilt über zwei Kapitel. Es folgt ein sehr<br />

amüsantes Kapitel zur Nutzung des Liedgutes<br />

bei politischen Aktionen dem sich eine stark<br />

gegliederte Abhandlung des oft bei den Liedern<br />

genutzten Parodieverfahrens anschließt.<br />

Dokumentiert wird schließlich die dritte Auflage<br />

des Liederbuches aus dem Jahre 1873, ergänzt<br />

durch einige Lieder aus der fünften Auflage. Im<br />

eigentlichen Liederbuch stammt nur ein Lied di-<br />

rekt von Most: „Die Arbeitsmänner“. Das Lied<br />

war laut Werner Hinze so etwas wie die Hymne<br />

der damaligen Sozialdemokraten. Darin hieß es<br />

in der vierten Strophe:<br />

„Rafft Eure Kraft zusammen,<br />

Und schwört zur Fahne roth!<br />

Kämpft muthig für die Freiheit!<br />

Erkämpft Euch bess‘res Brod!<br />

Beschleunigt der Despoten fall!<br />

Schafft Frieden dann dem Weltenall!<br />

Zum Kampf, ihr Arbeitsmänner,<br />

auf, Proletariat.“<br />

Dieser Pathos ist uns heute sicher fremd. In<br />

der damaligen Zeit waren es jedoch nicht nur<br />

Worte, sondern es war Ausdruck des Kampfeswillens,<br />

dem wir heute zum Beispiel den<br />

Acht-Stundentag und andere soziale Errungenschaften<br />

zu verdanken haben. Das Lied „Die<br />

Arbeitsmänner“ ist ein Beispiel für die vielen<br />

identitätsstiftenden Texte des Buches. In ihnen<br />

wird die Arbeit der Proletarier, ihre Kleidung<br />

und ihr Stolz auf Beides sowie die Ausbeutung<br />

der Klasse und der Widerstand dagegen besungen.<br />

Neben der Forderung nach Brot taucht<br />

immer wieder die Forderung nach Freiheit auf.<br />

Nicht im bürgerlichen Sinne, bei der die individuelle<br />

Freiheit unter Ausblendung sozialer<br />

Fesseln gemeint ist. Auch heute noch relevant<br />

erscheint mir da vor allem das Lied „Frisch auf,<br />

Cameraden!“ (siehe Abdruck)<br />

Der ausschließliche Bezug auf Männer in den<br />

gesammelten Arbeiterliedern ist heute zumindest<br />

bei sozial engagierten Menschen sicherlich<br />

nicht mehrheitsfähig, war aber im damaligen<br />

Gesellschaftskontext normal. Hierfür stehen<br />

auch die bekannteren Zeilen aus Strophe 10<br />

des „Arbeiterliedes“:<br />

„Mann der Arbeit aufgewacht!<br />

Und erkenne deine Macht!<br />

Alle Räder stehen still,<br />

Wenn dein starker Arm es will.“<br />

Im Vortext wird immerhin der „Arbeiterinnen-<br />

Weckruf“ dokumentiert. Hier ist ein früher<br />

Emanzipationswillen zu spüren:<br />

„Nicht nur das Haus sei Eure Welt,<br />

Der Kochtopf nicht Euer Feld.<br />

Am öffentlichen Leben Ihr<br />

Sollt Euch betheil‘gen für und für.<br />

Brecht eine Bahn dem freien Geist;<br />

Er ist‘s, der alle Fesseln reißt.<br />

Auf, stellt für Freiheit,<br />

Gleichheit Euch zum Kampf“,<br />

der in der letzten Strophe mündet, sich an die<br />

Seite der Männer zu stellen und mit ihnen gemeinsam<br />

zu kämpfen. Damit ist es sicherlich<br />

noch nicht das i-Tüpfelchen in der bis heute<br />

nicht existierenden Gleichberechtigung, aber<br />

immerhin ein Beginn. Von den 55 Liedern des<br />

gehört, gesehen, gelesen<br />

Werner Hinze (Hg.): Johann<br />

Most und sein Liederbuch<br />

-Warum der Philosoph der<br />

Bombe Lieder schrieb und<br />

ein Liederbuch herausgab.<br />

Verlag Tonsplitter 2005.<br />

ISBN: 3-936743-05-3<br />

55

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