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provinz<br />
54<br />
Der Karl-Marx-Platz 15 ist<br />
die Adresse und offi zielle<br />
Anschrift folgender kirchlicher<br />
Einrichtungen:<br />
-Landespfarramt für<br />
Ökumene und Mission<br />
-Kirchenzeitung<br />
-Bibliothek und<br />
Medienstelle<br />
-Amt für die Arbeit mit Kindern<br />
und Jugendlichen<br />
-Theologisch-Pädagogisches<br />
Institut<br />
-Landesposaunen- und<br />
Singewart<br />
Der Bischof und Karl Marx<br />
Bleibt der Karl-Marx-Platz in Greifswald?<br />
Es ist von einem Ereignis zu berichten, das wohl<br />
nicht ganz alltäglich ist. Immerhin dürfte es Seltenheitswert<br />
haben, dass gerade ein Bischof dafür<br />
sorgt, dass man sich wieder intensiver mit<br />
Karl Marx beschäftigt. Das kam so: Seit nunmehr<br />
sechzig Jahren gibt es in Greifswald einen<br />
„Karl-Marx-Platz“ und an diesem Platz befi ndet<br />
sich das Konsistorium der Pommerschen Evangelischen<br />
Kirche.<br />
Nun war die „Wende“ auch in hiesiger „Universitäts-<br />
und Hansestadt“ von Um- und Rückbenennungen<br />
begleitet. So verschwanden die<br />
Grotewohl- und Pieck-Allee aus dem Straßenverzeichnis<br />
- ein Segelschulschiff, das einst dem<br />
ersten Präsidenten des Arbeiter- und Bauernstaates<br />
von Werftarbeitern geschenkt worden<br />
war, das dieser aber sogleich an die Jugend weitergab,<br />
erhielt den schlichten Namen „Greif“.<br />
Einrichtungen mit gutem Namen verschwanden<br />
in der Namenlosigkeit. So entledigte sich das<br />
vormalige „Polytechnische Zentrum“ des KKW<br />
schnell des Namens „Janusz Korczak“ - wohl in<br />
der Annahme, auch der wäre ein böser Kommunist<br />
gewesen. Die Bitte entsetzter Bürger, diesem<br />
Frevel Einhalt zu gebieten, lehnte der damalige<br />
Oberbürgermeister Dr. Glöckner, ehem<strong>als</strong> Pfarrer<br />
von Sankt Marien, der sich sonst bereitwillig<br />
in jede Angelegenheit einmischte, bezeichnenderweise<br />
mit der Begründung ab, dass er dafür<br />
nicht zuständig sei. Schulen mit gutem<br />
Namen, wie die Medizinische Fachschule,<br />
die nach dem berühmten deutsch-amerikanischen<br />
Kinderarzt Abraham Jakoby<br />
benannt worden war, oder<br />
die Betriebsberufsschule<br />
des „VEB<br />
Nachrichtenelektronik<br />
Greifswald“,<br />
die den Namen<br />
von „Max R e i c h p i e t s c h “<br />
trug, wurden na- menlos. Andere<br />
Schulen sind inzwischen - wegen Mangels<br />
an Schülern - geschliffen worden. Dadurch<br />
erledigten sich Namen wie Friedrich-Engels-<br />
oder Karl-Marx-Schule.<br />
Immer wieder aber wurde von bestimmten<br />
Kreisen versucht, weitere Änderungen<br />
durchzusetzen. So geriet bald der zentral<br />
gelegene „Ernst-Thälmann-Platz“ in das Visier<br />
jener Ewiggestrigen. Auf Initiative der<br />
Universität (tatsächlich aber wohl eher auf<br />
Initiative einer inzwischen einfl ussreichen<br />
Theologischen Fakultät) sollte dieser in „Felix-Hausdorff-Platz“<br />
umbenannt werden,<br />
obwohl sich in der Nähe eine attraktive „Felix-Hausdorff-Begegnungsstätte“<br />
der Universität<br />
befi ndet. Öffentliche Einsprüche von<br />
Bürgern verhinderten diesen Unsinn.<br />
Jüngst gab es einen neuen Vorstoß: In einem<br />
Schreiben an den Oberbürgermeister<br />
Dr. König (CDU) unterbreitete der Bischof<br />
der Pommerschen Evangelischen Kirche,<br />
Dr. Abromeit, den Vorschlag, den „Karl-<br />
Marx-Platz“ in „Dietrich-Bonhoeffer-Platz“<br />
umzubenennen. Eilig, vielleicht etwas zu eilig,<br />
äußerte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr<br />
Malermeister Hochschild, seine Zustimmung<br />
und wünschte sich eine „ideologiefreie Diskussion“.<br />
- Eigentlich kann man dazu nur sagen:<br />
Schuster, bleib bei deinem Leisten! Der Mann<br />
hat offenbar ein Geltungsbedürfnis, das seinem<br />
Bildungsniveau diametral entgegengesetzt ist.<br />
Gebetsmühlenartig wiederholt er die Argumentation<br />
des Bischofs: Karl Marx war nie in hiesiger<br />
Stadt. Als wären Bach, Goethe und Schiller<br />
je hier gewesen. Wollte man dieser Logik folgen,<br />
müsste in ganz Deutschland eine Umbenennungswelle<br />
einsetzen.<br />
Diesmal sah sich eine überregionale Tageszeitung<br />
gezwungen, eine Vielzahl von Widersprüchen<br />
zu veröffentlichen. - Der Tenor war<br />
eindeutig: Es war wohl eine kleine „ideologische<br />
Unverschämtheit“, die man da gestartet<br />
habe, fand ein Leser und empfahl: „Lassen wir<br />
doch besser die Kirche im Dorf und die Plätze,<br />
wie sie heißen.“ Selbst hiesige FDP lehnte<br />
den Vorschlag ab! Die Begründung ein besonderer<br />
Schelmenstreich: „Wir Liberalen sind<br />
mit Sicherheit die größten Gegner der Gesellschaftsmodelle<br />
(sic!) des Karl Marx. Aber jetzt<br />
Bonhoeffer gegen Marx abzuwägen, ist eine<br />
Debatte die unsere Stadt lähmen und uns von<br />
wichtigeren Problemen abhalten wird.“<br />
Schließlich startete die Redaktion eine Abstimmung<br />
und stellte die Frage: Soll der Karl-Marx-<br />
Platz künftig Dietrich-Bonhoeffer-Platz heißen?<br />
1060 Leser beteiligten sich daran - davon votierten<br />
77 Prozent gegen eine Umbenennung. Zum<br />
Abschluss dieser Aktion gelangt der Lokalredakteur<br />
Reinhard Amler zu folgender bemerkenswerten<br />
Einschätzung: „Mit dem Namen Karl<br />
Marx verbinden offenbar viele Greifswalder<br />
eine enge Beziehung. Schließlich war er einer<br />
der geni<strong>als</strong>ten deutschen Denker. Er hat im 19.<br />
Jahrhundert in seinem Hauptwerk ́Das Kapital<br />
́ die allgemeinen Grundgesetze der modernen<br />
kapitalistischen Produktionsweise analysiert.<br />
Viele von denen, die uns geschrieben haben,<br />
erleben heute in ihrer berufl ichen Praxis oft das,<br />
was sie früher im Unterricht erlernten. Da wird<br />
ihnen Marx nahe. An den Mann mit dem Rauschebart<br />
wurde man nicht zuletzt erinnert, <strong>als</strong><br />
bekannt wurde, wieviel Geld der Vorstandschef<br />
der Deutschen Bank verdient. Jenes Kapitalisten,<br />
der erst vor kurzem viele seiner Mitarbeiter<br />
vor die Tür gesetzt hat. Möglicherweise wollen<br />
deshalb viele Menschen, dass Karl Marx auch<br />
in Greifswald ein Denkmal behält, zumal der<br />
Platz, der nach ihm benannt ist, seit sechzig Jahren<br />
so heißt. Auch das hat sich in Hirnen und<br />
Herzen festgesetzt und Identität geschaffen.“<br />
Über diese geradzu kühnen Töne in seinem Lokalblatt<br />
kann ein naiver, verwunderter Zeitungsleser<br />
nur staunen.<br />
Erk