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gehört, gesehen, gelesen<br />
44<br />
fertiggestellt wurde, versehen mit privaten Fotos<br />
und einem Interview, das Details aus dem Leben<br />
mit einem schallplattensammelnden Musikmaniac<br />
und extremen FC Liverpool-Fan (geheiratet<br />
wurde in Vereinsfarben!!!) liefert. Wie<br />
bei Trikont üblich, gibt ́s zudem ausführliche<br />
Informationen zu den Stücken, deren Bandbreite<br />
von kruden Humoristen über südafrikanische<br />
Blechflötenensembles, Tango, Dixieland-Jazz<br />
oder traditionelle chinesische Musik bis zu frühen<br />
Bluesaufnahmen reicht. Was in völlig andere<br />
Zusammenhänge gesetzt sicher vom Kontrast,<br />
von teils mißverständlichen Kategorien<br />
wie Exotik oder Skurrilität gelebt hat, ist allerdings<br />
in Ballung doch nur schwer durchhörbar.<br />
Aber vielleicht sollte man diesen „Beginners<br />
Guide“, so der Untertitel, dann halt stückweise<br />
probieren. Ähnlich geht es mir partiell mit zwei<br />
anderen Compilations auf dem diesbezüglich<br />
nimmermüden Trikont-Label. „Creative Outlaws“<br />
bietet den „US Underground 1962-<br />
1970“, sozusagen inländischen Anti-Amerikanismus<br />
bzw., je nach Sichtweise: das wahre<br />
Amerika. Hintergrund bilden der Vietnam-Krieg<br />
und die Rassenunruhen, den Sound liefern u.a.<br />
Jimi Hendrix, Captain Beefheart, Moondog, The<br />
Fugs, Blue Cheer, Canned Heat oder abschließend<br />
The Stooges, um nur die bekanntesten der<br />
hier frech für alle möglichen Freiheiten und gegen<br />
die Autoritäten lärmenden Freaks zu nennen.<br />
„From The Closet To The Charts. Queer<br />
Noises 1961-1978“ wurde von Jon Savage erstellt,<br />
dessen die Punk-Geschichte anhand der<br />
Sex Pistols erzählendes Buch „Englands Dreaming“<br />
(Edition Tiamat) ich allen brandwärmstens<br />
empfehle. Hier nun widmet er sich der<br />
schwulen Subkultur, präsentiert er Songs, die<br />
entweder schwule Themen hatten, von schwulen<br />
Künstlern aufgenommen wurden oder sich<br />
an Schwule richteten. Aus Spaß (durchaus am<br />
Kitsch auch) heraus, aber genauso: „aus Wut<br />
über die Art und Weise, in der der schwule Beitrag<br />
zur Populärkultur immer wieder ausgeblendet,<br />
ignoriert oder verspottet wurde.“ Das<br />
Booklet ist vorzüglich, beleuchtet Hintergründe,<br />
erzählt Song-Details und hat neben einigen<br />
Fotos wohlgeformter Männerkörper in exhibierender<br />
Pose auch ein Glossar zur Verständlichwerdung<br />
der Szene-Sprache parat. Die Stücke<br />
selbst gehen von kurios tuntigen Kabarettsongs<br />
und anderen Trash über Rockstücke der klassischern<br />
Sorte bis zu Punk und Disco natürlich,<br />
wobei die bekanntesten Vertreter die Kinks, The<br />
Ramones und Sylvester sein dürften. An viele<br />
andere Songs bzw. Interpreten war leider nicht<br />
heranzukommen, zum Beispiel David Bowie,<br />
Lou Reed oder gar die Rolling Stones mit ihrem<br />
„Cocksucker Blues“. Interessant wäre jetzt noch<br />
eine Fortsetzung in die 80er hinein, zu Industrial<br />
oder House und Techno. Zu erschütternden<br />
Bands wie Coil oder den Schwulsein und Nazitum<br />
in Traditionsfindung von SA-Chef Ernst<br />
Röhm her verbindenden Death in June. In diesem<br />
Sinne darf man auch gespannt sein auf ein<br />
demnächst erscheinendes Buch des Unrast Verlags<br />
zum Thema „Schwule Nazis – und die<br />
Rechtsentwicklung in der Schwulenszene“.<br />
Mit Death in June und deren Mastermind Douglas<br />
P. haben auch Current 93 um David Tibet<br />
des öfteren kooperiert- und hier ließe sich eine<br />
lange Vermutungsgeschichte mit vielen Fragen<br />
anschließen, was ich aber lasse und damit euch<br />
über-, denn es fehlt mir an Backgroundwissen<br />
zu diesen gefährlich dunkel-romantischen Konstellationen.<br />
Auf ihrem neuen Album „Black<br />
Ships Ate The Sky“ (Durtro Jnana/Cargo) jedenfalls<br />
wird tieftraurig im Teer der Seele gewatet,<br />
sinken minimalistische Folkanwürfe und verwehter<br />
Todesblues in den flammenden Horizont,<br />
der keine Sonne mehr verspricht. Um mal<br />
pseudo-theologisch zu werden: „Idumea“ ist<br />
ein wiederkehrendes Thema der CD, ein Song,<br />
der u.a. von Gästen wie Marc Almond, Bonnie<br />
„Prince“ Billy oder Cosey Fanni Tutti (Throbbing<br />
Gristle) intoniert wird, und Idumea, jenes<br />
Wüstengebiet südlich des Toten Meeres, steht<br />
biblisch <strong>als</strong> Symbol für die gegenwärtige Weltzeit<br />
(saeculum istud), in der Menschen nichts<br />
Gutes von Dauer zu erwarten haben. Brennend<br />
vor Sehnsucht, wobei Idumea die irdischen<br />
Sehnsüchte dessen, der Gott nicht kennt veranschaulicht.<br />
Desiderium: „Durst der Seele“ – laut<br />
Augustin.<br />
Von hier bis zu Reggae in seiner oft radikal alttestamentarischen<br />
Sprache ist es eigentlich nur<br />
ein Schritt, man muß es nur wollen. Denn von<br />
den meisten der folgenden Artists darf Babylon<br />
keine Gnade erwarten, wiewohl sie in dessen<br />
wüster Welt more or less erfolgreich umherirren.<br />
Bzw. -irrten, denn wie zumeist geht es in<br />
dieser Kolumne vornehmlich um Reissues bzw.<br />
Rückblickscompilations, wenn von Reggae die<br />
Rede swingt. Anrisse nur aus der endlosen Flut.<br />
Da wäre z.B. Big Youth, dessen revolutionäres<br />
Debütalbum „Screaming Target“ von 1973 nun<br />
Trojan (/Rough Trade) neu auflegt, versehen zur<br />
Freude aller Version-Excursion-Liebhaber mit<br />
fast allen Original-Tracks, deren Riddims der<br />
dam<strong>als</strong> erst 19jährige Sensations-Deejay ritt,<br />
sowie herrlichen Dub-Versionen. So gibt es hier<br />
neben Big Youth noch Leroy Smart, Gregory Issacs,<br />
Roman Stewart, Lloyd Parks, Glen Brown<br />
und nicht zuletzt Dennis Brown zu hören.<br />
Meilenstein! Superb! Dennis Browns 1972er<br />
„Super Reggae & Soul Hits“-Album, dass der<br />
dam<strong>als</strong> gerade erst 15jährige bei seinem frühen<br />
Förderer Derrick Harriot aufnahm, kurz nach<br />
dem Intermezzo mit Studio One, kommt beim<br />
gleichen Label, ist mir allerdings, der ich ein<br />
großer Bewunderer des „Prince of Reggae“ bin,<br />
noch etwas zu zerrissen, zu unentschieden, oder<br />
besser: zu sehr Roots und Soul trennend. Denn<br />
was Dennis Brown ausmachte, vor allem den<br />
der folgenden Jahre bis Anfang der 80er, war ja<br />
gerade die grandiose Seelenhaftigkeit, mit der<br />
JAH gepriesen und das Übel der Welt angeprangert<br />
wurde. Der Idumea/Babylon-Komplex- siehe<br />
oben. Diesbezüglich empfiehlt sich eher<br />
der Griff zu Sugar Minott, dem das Hamburger<br />
Reggae-Rerelaselabel Moll Selekta(/Indigo) mit<br />
„The Roots Lover 1978-1983“ ein entspannt<br />
wie spannend vibrierendes Denkmal setzt. Das<br />
aus Singles und Maxis kompilierte Material entstand<br />
genauso nach einer Studio One-Phase,<br />
während der Sugar Minott mit seinen Interpretationen<br />
der Riddim-Klassiker des legendären<br />
Labels von Sir Clement „Coxsone“ Dodd quasi<br />
die moderne Dancehall-Kultur begründete.